Beteigeuze erholt sich – vorerst
Neue Beobachtungen des Roten Überriesen deuten darauf hin, dass der Massenauswurf seiner Atmosphäre im Jahr 2019 sein Schicksal maßgeblich beeinflussen könnte. Beteigeuze wird wohl nicht in nächster Zeit explodieren, aber der Auswurf gibt Aufschluss darüber, wie rote Sterne in ihrem späten Leben, wenn ihre Kernfusionsöfen ausbrennen, Masse verlieren, bevor sie als Supernovae enden. Die Ergebnisse wurden mit mehreren Observatorien erzielt, darunter dem Hubble-Weltraumteleskop der NASA und den robotischen STELLA-Teleskopen des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP).
Der Stern Beteigeuze erscheint als leuchtender, rubinroter, funkelnder Lichtpunkt in der oberen rechten Schulter des Sternbilds Orion. Der alternde Stern wird als Überriese eingestuft, weil er auf einen erstaunlichen Durchmesser von mehr als 1 Milliarde Kilometer angeschwollen ist. Würde er sich im Zentrum unseres Sonnensystems befinden, würde er bis zur Umlaufbahn des Jupiters reichen.
Nach Auswertung der Daten von Hubble, STELLA und mehreren anderen Observatorien sind Forschende zu dem Schluss gekommen, dass Beteigeuze 2019 im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Nähten platzte, einen großen Teil seiner sichtbaren Oberfläche verlor und einen gigantischen Oberflächenmassenauswurf (SME) verursachte. Unsere Sonne stößt routinemäßig Teile ihrer dünnen äußeren Atmosphäre, der Korona, aus, was als koronaler Massenauswurf (CME) bekannt ist. Der Beteigeuze-Massenauswurf hat jedoch 400 Milliarden Mal so viel Masse ausgestoßen wie ein typischer CME.
Der erste Hinweis darauf war, dass sich der Stern Ende 2019 auf mysteriöse Weise verdunkelte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwarfen ein Szenario für die Umwälzung: Der gigantische Ausbruch wurde möglicherweise durch eine konvektive Wolke mit einem Durchmesser von mehr als einer Million Kilometern verursacht, die aus dem Inneren des Sterns aufstieg. Sie erzeugte Schocks und Pulsationen, die ein Stück der Photosphäre absprengten und den Stern mit einer großen kühlen Oberfläche unter der Staubwolke zurückließen, die durch das abkühlende Stück der Photosphäre entstanden war.
Das zerbrochene Stück der Photosphäre, so schwer wie mehrere Erdmonde, flog ins All und kühlte ab, so dass sich eine Staubwolke bildete, die das Licht des Sterns aus Sicht der Erde blockierte. Die Verdunkelung, die Ende 2019 begann und einige Monate andauerte, war selbst für Hobby-Beobachterinnen und -Beobachter leicht zu erkennen, da Beteigeuze einer der hellsten Sterne am Himmel ist.
Und der Stern erholt sich langsam; die Photosphäre baut sich wieder auf. Das Innere hallt wie eine Glocke, die mit einem Vorschlaghammer geschlagen wurde, und stört den normalen Zyklus des Sterns: Die 400-tägige Pulsationsrate des Überriesen ist nun verschwunden, womöglich zumindest vorübergehend. Fast 200 Jahre lang haben Astronominnen und Astronomen diesen Rhythmus gemessen, der sich in den Helligkeitsschwankungen und Oberflächenbewegungen von Beteigeuze zeigte.
Das AIP-Team beobachtet Beteigeuze mit dem STELLA-Teleskop nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt jede Nacht. „Eine solche Beobachtung ist nur möglich, weil das STELLA-Teleskop robotisch gesteuert ist und nach wie vor eine einzigartige Anlage darstellt“, betont der Leiter des AIP-Teams und Direktor des Forschungsbereichs Kosmische Magnetfelder, Pror. Dr. Klaus Strassmeier. Dr. Thomas Granzer, Leiter der Abteilung Teleskopsteuerung und Robotik, ergänzt: „Durch die Messung der Radialgeschwindigkeit von Beteigeuze, also der Geschwindigkeit, mit der sich die Photosphäre auf uns zu oder von uns weg bewegt, konnte das AIP-Team zeigen, dass das Pulsieren des Sterns langsam an Amplitude gewinnt, bis sich genügend kinetische Energie aufgebaut hat und die äußere Schicht von Beteigeuze ausgestoßen werden konnte. Dies geschah kurz vor der großen Verdunkelung und stützt damit das Bild eines riesigen CME, der zu einer Staubwolke führte, die für die Lichtabnahme verantwortlich war. Gegenwärtig sehen wir ein winziges Wiederaufleben der Oszillationen, allerdings mit der doppelten Frequenz der Hauptpulsation. Wie bei einem Streichinstrument erwarten wir, dass diese vorübergehende Reaktion schließlich den gewohnten Pulsationen mit einer Periode von etwa 400 Tagen weichen wird.“
Die Unterbrechung zeugt von der Heftigkeit des Ausbruchs. Das endgültige Schicksal des Sterns besteht darin, als Supernova zu explodieren. Wenn dies geschieht, wird sie von der Erde aus für eine gewisse Zeit am Taghimmel zu sehen sein. Obwohl es auf unserer Sonne koronale Massenauswürfe gibt, bei denen kleine Teile der äußeren Atmosphäre weggeblasen werden, wurde noch nie beobachtet, dass ein so großer Teil der sichtbaren Oberfläche eines Sterns ins All geschleudert wird. Daher kann es sich bei Oberflächenmassenauswürfen und koronalen Massenauswürfen um unterschiedliche Ereignisse handeln.
Zu den Beobachtungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, gehören neue spektroskopische und bildgebende Daten des robotischen STELLA-Observatoriums, des Tillinghast-Reflektor-Echelle-Spektrographen (TRES) des Fred L. Whipple-Observatoriums, der NASA-Raumsonde Solar Terrestrial Relations Observatory (STEREO-A), des Hubble-Weltraumteleskops der NASA und der American Association of Variable Star Observers (AAVSO).
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Klaus Strassmeier, 0331 7499 295, kstrassmeier@aip.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.48550/arXiv.2208.01676
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