Das Elektronenkarussell
Die Photoemission ist eine Eigenschaft unter anderem von Metallen, die Elektronen aussenden, wenn sie mit Licht bestrahlt werden. Bereits Albert Einstein erklärte diese Elektronenemission nach Lichtabsorption. Aber da es sich bei diesem Effekt insbesondere bei Festkörpern um einen hochkomplexen Prozess handelt, konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dessen Details bisher noch immer nicht vollständig aufklären. Der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Bernd von Issendorff vom Physikalischen Institut der Universität Freiburg ist es nun gelungen, in den Winkelverteilungen von Photoelektronen aus tiefkalten, massenselektierten Metallclustern einen bisher unbekannten Quanteneffekt nachzuweisen.
Die Winkelverteilungen ähneln denen klassischer Teilchen, was sich überraschenderweise durch die starke Elektron-Elektron-Wechselwirkung in diesen Vielelektronen-Systemen erklären lässt. Dieses Ergebnis haben die Forschenden in der aktuellen Ausgabe von Physical Review Letters veröffentlicht.
Elektronen mit wohldefinierten Drehimpulsen
Metallcluster können als Quantensysteme angesehen werden, die aus abzählbar vielen Quantenteilchen – hier Elektronen – in einem einfachen sphärischen Kastenpotential bestehen. Elektronen in einfachen Metallclustern haben relativ wohldefinierte Drehimpulse, obwohl ein Cluster nie perfekt rund ist. Der Grund hierfür liegt in der nahezu optimalen Abschirmung der Atomkerne durch das Elektronensystem. Dadurch erfährt ein einzelnes Elektron nur eine gemittelte Wechselwirkung, die der Wechselwirkung mit einem sphärischen Kastenpotential erstaunlich nahekommt. Das hat nicht nur zur Konsequenz, dass die Elektronen praktisch Drehimpulseigenzustände annehmen, also mit wohldefiniertem Drehimpuls im Cluster rotieren, sondern auch, dass die Photoemission des Elektrons nur an der Clusteroberfläche stattfindet. Denn hier kann der benötigte radiale Impuls auf das Elektron übertragen werden.
Elektronenemission findet nur an der Oberfläche statt
Forschende erwarteten, dass bei der Photoemission der Impuls des Elektrons parallel zur Oberfläche erhalten bleibt, da in dieser Richtung keine Kräfte wirken. „Da ein Elektron mit definiertem Drehimpuls an der Oberfläche einen definierten Impuls parallel zu dieser hat, konnte man davon ausgehen“, erklärt von Issendorff, „dass die Winkelverteilung der Elektronen der von Bällen entspricht, die von Kindern auf einem Karussell während der Drehung einfach losgelassen werden. Diese fliegen nicht etwa radial nach außen, sondern tangential zur Kreisbahn.“ Die Freiburger Forschenden beobachteten genau diesen Effekt an Metallclustern: Damit belegten sie, dass die Elektronen wirklich als in einem Kastenpotential rotierende Teilchen angesehen werden können, und dass die Elektronenemission tatsächlich nur an der Oberfläche stattfindet. Das eigentlich Überraschende daran aber sei, führt von Issendorff aus, dass diese Beobachtung komplett im Widerspruch zu quantenmechanischen Simulationen stehen, die immer ein sehr viel komplexeres Verhalten vorhersagen, welches durch Interferenzen und Resonanzen im Ionisationsprozess dominiert wird.
Mathematische Beschreibung der Winkelfunktionen
Die Freiburger Forschenden konnten diesen Widerspruch jedoch aufklären: Aufbauend auf ihren früheren Arbeiten und in Diskussion mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für komplexe Systeme in Dresden leiteten sie eine vollständige mathematische Beschreibung der Winkelfunktionen her, welche in Übereinstimmung mit dem Experiment steht. Kernelement dieser neuen Beschreibung ist die Annahme, dass der Cluster völlig intransparent ist für Elektronen: Im Inneren des Clusters werden Elektronen stark abgebremst. Das führt zu einer Unterdrückung der Interferenz- und Resonanzeffekte und damit zu einem fast klassischen Verhalten. Dass Dekohärenz Interferenzen unterdrückt, war bekannt. Neu ist jedoch, dass die starke Dissipation nicht etwa zu einer völligen Auswaschung der Winkelverteilungen der Elektronen führt, sondern im Gegenteil sehr strukturierte und fast klassische Verteilungen erzeugt.
Verhalten wie ein klassisches Teilchen
„Wir sind daran gewöhnt, dass auf kleinen Skalen Quanteneffekte überwiegen, während für Effekte auf größeren Skalen eine klassische Beschreibung häufig eine gute Näherung ist“, erklärt von Issendorff. „Hier erwächst klassisches Verhalten auch auf einer kleinen Skala durch Dissipation. Das komplizierte Zusammenspiel vieler Elektronen führt dazu, dass sich eines dieser Elektronen wie ein klassisches Teilchen verhält.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bernd von Issendorff
Physikalisches Institut
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5726
E-Mail: bernd.von.issendorff@physik.uni-freiburg.de
Originalpublikation:
Piechaczek, A., Bartels, C., Hock, C., Rost, J.-M., von Issendorff, B. (2021): Decoherence-induced universality in simple metal cluster photoelectron angular distributions. In: Physical Review Letters, 126, 233201 (2021). DOI: 10.1103/PhysRevLett.126.233201
Weitere Informationen:
https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2021/das-elektronenkarussell
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