Die Eroberung der Extreme

Das Verständnis des Zusammenspiels von Wirten und Mikroben könnte künftig sogar dabei helfen, Lebensspuren auf erdähnlichen Planeten zu finden. Urheberhinweis: ESO/G. Beccari, Lizenz: CC BY 4.0

Von heißen und nährstoffarmen Wüsten über abwechselnd trockene und wasserbedeckte Gezeitenzonen bis hin zu höchstem Wasserdruck und permanenter Dunkelheit in der Tiefsee: Das Leben hat im Laufe seiner Entwicklung über Millionen von Jahren auch die extremsten Standorte der Erde erobert.

Dass Termiten von eigentlich unverdaulichem Holz leben, Pflanzen in Wüsten scheinbar ohne Wasser und Nahrung existieren oder Seeanemonen in Gezeitenzonen den ständigen Wechsel einer wasserbedeckten und trockenen Umgebung verkraften können, hängt offenbar auch von der engen Zusammenarbeit mit ihren bakteriellen Symbionten ab.

Lebenswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler weltweit erforschen aktuell, in welcher Form das symbiotische Zusammenwirken von Mikroorganismen und Wirten in der funktionalen Einheit eines Metaorganismus die Besiedlung solch extremer Lebensräume unterstützt.

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun eine Bestandsaufnahme der Mechanismen vorgelegt, mit der die Interaktionen von Wirten und Symbionten das Leben unter extremen Umweltbedingungen fördern oder überhaupt erst möglich machen.

Die Forschenden beschreiben gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der saudi-arabischen König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie (KAUST) in der Fachzeitschrift Zoology nun erstmals umfangreich, wie Mikroorganismen das Wachstum und die evolutionäre Fitness verschiedener Lebewesen an extremen Standorten fördern können.

Ein wichtiger Faktor bei der Reaktion auf veränderliche Lebensbedingungen ist die Zeit. Ändert sich die Umwelt an einem Standort sehr schnell, etwa durch drastische Wechsel der physischen und chemischen Bedingungen wie Licht- oder Sauerstoffverfügbarkeit, fällt insbesondere höherentwickelten vielzelligen Lebewesen die Anpassung schwer. Zu langsam ist ihre Fähigkeit zur Veränderung, denn der dafür nötige genetische Wandel vollzieht sich erst im Laufe von mehreren Generationen.

„Hier können Mikroorganismen ihren Wirtslebewesen einen Vorteil verschaffen“, betont Professor Thomas Bosch, Zell- und Entwicklungsbiologe an der CAU und Sprecher des SFB 1182. „Bei Bakterien laufen die evolutionären Prozesse beispielsweise viel rascher ab. Die Fähigkeit, deutlich schneller auf Umweltveränderungen zu reagieren, können sie zum Teil auf ihre Wirte übertragen und sie so bei der Anpassung unterstützen“, so Bosch weiter.

Der Mangel an Nahrungsquellen oder die fehlende Möglichkeit, verfügbare Nährstoffe tatsächlich zu nutzen, begrenzen die zur Verfügung stehenden Lebensräume zusätzlich. Die Stoffwechselvorgänge vieler Organismen sind auf ein bestimmtes Optimum der Lebensbedingungen eingestellt und kommen in extremen Bereichen an ihre Grenzen.

Auch hier sind es oft die symbiotischen Beziehungen mit Bakterien, die es Pflanzen und Tieren ermöglichen, das Funktionieren des eigenen Stoffwechsels zu erweitern. So können verschiedene Lebewesen zum Beispiel Nährstoffe mit ihren bakteriellen Partnern austauschen und so Nahrungsquellen erschließen, die ihr Stoffwechsel sonst nicht verarbeiten könnte.

Bestimmte symbiotische Bakterien, die das Wurzelwerk von Pflanzen besiedeln, helfen ihnen an trockenen und nährstoffarmen Standorten beispielsweise dabei, Stickstoff und andere Mineralien aufzunehmen. Andere Bakterien unterstützen das Pflanzenwachstum, indem sie ihre Toleranz gegenüber salzhaltigen Böden erhöhen. In Zukunft werden sich Forschende darauf konzentrieren, solche hilfreichen Bakterienkulturen auf ihre Anwendbarkeit bei Nutzpflanzen hin zu untersuchen. Möglicherweise hilft ein besseres Verständnis des pflanzlichen Metaorganismus dabei, künftig auch in bisher nicht nutzbaren Wüsten Ackerbau zu betreiben.

Mikrobielle Symbionten erlauben es verschiedenen Lebewesen zudem, eine ausgeprägte Toleranz gegenüber einer schnell veränderlichen Umwelt zu entwickeln: Ortsfeste Nesseltiere in den Gezeitenzonen verschiedener Meere können sich zum Beispiel rasch an den extremen Wechsel ihrer Lebensbedingungen anpassen, weil sich auch die Zusammensetzung ihrer Bakterienbesiedlung abrupt verändern kann. Dahinter stehen Mechanismen, wie der direkte Austausch genetischer Informationen zwischen verschiedenen Bakterienarten, die das Ausscheiden oder die Aufnahme spezifischer Bakterienarten in den Metaorganismus steuern.

„Bei den Seeanemonen wechselt ihre Bakterienbesiedlung in Anpassung an die jeweils herrschenden Standortbedingungen“, unterstreicht Dr. Sebastian Fraune, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zoologischen Institut der CAU. „Diese flexible Bakterienausstattung können die Tiere möglicherweise speichern und bei einer Veränderung ihres Lebensraums erneut abrufen, um mit den neuen Bedingungen zurechtzukommen“, betont Fraune.

Aus der Erforschung dieser bakteriell gesteuerten Anpassungsfähigkeit an schnell veränderliche Umweltbedingungen lassen sich möglicherweise in Zukunft auch Rückschlüsse auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Organismen und Ökosysteme oder gar Anpassungsstrategien ableiten.

Weitere Forschungsarbeiten werden klären, wie Gesundheit und Fitness eines Metaorganismus von der Wandelbarkeit seiner einzelnen Partner abhängt und welche Effekte die Veränderung einzelner Elemente dieses komplexen Gefüges hervorrufen.

Die nun vorliegenden Erkenntnisse unterstreichen so, welche fundamentale Rolle die Erforschung der multiorganismischen Beziehungen von Wirten und Mikroorganismen besonders auch für das Verständnis des Lebens in einer veränderlichen und extremen Umwelt spielt.

Originalarbeit:
Corinna Bang, Tal Dagan, Peter Deines, Nicole Dubilier, Wolfgang J. Duschl, Sebastian Fraune, Ute Hentschel, Heribert Hirt, Nils Hülter, Tim Lachnit, Devani Picazo, Lucia Pita, Claudia Pogoreutz, Nils Rädecker, Maged M. Saad, Ruth A. Schmitz, Hinrich Schulenburg, Christian R. Voolstra, Nancy Weiland-Bräuer, Maren Ziegler, Thomas C.G. Bosch (2018): Metaorganisms in extreme environments: do microbes play a role in organismal adaptation? Zoology https://dx.doi.org/10.1016/j.zool.2018.02.004

Ein Bild steht zum Download bereit:
http://www.uni-kiel.de/download/pm/2018/2018-131-1.jpg
Bildunterschrift: Seine Mikrobenbesiedlung kann einem Wirtslebewesen dabei helfen, unter extremen Umweltbedingungen zu existieren. Das Verständnis der zugrundeliegenden Prozesse könnte künftig sogar dabei helfen, Lebensspuren auf erdähnlichen Planeten zu finden. Das Foto zeigt den Orionnebel, aufgenommen vom VLT Survey Telescope des European Southern Observatory (ESO).

Urheberhinweis: ESO/G. Beccari, Lizenz: CC BY 4.0, https://www.eso.org/public/images/eso1723a/

Kontakt:
Prof. Thomas Bosch
Zoologisches Institut, CAU Kiel
Tel.: 0431-880-4170
E-Mail: tbosch@zoologie.uni-kiel.de

Weitere Informationen:
Forschungsschwerpunkt „Kiel Life Science“, CAU Kiel
http://www.kls.uni-kiel.de

Sonderforschungsbereich 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“, CAU Kiel:
http://www.metaorganism-research.com

KAUST-Pressetext zum „Metaorganism Frontier Research Workshop“:
http://www.kaust.edu.sa/en/news/exploring-the-metaorganism-frontier

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