ESO-Teleskop gewährt Einblicke in riesige, verborgene Kinderstuben von Sternen

Ein Infrarotbild des Objekts HH 909 A im Sternbild Chamäleon
Bild: ESO/Meingast et al.

Mit dem Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy (VISTA) der ESO haben Astronomen einen riesigen Infrarot-Atlas von fünf nahe gelegenen Sternentstehungsgebieten geschaffen. Dazu haben sie mehr als eine Million Bilder zusammengesetzt. Diese großen Mosaike zeigen junge Sterne im Entstehen, die in dicke Staubwolken eingebettet sind. Dank dieser Beobachtungen verfügen die Astronomen über ein einzigartiges Instrument, mit dem sie das komplexe Rätsel der Sternentstehung knacken können.

„Auf diesen Bildern können wir selbst die schwächsten Lichtquellen erkennen, wie etwa Sterne, die weit weniger massereich sind als die Sonne. Damit können wir Objekte entdecken, die noch nie zuvor gesehen wurden“, sagt Stefan Meingast, Astronom an der Universität Wien in Österreich und Hauptautor der neuen Studie, die heute in Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde. „Dadurch können wir die Prozesse verstehen, die Gas und Staub in Sterne verwandeln.“

Sterne entstehen, wenn Gas- und Staubwolken unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammenstürzen. Aber wie das im Einzelnen vor sich geht, ist nicht vollständig geklärt. Wie viele Sterne werden aus einer Wolke geboren? Wie massereich sind sie? Wie viele Sterne werden auch Planeten haben?

Um diese Fragen zu beantworten, untersuchte das Team von Meingast fünf nahe gelegene Sternentstehungsgebiete mit dem VISTA-Teleskop am Paranal-Observatorium der ESO in Chile. Mit der VISTA-Infrarotkamera VIRCAM fing das Team Licht ein, das tief aus dem Inneren der Staubwolken kam. „Der Staub verdeckt die Sicht auf diese jungen Sterne und macht sie für unsere Augen praktisch unsichtbar. Nur bei Infrarot-Wellenlängen können wir tief in diese Wolken hineinschauen und die entstehenden Sterne studieren“, erklärt Alena Rottensteiner, Doktorandin an der Universität Wien und Mitautorin der Studie.

Die VISIONS genannte Studie beobachtete Sternentstehungsgebiete in den Sternbildern Orion, Ophiuchus, Chamäleon, Corona Australis und Lupus. Diese Regionen sind weniger als 1500 Lichtjahre entfernt und so groß, dass sie ein riesiges Gebiet am Himmel abdecken. Der Durchmesser des VIRCAM-Sichtfelds ist so groß wie drei volle Monde, wodurch es sich in einzigartiger Weise für die Kartierung dieser immens großen Regionen eignet.

Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat das Team mehr als eine Million Bilder aufgenommen. Die einzelnen Bilder wurden dann zu den hier veröffentlichten großen Mosaiken zusammengesetzt, die riesige kosmische Landschaften zum Vorschein bringen. Diese detaillierten Panoramen zeigen dunkle Staubflecken, leuchtende Wolken, neugeborene Sterne und die fernen Hintergrundsterne der Milchstraße.

Da dieselben Gebiete wiederholt beobachtet wurden, können die Astronomen und Astronominnen mit den VISIONS-Daten auch untersuchen, wie sich junge Sterne bewegen. „Mit VISIONS beobachten wir diese Baby-Sterne über mehrere Jahre hinweg, sodass wir ihre Bewegung messen und erfahren können, wie sie ihre Elternwolken verlassen“, erklärt João Alves, Astronom an der Universität Wien und leitender Forscher von VISIONS. Das ist kein leichtes Unterfangen, denn die scheinbare Verschiebung dieser Sterne ist von der Erde aus gesehen so klein wie die Breite eines menschlichen Haares aus 10 Kilometern Entfernung. Diese Messungen der Sternbewegungen ergänzen die Messungen der Gaia-Mission der Europäischen Weltraumorganisation bei sichtbaren Wellenlängen, wo junge Sterne durch dicke Staubschleier verdeckt sind.

Der VISIONS-Atlas wird Astronominnen und Astronomen auf Jahre hinaus beschäftigen. „Dieser Atlas hat einen enormen, nachhaltigen Wert für die astronomische Gemeinschaft, weshalb die ESO öffentliche Durchmusterungen wie VISIONS fördert“, sagt Monika Petr-Gotzens, eine Astronomin bei der ESO in Garching, Deutschland, und Mitautorin dieser Studie. Darüber hinaus wird VISIONS den Grundstein für künftige Beobachtungen mit anderen Teleskopen wie dem Extremely Large Telescope (ELT) der ESO legen, das derzeit in Chile gebaut wird und noch in diesem Jahrzehnt in Betrieb gehen soll. „Mit dem ELT können wir in bestimmte Regionen mit noch nie dagewesenem Detailreichtum hineinzoomen und so einen beispiellosen Blick auf einzelne Sterne werfen, die sich dort gerade bilden“, so Meingast abschließend.

Weitere Informationen

Diese Forschungsarbeit wurde in dem Artikel „VISIONS: The VISTA Star Formation Atlas“ vorgestellt, der in Astronomy & Astrophysics erscheint (doi: XXX).

Das Team besteht aus Stefan Meingast (Universität Wien, Österreich [Wien]), João Alves (Wien), Hervé Bouy (Université de Bordeaux, Frankreich [Bordeaux]), Monika G. Petr-Gotzens (Europäische Südsternwarte, Deutschland [ESO]), Verena Fürnkranz (Max-Planck-Institut für Astronomie, Deutschland [MPIA]), Josefa E. Großschedl (Wien), David Hernandez (Wien), Alena Rottensteiner (Wien), Joana Ascenso (Universidade do Porto, Portugal [Porto]; Universidade de Lisboa, Portugal [Lisboa]), Amelia Bayo (ESO; Universidad de Valparaíso, Chile), Erik Brändli (Wien), Anthony G. A. Brown (Universität Leiden, Niederlande), Jan Forbrich (University of Hertfordshire, UK [Hertfordshire]), Alyssa Goodman (Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, USA [CfA]), Alvaro Hacar (Wien), Birgit Hasenberger (Wien), Rainer Köhler (The CHARA Array of Georgia State University, USA), Karolina Kubiak (Lisboa), Michael Kuhn (Hertfordshire), Charles Lada (CfA), Kieran Leschinski (Wien), Marco Lombardi (Università degli Studi di Milano, Italien), Diego Mardones (Universidad de Chile, Chile), Núria Miret-Roig (Europäische Weltraumorganisation, Europäisches Weltraumforschungs- und Technologiezentrum, Niederlande [ESA]), André Moitinho (Lisboa), Koraljka Mužiiić (Porto; Lisboa), Martin Piecka (Wien), Laura Posch (Wien), Timo Prusti (ESA), Karla Peña Ramírez (Universidad de Antofagasta, Chile), Ronny Ramlau (Johannes Kepler Universität Linz, Österreich; Johann Radon Institut für Computational and Applied Mathematics, Österreich), Sebastian Ratzenböck (Wien; Forschungsnetzwerk Data Science an der Uni Wien), Germano Sacco (INAF – Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Italien), Cameren Swiggum (Wien), Paula Stella Teixeira (University of St Andrews, UK), Vanessa Urban (Wien), Eleonora Zari (MPIA) und Catherine Zucker (Bordeaux).

Die Europäische Südsternwarte (ESO) befähigt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit, die Geheimnisse des Universums zum Nutzen aller zu entdecken. Wir entwerfen, bauen und betreiben Observatorien von Weltrang, die Astronominnen und Astronomen nutzen, um spannende Fragen zu beantworten und die Faszination der Astronomie zu wecken, und wir fördern die internationale Zusammenarbeit in der Astronomie. Die ESO wurde 1962 als zwischenstaatliche Organisation gegründet und wird heute von 16 Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Spanien, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich) sowie dem Gastland Chile und Australien als strategischem Partner unterstützt. Der Hauptsitz der ESO und ihr Besucherzentrum und Planetarium, die ESO Supernova, befinden sich in der Nähe von München in Deutschland, während die chilenische Atacama-Wüste, ein wunderbarer Ort mit einzigartigen Bedingungen für die Himmelsbeobachtung, unsere Teleskope beherbergt. Die ESO betreibt drei Beobachtungsstandorte: La Silla, Paranal und Chajnantor. Am Standort Paranal betreibt die ESO das Very Large Telescope und das dazugehörige Very Large Telescope Interferometer sowie Durchmusterungsteleskope wie z. B. VISTA. Ebenfalls am Paranal wird die ESO das Cherenkov Telescope Array South betreiben, das größte und empfindlichste Gammastrahlen-Observatorium der Welt. Zusammen mit internationalen Partnern betreibt die ESO auf Chajnantor APEX und ALMA, zwei Einrichtungen zur Beobachtung des Himmels im Millimeter- und Submillimeterbereich. Auf dem Cerro Armazones in der Nähe von Paranal bauen wir „das größte Auge der Welt am Himmel“ – das Extremely Large Telescope der ESO. Von unseren Büros in Santiago, Chile, aus unterstützen wir unsere Aktivitäten im Land und arbeiten mit chilenischen Partnern und der Gesellschaft zusammen.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.

Medienkontakte

Markus Nielbock (Pressekontakt Deutschland)
ESO Science Outreach Network – Haus der Astronomie
Heidelberg, Deutschland
Tel: +49 6221 528-134
E-Mail: eson-germany@eso.org

Juan Carlos Muñoz Mateos
ESO Media Officer
Garching bei München, Germany
Tel: +49 89 3200 6176
E-Mail: press@eso.org

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Stefan Meingast
Universität Wien
Wien, Österreich
E-Mail: stefan.meingast@univie.ac.at

Originalpublikation:

Stefan Meingast et al., „VISIONS: The VISTA Star Formation Atlas – I. Survey overview“, Astronomy & Astrophysics (2023). doi: 10.1051/0004-6361/202245771

Weitere Informationen:

https://www.eso.org/public/news/eso2307/ – Originalpressemitteilung der ESO mit vielen weiteren Bildern und Videos

Media Contact

ESO Science Outreach Network (Dr. Markus Nielbock) Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Astronomie

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…