Größter Galaxien-Proto-Superhaufen entdeckt
Ein Team von Astronomen unter der Leitung von Olga Cucciati vom Istituto Nazionale di Astrofisica (INAF) Bologna hat mit dem VIMOS-Instrument am Very Large Telescope (VLT) der ESO einen gigantischen Proto-Superhaufen aus Galaxien identifiziert, die sich im frühen Universum bilden, nur 2,3 Milliarden Jahre nach dem Urknall.
Diese Struktur, die die Forscher Hyperion nennen, ist die größte und massereichste Struktur, die so früh in der Entstehung des Universums zu finden ist [1]. Die enorme Masse des Proto-Superhaufens wird auf mehr als eine Million Milliarden Mal höher geschätzt als die der Sonne. Diese gewaltige Ansammlung ähnelt den größten Strukturen, die heute im Universum beobachtet werden. Allerdings überraschte die Entdeckung eines so gewaltigen Objekts im frühen Universum die Astronomen.
„Dies ist das erste Mal, dass eine so große Struktur bei einer solch hohen Rotverschiebung identifiziert wurde, gut 2 Milliarden Jahre nach dem Urknall“, erklärte die Erstautorin der Entdeckungsarbeit, Olga Cucciati [2]. „Normalerweise kennt man diese Art von Strukturen bei niedrigeren Rotverschiebungen, also nachdem das Universum viel mehr Zeit hatte, sich zu entwickeln und solch riesigen Objekte zu bilden. Es war eine Überraschung, etwas derart Entwickeltes zu sehen, als das Universum noch relativ jung war!“
Hyperion befindet sich im COSMOS-Feld in der Konstellation von Sextans (Der Sextant) und wurde durch die Analyse der enormen Datenmenge aus der von Olivier Le Fèvre (Aix-Marseille Université, CNRS, CNES) geleiteten VIMOS-Ultra-Deep Survey identifiziert. Diese Durchmusterung stellt eine beispiellose 3D-Karte der Verteilung von über 10 000 Galaxien im fernen Universum zur Verfügung.
Das Team fand heraus, dass Hyperion eine sehr komplexe Struktur hat, die mindestens sieben Regionen mit hoher Dichte enthält, die durch Filamente von Galaxien verbunden sind. Seine Größe ist vergleichbar mit nahegelegenen Superhaufen, obwohl er eine ganz andere Struktur hat.
„Nahe gelegene Superhaufen neigen zu einer viel konzentrierteren Verteilung der Masse, mit deutlichen strukturellen Merkmalen“, erklärt Brian Lemaux, Astronom der University of California, Davis und LAM und Mitglied des Teams hinter diesem Ergebnis. „Aber in Hyperion ist die Masse viel gleichmäßiger über eine Reihe von zusammenhängenden Klumpen verteilt, die mit losen Gruppierungen von Galaxien bevölkert.“
Dieser Kontrast ist höchstwahrscheinlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Schwerkraft in der Nähe von Superhaufen Milliarden von Jahren Zeit hatte, Materie in dichtere Regionen zu sammeln – ein Prozess, der in dem viel jüngeren Hyperion viel kürzer wirkte.
Angesichts seiner Größe zu einem so frühen Zeitpunkt in der Geschichte des Universums wird erwartet, dass sich Hyperion zu etwas Ähnlichem entwickeln wird wie die riesigen Strukturen im lokalen Universum, wie die Superhaufen der Sloan Great Wall oder der Virgo-Superhaufen, der unsere eigene Galaxie, die Milchstraße, enthält. „Hyperion zu verstehen und mit ähnlichen neuen Strukturen zu vergleichen, kann Einblicke geben, wie sich das Universum in der Vergangenheit entwickelt hat und wie es sich in Zukunft entwickeln wird. Dies gibt uns die Möglichkeit, einige Modelle der Bildung von Superhaufen zu hinterfragen“, schloss Cucciati. „Die Entdeckung dieses kosmischen Titanen hilft, die Geschichte dieser großen Strukturen zu entschlüsseln.“
[1] Der Spitzname Hyperion wurde nach einem Titanen aus der griechischen Mythologie gewählt, da der Proto-Superhaufen eine enorme Größe und Masse aufweist. Die Inspiration für diese mythologische Namensgebung stammt von einem zuvor entdeckten Proto-Haufen, das in Hyperion gefunden wurde und den Namen Colossus trägt. Den einzelnen Gebieten mit hoher Dichte in Hyperion wurden mythologische Namen wie Theia, Eos, Selene und Helios zugeordnet, letztere sind in der antiken Statue des Kolosses von Rhodos dargestellt.
Die gewaltige Masse von Hyperion, eine Million Milliarden Mal so groß wie die der Sonne, sind 1015 Sonnenmassen in wissenschaftlicher Notation.
[2] Licht, das die Erde aus extrem entfernten Galaxien erreicht, benötigt für seine Reise eine lange Zeit. Dies eröffnet uns ein Fenster in die Vergangenheit, als das Universum noch viel jünger war. Die Wellenlänge dieses Lichts wurde durch die Ausdehnung des Universums auf seiner Reise gedehnt, ein Effekt, der als kosmologische Rotverschiebung bekannt ist. Entfernte, ältere Objekte haben eine entsprechend größere Rotverschiebung, was dazu führt, dass Astronomen oft Rotverschiebungen und Alter wechselseitig nutzen. Hyperions Rotverschiebung von 2,45 bedeutet, dass Astronomen den Proto-Superhaufen so beobachteten, wie er 2,3 Milliarden Jahre nach dem Urknall war.
Diese Forschung ist in der Arbeit „The progeny of a Cosmic Titan: a massive multi-component proto-supercluster in formation at z=2.45 in VUDS“ veröffentlicht, die in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erscheinen wird.
Das Team hinter diesem Ergebnis bestand aus O. Cucciati (INAF-OAS Bologna, Italien), B. C. Lemaux (University of California, Davis, USA und LAM – Aix Marseille Université, CNRS, CNES, Frankreich), G. Zamorani (INAF-OAS Bologna, Italien), O. Le Fèvre (LAM – Aix Marseille Université, CNRS, CNES, Frankreich), L. A. M. Tasca (LAM – Aix Marseille Université, CNRS, CNES, Frankreich), N. P. Hathi (Space Telescope Science Institute, Baltimore, USA), K-G. Lee (Kavli IPMU (WPI), The University of Tokyo, Japan, & Lawrence Berkeley National Laboratory, USA), S. Bardelli (INAF-OAS Bologna, Italien), P. Cassata (University of Padova, Italien), B. Garilli (INAF-IASF Milano, Italien), V. Le Brun (LAM – Aix Marseille Université, CNRS, CNES, Frankreich), D. Maccagni (INAF-IASF Mailand, Italien), L. Pentericci (INAF-Osservatorio Astronomico di Roma, Italien), R. Thomas (European Southern Observatory, Vitacura, Chile), E. Vanzella (INAF-OAS Bologna, Italien), E. Zucca (INAF-OAS Bologna, Italien), L. M. Lubin (University of California, Davis, USA), R. Amorin (Kavli Institute for Cosmology & Cavendish Laboratory, University of Cambridge, UK), L. P. Cassarà (INAF-IASF Milano, Italien), A. Cimatti (University of Bologna & INAF-OAS Bologna, Italien), M. Talia (Universität Bologna, Italien), D. Vergani (INAF-OAS Bologna, Italien), A. Koekemoer (Space Telescope Science Institute, Baltimore, USA), J. Pforr (ESA ESTEC, Niederlande) und M. Salvato (Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik, Garching bei München, Deutschland).
Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Die Organisation hat 16 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Hinzu kommen das Gastland Chile und Australien als strategischer Partner. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist außerdem einer der Hauptpartner bei zwei Projekten auf Chajnantor, APEX und ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das Extremely Large Telescope (ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.
Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.
Dr. Markus Nielbock
Haus der Astronomie
Heidelberg, Deutschland
Tel: +49(0)6221 528134
E-Mail: nielbock@hda-hd.de
Olga Cucciati
INAF Fellow – Osservatorio di Astrofisica e Scienza dello Spazio di Bologna
Bologna, Italy
E-Mail: olga.cucciati@inaf.it
Calum Turner
ESO Public Information Officer
Garching bei München, Germany
Tel: +49 89 3200 6670
E-Mail: pio@eso.org
Connect with ESO on social media
Dies ist eine Übersetzung der ESO-Pressemitteilung eso1833.
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie
Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.
Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…