Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“ kann wichtige Anwendungen im Zusammenhang mit der Kontrolle und Analyse verschiedener Eigenschaften von 2D- und 3D-Materialien haben, was wiederum die Weiterentwicklung von Spitzenbereichen wie Informationsverarbeitung und Quantencomputing ermöglichen kann. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit des ICFO – The Institute of Photonic Sciences mit dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, dem Max-Born-Institut und dem Instituto de Ciencia de Materiales de Madrid realisiert.

Schematische Darstellung des Talpolarisationseffekts, bei dem das einfallende Kleeblattfeld (in lila) eine Talpolarisation im Volumenmaterial MoS2 verursacht. Dieser Effekt kann durch Drehen des Feldes in Bezug auf das Material gesteuert werden. (Copyright: ©ICFO)

Elektronen in festen Materialien können nur bestimmte Energiewerte annehmen. Die erlaubten Energiebereiche werden „Bänder“ genannt, und der Raum zwischen ihnen, die verbotenen Energien, sind als „Bandlücken“ bekannt. Beide zusammen bilden die „Bandstruktur“ des Materials, die ein einzigartiges Merkmal für jedes spezifische Materials ist.

Wenn Physiker die Bandstruktur aufzeichnen, sehen sie normalerweise, dass die resultierenden Kurven Bergen und Tälern ähneln. Der Fachausdruck für ein lokales Energiemaximum oder -minimum in den Bändern lautet „Tal“. Der Bereich, in dem untersucht und ausgewertet wird, wie Elektronen in einem Material von einem Tal zum anderen wechseln, wird als „Valleytronics“ bezeichnet.

In der Standard-Halbleiterelektronik ist die elektrische Ladung der Elektronen die am häufigsten genutzte Eigenschaft, die zur Codierung und Manipulation von Informationen genutzt wird. Diese Teilchen haben aber auch andere Eigenschaften, die für den gleichen Zweck genutzt werden könnten, wie z. B. das Tal, in dem sie sich befinden. In den letzten zehn Jahren bestand das Hauptziel von „Valleytronics“ darin, die Kontrolle über die Talbesetzung (auch bekannt als Talpolarisation) in Materialien zu erreichen. Eine solche Errungenschaft könnte zur Schaffung von klassischen und Quantengattern und -bits verwendet werden, was die Entwicklung von Computern und Quanteninformationsverarbeitung vorantreiben könnte.

Frühere Versuche hatten mehrere Nachteile. So musste das Licht, das zur Manipulation und Änderung der Talpolarisation verwendet wurde, resonant sein. Dies bedeutet, dass die Energie seiner Photonen (der Teilchen, aus denen das Licht besteht) genau der Energie der Bandlücke des jeweiligen Materials entsprechen musste. Jede kleine Abweichung verringerte die Effizienz der Methode, so dass eine eine Generalisierung des vorgesehenen Mechanismus unerreichbar schien, vorausgesetzt, jedes Material hat seine eigene Bandlücke. Darüber hinaus wurde dieses Verfahren nur für einschichtige Strukturen (2D-Materialien mit einer Dicke von nur einem Atom) angewandt. Diese Voraussetzung erschwerte die praktische Umsetzung, da Monoschichten in der Regel nur eine begrenzte Größe und Qualität haben und schwer herzustellen sind.

Jetzt haben die ICFO-Forscher Igor Tyulnev, Julita Poborska und Dr. Lenard Vamos unter der Leitung von Prof. Jens Biegert vom ICREA in Zusammenarbeit mit P. St. J. Russell und Francesco Tani des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts, Forschern des Max-Born-Instituts und des Instituto de Ciencia de Materiales de Madrid eine neue universelle Methode zur Erzeugung von Talpolarisation in zentrosymmetrischen Materialien gefunden. Die Entdeckung eröffnet die Möglichkeit, die Talpolarisation zu kontrollieren und zu manipulieren, ohne durch das gewählte Material eingeschränkt zu sein. Gleichzeitig kann die Methode für eine detailliertere Charakterisierung von Kristallen und 2D-Materialien verwendet werden.

Talpolarisation in „bulk materials“ ist möglich

Das Abenteuer begann mit der experimentellen Gruppe unter der Leitung von ICREA-Professor Jens Biegert, die zunächst die Talpolarisation mit ihrer speziellen Methode in 2D-Materialien experimentell erzeugen wollte, wie es in einer früheren theoretischen Arbeit von Álvaro Jiménez, Rui Silva und Misha Ivanov theoretisch nachgewiesen worden war. Zur Vorbereitung des Experiments wurde die erste Messung an MoS2 -Materialien (ein „bulk material“ besteht aus vielen übereinander gestapelten Monoschichten) durchgeführt, mit dem überraschenden Ergebnis, dass sie die Signatur der Talpolarisation sahen. „Als wir mit der Arbeit an diesem Projekt begannen, wurde uns von unseren Theoretikern gesagt, dass der Nachweis von Talpolarisation in „bulk materials“ ziemlich unmöglich sei“, erklärt Julita Poborska.

Das Theoretikerteam bemerkte auch, dass ihr Modell anfangs nur für einzelne 2D-Schichten geeignet war. „Auf den ersten Blick schien es so, als ob das Hinzufügen weiterer Schichten die Auswahl bestimmter Täler in der Probe behindern würde. Aber nach den ersten experimentellen Ergebnissen passten wir die Simulation am „bulk material“ an, und sie bestätigte die Beobachtungen erstaunlich gut. Wir haben nicht einmal versucht, irgendetwas anzupassen. Es hat sich einfach so ergeben“, fügt Prof. Misha Ivanov, der leitende Theoretiker, hinzu. Am Ende „stellte sich heraus, dass man tatsächlich „bulk materials“, die zentral symmetrisch sind, aufgrund der Symmetriebedingungen talpolarisieren kann“, so Poborska.

Wie Igor Tyulnev, Erstautor des Artikels, erklärt, „bestand unser Experiment darin, einen intensiven Lichtpuls mit einer Polarisation zu erzeugen, die zu dieser inneren Struktur passte. Das Ergebnis war das so genannte „Trefoil-Feld“ (Kleeblatt-Feld), dessen Symmetrie mit den dreieckigen Untergittern übereinstimmt, die die hexagonalen Materialien der Heteroatome bilden“.

„Dieses symmetrieangepasste starke Feld bricht die Raum- und Zeitsymmetrie innerhalb des Materials, und, was noch wichtiger ist, die resultierende Konfiguration hängt von der Ausrichtung des Trefoil-Feldes in Bezug auf das Material ab. Durch einfache Drehung des einfallenden Lichtfelds konnten wir die Talpolarisation modulieren“, so Tyulnev weiter. Dies ist eine wichtige Errungenschaft auf diesem Gebiet und eine Bestätigung für eine neuartige universelle Technik, mit der die Elektronentäler in Bulk-Materialien kontrolliert und manipuliert werden können.

P. St. J. Russell und Francesco Tani die Plattform (eine Hohlkern-Photokristallfaser) für die Realisierung des Trefoil-Feldes zur Verfügung. „Die Realisierung eines Trefoil-Feldes kann ziemlich schwierig sein, aber gute Ideen und Hohlkernfasern machen alles einfacher“, sagt Francesco Tani, Leiter der Forschungsgruppe „Ultrafast & Twisted Photonics“.

Der experimentelle Prozess

Das Experiment lässt sich in drei Hauptschritten erklären: Die Synthese des Trefoil-Feldes, seine Charakterisierung und schließlich die eigentliche Erzeugung der Talpolarisation.
Die Forscher*innen betonen die unglaublich hohe Präzision, die der Charakterisierungsprozess erforderte, da das Trefoil-Feld nicht nur aus einem, sondern aus zwei kohärent kombinierten optischen Feldern besteht. Eines davon musste in eine Richtung zirkular, das andere entgegengesetzt dazu polarisiert sein. Sie überlagerten diese Felder, so dass die Gesamtpolarisation in der Zeit die gewünschte Kleeblattform ergab.

Drei Jahre nach den ersten experimentellen Versuchen ist Igor Tyulnev von der jüngsten Veröffentlichung in Nature begeistert. Die neue universelle Methode ist, wie er sagt, „nicht nur zur Kontrolle der Eigenschaften einer Vielzahl chemischer Spezies, sondern kann auch zur Charakterisierung von Kristallen und 2D-Materialien verwendet werden“.

Prof. Jens Biegert, ICREA am ICFO, erklärt: „Unsere Methode kann einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung energieeffizienter Materialien für eine effiziente Informationsspeicherung und schnelle Schaltvorgänge leisten. Dies entspricht dem dringenden Bedarf an Geräten mit niedrigem Energieverbrauch und erhöhter Rechengeschwindigkeit. Ich kann nicht versprechen, dass das, was wir geliefert haben, DIE Lösung ist, aber es ist wahrscheinlich eine Lösung für diese große Herausforderung.“

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

ICREA Prof. Jens Biegert
Leader of the Attoscience and Ultra-Fast Optics research group
E. jens.biegert@icfo.eu
T. +34 93 553 4059

Originalpublikation:

Valleytronics in bulk MoS2 with a topologic optical field, Igor Tyulnev, Álvaro Jiménez-Galán, Julita Poborska, Lenard Vamos, Rui F. Silva, Philip St. J. Russell, Francesco Tani, Olga Smirnova, Misha Ivanov, Jens Biegert, 2024, NATURE,
https://www.nature.com/articles/s41586-024-07156-y

https://mpl.mpg.de/de/news-events/neues-aus-dem-institut/news…

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