Neutrinofabriken in den Tiefen des Weltraums

Künstlerische Darstellung eines Blazars, der kosmische Strahlung, Neutrinos und Photonen auf hohe Energien beschleunigt, wie sie in PeVatron-Blazaren beobachtet werden.
(c) Benjamin Amend

Neutrinos, die unseren Planeten aus den Tiefen des Universums erreichen, stammen von Blazaren. Das hat ein Team aus der Astrophysik nun erstmals nachgewiesen.

Die Erdatmosphäre wird ständig von kosmischer Strahlung bombardiert. Diese besteht aus elektrisch geladenen Teilchen mit Energien von bis zu 10 hoch 20 Elektronenvolt. Das ist eine Million Mal mehr als die Energie, die im leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt erreicht wird, dem Large Hadron Collider bei Genf.

Die extrem energiereichen Teilchen kommen aus den Tiefen des Weltraums, sie haben Milliarden von Lichtjahren zurückgelegt. Woher kommen sie, was schießt sie mit so ungeheurer Wucht durch das Universum? Diese Fragen gehören zu den größten Herausforderungen der Astrophysik seit über einem Jahrhundert.

Die Geburtsstätten der kosmischen Strahlung erzeugen Neutrinos. Das sind neutrale Teilchen, die sich nur schwer nachweisen lassen. Sie haben fast keine Masse und treten kaum mit Materie in Wechselwirkung. Sie rasen durch das Universum und können Galaxien, Planeten und den menschlichen Körper fast spurlos durchqueren.

„Astrophysikalische Neutrinos entstehen ausschließlich in Prozessen, bei denen die kosmische Strahlung beschleunigt wird“, erklärt Astrophysik-Professorin Sara Buson von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg. Genau das macht diese Neutrinos zu einzigartigen Boten, die den Weg zur Lokalisierung der Quellen kosmischer Strahlung ebnen.

Artikel in Science löste kontroverse Debatte aus

Trotz der riesigen Datenmenge, die Astrophysiker gesammelt haben, ist die Zuordnung von hochenergetischen Neutrinos zu den astrophysikalischen Quellen, aus denen sie stammen, seit Jahren ein ungelöstes Problem. Sara Buson hat das immer als eine spannende Herausforderung betrachtet.

2017 brachten die Forscherin und weitere Kollegen von ihr in der Fachzeitschrift Science erstmals einen Blazar (TXS 0506+056) als mutmaßliche Neutrinoquelle ins Gespräch. Blazare sind aktive galaktische Kerne, die von supermassiven schwarzen Löchern angetrieben werden und viel mehr Strahlung aussenden als ihre gesamte Galaxie. Die Veröffentlichung löste eine wissenschaftliche Debatte darüber aus, ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Blazaren und hochenergetischen Neutrinos gibt.

Erfolg mit Multi-Messenger-Analysen

Nach diesem ersten ermutigenden Schritt begann die Gruppe von Professor Buson im Juni 2021 ein ehrgeiziges Multi-Messenger-Forschungsprojekt, das vom Europäischen Forschungsrat unterstützt wird. Dabei geht es darum, verschiedene Signale („messenger“, zum Beispiel Neutrinos) aus dem Universum zu analysieren. Das Hauptziel besteht darin, den Ursprung astrophysikalischer Neutrinos zu klären und möglicherweise Blazare als erste Quelle extragalaktischer hochenergetischer Neutrinos zu identifizieren.

Das Projekt zeigt nun einen ersten Erfolg: In der Fachzeitschrift Astrophysical Journal Letters berichtet Sara Buson zusammen mit ihrer Gruppe, dem ehemaligen Postdoc Raniere de Menezes und mit Andrea Tramacere von der Universität Genf, dass Blazare mit einem noch nie dagewesenen Grad an Sicherheit mit astrophysikalischen Neutrinos in Verbindung gebracht werden können.

PeVatron-Blazare als extragalaktische Neutrinofabriken identifiziert

„Wir nutzen Neutrinodaten, die vom IceCube-Neutrino-Observatorium in der Antarktis gewonnen wurden – dem empfindlichsten Neutrinodetektor, der derzeit in Betrieb ist – und einen Katalog von astrophysikalischen Objekten, die mit Sicherheit als Blazare identifiziert wurden“, sagt die JMU-Professorin.

„Wir haben eine Kreuzkorrelationsanalyse zwischen den Datenproben durchgeführt und starke Belege dafür gefunden, dass eine Untergruppe von Blazaren die beobachteten hochenergetischen Neutrinos erzeugt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um einen Zufall handelt, ist sehr gering und liegt bei nur 6 × 10 hoch minus 7, also bei weniger als eins zu einer Million.

Die Ergebnisse liefern zum ersten Mal einen unwiderlegbaren Beobachtungsbeweis dafür, dass die Untergruppe der PeVatron-Blazare extragalaktische Neutrinoquellen und damit Beschleuniger der kosmischen Strahlung sind.“

Laut Sara Buson ist die Entdeckung dieser hochenergetischen Neutrinofabriken ein Meilenstein für die Astrophysik: „Sie bringt uns einen Schritt weiter bei der Lösung des jahrhundertelangen Rätsels um den Ursprung der kosmischen Strahlung.“

Nur die Spitze des Eisbergs

Trotz dieses Erfolges ist sich die JMU-Forscherin bewusst, dass es noch viel zu tun gibt. Sie zitiert den Wissenschaftler Blaise Pascal aus dem 17. Jahrhundert: „Das Wissen ist wie eine Kugel: Je größer ihr Volumen ist, desto größer ist ihr Kontakt mit dem Unbekannten.“

Das gilt auch für Busons Forschung: „Was wir beobachten, ist nur die Spitze des Eisbergs, das sind möglicherweise nur die hellsten und effizientesten Neutrino-Emitter.“ In der Tat, sagt sie, habe sich die statistische Analyse nur auf die vielversprechendsten IceCube-Neutrinodaten konzentriert. Buson erwartet, dass anspruchsvollere Analysetechniken weitere Entdeckungen bringen werden.

Die PeVatron-Blazare sind eine neue Herausforderung für die Multi-Messenger-Astrophysik, so Buson: „Was macht diese Gruppe von Blazaren so besonders unter den Tausenden von vergleichbaren Objekten in unserem Universum? Diese und andere Fragen werden unsere Multi-Messenger-Gemeinschaft in den kommenden Jahrzehnten beschäftigen.“

Förderung
Der Europäische Forschungsrat hat die beschriebene Arbeit mit einem Starting Grant für Sara Buson gefördert. ID: 949555, „Mapping Highly-Energetic Messengers across the Universe“ (MessMapp).

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Sara Buson, Lehrstuhl für Astronomie, Universität Würzburg, sara.buson@astro.uni-wuerzburg.de

Originalpublikation:

“Beginning a journey across the Universe: the discovery of extragalactic neutrino factories“, Astrophysical Journal Letters, 14. Juli 2022, Open Access, https://doi.org/10.3847/2041-8213/ac7d5b

http://www.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

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