Planeten-Embryos benützen radioaktive Elemente als Wärmequelle
Neue Hinweise auf die Entstehung unseres Sonnensystems
Astrophysiker João Alves von der Universität Wien hat gemeinsam mit einem internationalen Team eine Region des Sternbilds Schlangenträger untersucht, in der aktiv Sterne gebildet werden, und damit Einblicke in jene Bedingungen gewinnen können, unter denen sich auch unser Sonnensystem gebildet hat: nämlich durch Anreicherung mit kurzlebigen radioaktiven Elementen. Diese Energiequelle spielte schon früh eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Planeten, denn sie waren die Hauptwärmequelle für „Planeten-Embryos“.
Diese radioaktiven Elemente könnten von einem in der Nähe explodierenden Stern (einer Supernova) oder den starken Sternwinden eines massereichen Sterns, auch als Wolf-Rayet-Stern bekannt, auf das sich entwickelnde Sonnensystem geweht worden sein. Das Vorkommen radioaktiven Materials bei der Entstehung des Sonnensystems gibt den Forscher*innen bereits seit 50 Jahren große Rätsel auf. Ist die Voraussetzung für die Bildung von Planetensystemen, dass sie sich weder zu nah, noch zu weit entfernt von einer Quelle radioaktiven Materials befinden?
Die Autoren der neuen Studie verwendeten Multi-Wellenlängen-Beobachtungen der Sternentstehungsregion Schlangenträger, darunter auch spektakuläre neue Infrarotdaten des von Wien geleiteten Projekts VISIONS, das derzeit mit dem ESO-Teleskop in der chilenischen Wüste durchgeführt wird. Die Daten zeigen die Wechselwirkungen zwischen den Wolken von sternbildenden Gasen und Radionukliden, die im nächstgelegenen aus jungen Sternen bestehenden Sternhaufen entstanden. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass Supernovae der vorangegangen Sterngeneration die wahrscheinlichste Quelle kurzlebiger Radionuklide in den sternbildenden Wolken sind.
„Unser Sonnensystem entstand höchstwahrscheinlich durch das Zusammenspiel einer riesigen Molekülwolke sowie eines jungen Sternhaufens. Ein oder mehrere Supernova-Ereignisse einiger massereicher Sterne in diesem Sternhaufen kontaminierten das Gas, das schließlich die Sonne und ihr Planetensystem entstehen ließ“, sagt Douglas N. C. Lin, emeritierter Professor für Astronomie und Astrophysik an der UC Santa Cruz. „Obwohl dieses Szenario lange zurückliegt, liegen die Stärken dieser Studie in der Verwendung von Multi-Wellenlängen-Beobachtungen und einer ausgeklügelten statistischen Analyse, die es ermöglichen, eine quantitative Messung der Wahrscheinlichkeit dieses Modells anzustellen.“
Der Schlangenträger-Wolkenkomplex enthält viele dichte protostellare Kerne in verschiedenen Stadien der Sternenentstehung und der Entwicklung protoplanetarer Scheiben, welche die frühesten Stadien der Bildung eines Planetensystems darstellen. Durch die Kombination von Bilddaten in Wellenlängen von Millimetern bis hin zu Gammastrahlen konnten die Forscher*innen einen Strom von Aluminium-26 des nahe gelegenen Sternhaufens in Richtung der Sternentstehungsregion Schlangenträger visualisieren.
„Der Anreicherungsprozess, den wir im Schlangenträger sehen, stimmt mit dem überein, was bei der Bildung des Sonnensystems vor 5 Milliarden Jahren geschah“, sagt Erstautor John C. Forbes. „Als wir dieses passende Beispiel für einen möglichen Ablauf des Prozesses entdeckt hatten, versuchten wir, den nahe gelegenen Sternhaufen zu modellieren, der jene Radionuklide produzierte, die wir heute in Form von Gammastrahlen sehen. Wir verfügen mittlerweile über ausreichend Informationen, um sagen zu können, dass dieses Ereignis zu 59% durch Supernovae und zu 68% durch mehrere Quellen und nicht ausschließlich durch eine Supernova verursacht wurde“, so Forbes.
„Diese Form von statistischer Analyse weist Szenarien Wahrscheinlichkeiten zu, die Astronom*innen seit 50 Jahren diskutieren, bemerkt Lin. „Wahrscheinlichkeiten zu quantifizieren ist in der Astronomie richtungsweisend“, ergänzt er.
„Der Schlangenträger als Sternentstehungsregion ist nichts Besonderes“, sagt João Alves. „Es handelt sich lediglich um eine typische Struktur aus Gas und jungen massereichen Sternen. Daher sollten unsere Ergebnisse repräsentativ für die Anreicherung kurzlebiger radioaktiver Elemente bei der Stern- und Planetenbildung entlang der Milchstraße sein. Wir sind nichts Besonderes und sollten davon ausgehen, dass auch viele andere Sonnensysteme wie unseres in der Milchstraße schweben.“
Die aktuellen Ergebnisse zeigen auch, dass die Anzahl der kurzlebigen Radionuklide, die sich in neu entstehenden Sternensystemen befinden, stark variieren kann. „Viele neue Sternensysteme werden mit einer Fülle von Aluminium-26 gebildet, so wie in unserem Sonnensystem. Die Schwankungen sind dennoch enorm – wir sprechen von mehreren Größenordnungen“, erklärt Forbes. „Das ist entscheidend für die frühe Entwicklung von Planetensystemen, da Aluminium-26 die wichtigste frühe Wärmequelle ist. Mehr Aluminium-26 bedeutet wahrscheinlich trockenere Planeten.“
Das Team verwendete auch Daten des VISTA-Teleskops der Europäischen Südsternwarte, des Herschel Space Observatory der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), des Planck-Satelliten der ESA und des Compton Gamma Ray Observatory der NASA.
Publikation in Nature Astronomy:
John C. Forbes, João Alves, Douglas N. C. Lin. A Solar System formation analogue in the Ophiuchus star-forming complex. Nature Astronomy, 2021, https://doi.org/10.1038/s41550-021-01442-9
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Univ.-Prof. Dr. João Alves
Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie
Universität Wien
1090 – Wien, Althanstraße 14
+43-1-4277-53810
joao.alves@univie.ac.at
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