Scharfe Röntgenbilder trotz fehlerhafter Linsen
Forschungsteam der Universität Göttingen entwickelt neue Methode für Röntgenmikroskopie.
Das Innere von Körpern und Objekten lässt sich durch Röntgenstrahlung in Detail ausleuchten und erkunden. Was im Alltag aus der medizinischen Bildgebung oder der Gepäckkontrolle am Flughafen bekannt ist, funktioniert auch für mikroskopisch kleine Strukturen, wie sie in der Materialwissenschaft oder der Biologie erforscht werden. Möchte man zum Beispiel den dreidimensionalen Aufbau von Materialien, Organismen oder Geweben untersuchen, ohne die Probe zu zerschneiden, kann man die Röntgenmikroskopie nutzen. Leider ist die Leistungsfähigkeit der Röntgenmikroskopie durch die Schwierigkeiten bei der Linsenherstellung limitiert.
Ein Team des Instituts für Röntgenphysik der Universität Göttingen hat nun gezeigt, dass sich trotz der Herstellungsgrenzen von Röntgenlinsen bei einer bestimmten experimentellen Anordnung und nachgeschalteter numerischer Bildrekonstruktion eine sehr viel höhere Bildqualität und Schärfe erreichen lassen, als bislang bekannt: Ein Algorithmus kompensiert dabei die Defizite der Linsen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Physical Review Letters erschienen.
Die Wissenschaftler verwendeten eine Objektivlinse, die aus fein strukturierten Schichten von wenigen Atomlagen bestand und aus konzentrischen Ringen auf einem dünnen Draht abgeschieden wurde. Die Linse mit einem Durchmesser von weniger als einem Fünfzigstel Millimeter wurde dann im hochbrillanten Röntgenstrahl am Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) in Hamburg zwischen dem abzubildenden Objekt und einer Röntgenkamera justiert. Auf der Kamera erhielten die Forscher drei unterschiedliche Arten von Signalen, die zusammen die vollständigen Informationen über die Struktur des unbekannten Objektes lieferten, selbst wenn die Objekte die Röntgenstrahlung nur wenig oder gar nicht absorbierten. Es musste nur noch ein geeigneter Algorithmus gefunden werden, mit dem die kodierte Information entschlüsselt und zu einem scharfen Bild rekonstruiert werden konnte. Für die Lösung war es entscheidend, die keineswegs perfekte Linse selbst genauestens zu vermessen und dabei ganz auf idealisierende Annahmen zu verzichten. In ihrer ersten Anwendung untersuchten die Forscher Halbleiter-Nanodrähte, die als mögliche neue Materialien für die Photovoltaik von Interesse sind.
„Erst durch die Kombination aus Linsen und numerischen Bildrekonstruktion erreichen wir die hohe Bildqualität“, erklärt Erstautor Dr. Jakob Soltau. „Damit kompensieren wir die Tatsache, dass Röntgenlinsen mit der benötigten Feinstruktur und Qualität nicht hergestellt werden können“, ergänzt Dr. Markus Osterhoff. „Zwischenzeitlich hatten sich viele Forscher daher schon von der Röntgenmikroskopie mit Linsen abgewendet und stattdessen versucht, die Linsen vollständig durch Algorithmen zu ersetzen. Durch Linsen und Algorithmen lässt sich nun mit unserem Ansatz das Beste von zwei Welten kombinieren“, schließt Prof. Dr. Tim Salditt. Ein besonderer Vorteil der neuen Methode besteht darin, dass das Objekt nicht abgerastert werden muss und sich daher auch sehr schnelle mikroskopische Prozesse in Materialien „filmen“ lassen. Solche Experimente sind als nächster Schritt am DESY und am europäischen Röntgenlaser in Hamburg geplant.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Tim Salditt
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Physik – Institut für Röntgenphysik
Telefon: (0551) 39-25556
E-Mail: tsaldit@gwdg.de
Internet: http://www.uni-goettingen.de/de/563229.html
Dr. Jakob Soltau
Telefon: (0551) 39-25556
E-Mail: jakob.soltau@uni-goettingen.de
Dr. Markus Osterhoff
Telefon: (0551) 39-25556
E-Mail: mosterh1@gwdg.de
Originalpublikation:
Jakob Soltau, Markus Osterhoff & Tim Salditt. Coherent diffractive imaging with diffractive optics. Physical Review Letters 2022. https://journals.aps.org/prl/accepted/92074Y4cZ8510b70943290056cd810d85f966689f.
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie
Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.
Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…