Singularitäten in den Navier-Stokes-Gleichungen?
Wahrscheinlich keine!
In ihrer neuen Studie, die heute in Nature Communications veröffentlicht wurde, haben Forscher am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) einen neuartigen Regularisierungsmechanismus entschlüsselt, der in den Navier-Stokes-Gleichungen kodiert ist und eine neue Richtung für den Ausschluss von Singularitäten bietet.
Vom Rühren von Zucker im Kaffee bis hin zu globalen Wettermustern – turbulente Strömungen prägen ständig das Leben um uns herum. Mathematisch werden sie durch die Navier-Stokes-Gleichungen beschrieben, wie sie seit fast zwei Jahrhunderten bekannt sind. Trotz der weit verbreiteten Verwendung dieser Gleichungen zur Beschreibung turbulenter Strömungen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften bleibt unklar, ob sie ein gut gestelltes Problem darstellen, d.h. ob die Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen immer glatt bleiben oder ob sie Singularitäten entwickeln können. Dieses Rätsel ist den Forschern trotz jahrzehntelanger intensiver Bemühungen entgangen und wird vom Clay Mathematics Institute als eines der herausragenden Probleme des Millenniumspreises aufgeführt.
Die Navier-Stokes-Gleichungen drücken mathematisch die Erhaltung von Masse und Impuls für die Bewegung von Flüssigkeiten wie Luft und Wasser aus. Bewegt sich die Flüssigkeit, das Fluid ausreichend schnell, wird diese Bewegung sprunghaft und unvorhersehbar, d.h. turbulent. In diesem Zustand ist die Fluidbewegung durch die spontane Bildung sehr intensiver Wirbel (Eddies) gekennzeichnet, in denen das Fluid schnell rotiert.
Dieses Verhalten ist eine Folge der Nichtlinearität der Navier-Stokes-Gleichungen, die die Rotationsrate an die lokale Tendenz der Strömung koppelt, das Fluid zu verformen und zu strecken, wodurch sich die Rotationsrate erhöhen kann-ganz ähnlich zur Pirouette im Eiskunstlauf. Wenn die Rotation intensiver wird, setzt innere Reibung (Viskosität) ein, die die Bewegung schließlich in Wärme umwandelt.
Frühere Studien haben gezeigt, dass die Navier-Stokes-Gleichungen dieses Bild im Allgemeinen korrekt beschreiben können. Ein formaler mathematischer Beweis, dass die Viskosität immer das Auftreten einer unendlichen Rotationsgeschwindigkeit in Wirbeln (eine Singularität) verhindert, ist jedoch schwer zu erbringen. Sollte eine solche Singularität existieren, würde sie die auf den Navier-Stokes-Gleichungen basierenden Vorhersagen ernsthaft in Frage stellen und uns somit zwingen, einen der Eckpfeiler der Physik und Technik neu zu überdenken.
Eine große Schwierigkeit beim Verständnis der nichtlinearen Wirkprinzipien in den Navier-Stokes-Gleichungen ergibt sich aus ihrer Nichtlokalität, was im Wesentlichen bedeutet, dass alle Freiheitsgrade der Strömung miteinander gekoppelt sind. Mit anderen Worten, die Flüssigkeitsbewegung an einem beliebigen Punkt in der Strömung wird durch die Strömungseigenschaften an allen anderen Punkten beeinflusst, so dass man gezwungen ist, die Strömung als Ganzes zu analysieren. Die Nichtlokalität ist eine herausragende theoretische Schwierigkeit, die seit Jahrzehnten grundlegende Fortschritte bei Turbulenzen behindert.
Das Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation hat nun eine neuartige Analysetechnik angewendet, um diese Nichtlokalität in den Griff zu bekommen. Die Dehnungsbewegung in der Flüssigkeit kann mittels eines Integrals über die gesamte Domäne in Form der Rotationsrate ausgedrückt werden.
Dieses Integral kann dann in zwei Teile zerlegt werden: einen lokalen Beitrag in der Nähe der Wirbel und den verbleibenden Beitrag, der sich aus dem Rest der Domäne ergibt. „Ein entscheidender Schritt bei der Durchführung dieser Zerlegung bestand darin, eine effiziente Methode anzuwenden, die es uns erlaubt, diese Beiträge numerisch zu bewerten, da sie immer noch nicht analytisch ausgewertet werden können“, sagt Dr. Dhawal Buaria, der Hauptautor des Manuskripts, der jetzt als Forscher an der New York University tätig ist.
„Mit unseren Zerlegungsmethoden zur Analyse hochaufgelöster Lösungen der Navier-Stokes-Gleichungen konnten wir zeigen, dass die Nichtlinearität in der Nähe der Wirbel überraschenderweise dazu neigt, die Rotationsgeschwindigkeit der Flüssigkeit ähnlich wie die Viskosität zu unterdrücken, wodurch Singularitäten möglicherweise ausgeschlossen werden“, fügte Dr. Dhawal Buaria weiter hinzu.
Die unerwarteten Ergebnisse dieser Arbeit deuten darauf hin, dass die nichtlineare Verstärkung der Fluidrotationsrate deutlich schwächer zu sein scheint als das, was für eine singuläre Lösung erforderlich wäre, und dass sie dazu beitragen könnte, das berüchtigte Regelmäßigkeitsproblem der Navier-Stokes-Gleichungen zu lösen. Prof. Alain Pumir, ausländisches Mitglied des MPIDS und Forschungsdirektor an der ENS Lyon fügt hinzu: „Unsere Analyse zeigt, dass Singularitäten in den Navier-Stokes-Gleichungen selbst bei höchsten Intensitäten in turbulenten Strömungen unwahrscheinlich sind. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass die Navier-Stokes-Gleichung tatsächlich gut begründet ist“.
Das grundlegende Verständnis der Navier-Stokes-Gleichungen, das noch verfeinert werden muss, könnte wichtige Erkenntnisse über die Struktur turbulenter Strömungen liefern und zur Entwicklung genauerer Turbulenzmodelle beitragen. „Viele faszinierende Phänomene in der Atmosphäre, die für die Dynamik und Entwicklung des Klimas entscheidend sind, beruhen auf den Eigenschaften der Turbulenz. Aus diesem Grund ist ein detailliertes Verständnis turbulenter Strömungen heute wichtiger denn je“, schließt Prof. Eberhard Bodenschatz, Direktor am MPIDS.
Originalpublikation:
Dhawal Buaria, Alain Pumir and Eberhard Bodenschatz, „Self-attenuation of extreme events in Navier–Stokes turbulence“, Nature Communications volume 11 (2020) 5852, DOI 10.1038/s41467-020-19530-1
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