Staubteilchen vom Rand des Sonnensystems auf TU-Dach
Herkunft von Mikrometeoriten erstmals mit Hilfe aufwendiger Computersimulationen und Experimente bestimmt.
Bürgerwissenschaftler*innen können Mikrometeorite auf ihren Hausdächern sammeln und mit einiger Übung in einem Lichtmikroskop identifizieren. Die erfahrensten von ihnen haben nun zusammen mit einem Forscher*innen-Team von der TU Berlin und dem Museum für Naturkunde in Berlin sowie weiteren internationalen Wissenschaftler*innen die Entstehungsorte von zwei Mikrometeoriten im Sonnensystem mit hoher Wahrscheinlichkeit aufklären können.
Beide befanden sich in Staub, der auf dem Dach des Eugene-Paul-Wigner-Physikgebäudes der TU Berlin eingesammelt wurde. Erstmalig zum Einsatz kam bei dieser Studie eine Computersimulation, die eine Vielzahl von möglichen Umlaufbahnen, Partikeleigenschaften und den Einfluss der kosmischen Strahlung auf die Mikrometeorite berücksichtigt. Die Daten aus dieser Computersimulation wurden dann mit Messungen der Mikrometeorite im Teilchenbeschleuniger VERA der Universität Wien verglichen, um ihren Ursprungsort zu ermitteln.
Scott Peterson ist Veteran der US-Army, studiert Chemietechnik in Minneapolis und kümmert sich gleichzeitig als Hausmann um seinen Sohn. Außerdem ist er einer der versiertesten Sammler von Mikrometeoriten weltweit. Diese Community wächst ständig, seit der norwegische Jazzmusiker und Bürgerwissenschaftler Jon Larsen 2015 zusammen mit dem Imperial College in London erstmalig nachweisen konnte, dass Mikrometeorite nicht nur in entlegenen Gegenden wie dem Grund der Ozeane oder dem Eis der Antarktis vorkommen, sondern auch auf unseren Hausdächern.
Mikrometeorite können über die Bedingungen im Sonnensystems erzählen
„Es ist immer noch eine große Herausforderung für die Wissenschaft, etwas über den Entstehungsort der auf der Erde gefundenen Mikrometeorite herauszubekommen“, sagt Dr. Beate Patzer, theoretische Astrophysikerin am ZAA der TU Berlin. „Dies wäre aber sehr wünschenswert, denn Mikrometeorite können aus sehr unterschiedlichen Bereichen unseres Sonnensystems mit sehr verschiedenen Bedingungen stammen. Ungefähr 100 Tonnen überwiegend interplanetaren Staubes fängt die Erde pro Tag ein. Mikrometeorite sind damit wesentlich häufiger als größere Meteorite, wir könnten also aus ihnen viel mehr Daten generieren und eine Menge über unser Sonnensystem lernen.“
Flugzeit bis zur Erde
Eine Methode zur Bestimmung der Herkunft eines Mikrometeoriten ist die Analyse von langlebigen, radioaktiven Isotopen, die sich auf seinem Weg im Weltall durch Bestrahlung mit der im Kosmos allgegenwärtigen kosmischen Strahlung gebildet haben. „Anhand des Verhältnisses von unterschiedlichen Isotopen mit verschiedenen Halbwertszeiten und einem physikalischen Modell, das die Bildung dieser Isotope beschreibt, kann man auf die Flugzeit der extraterrestrischen Staubteilchen bis zur Erde schließen – und damit auf ihren Herkunftsort im Sonnensystem“, so Patzer.
Erstmals Computersimulation zur Analyse
„Erstmalig haben wir für diese Analyse eine aufwendige Computersimulation erstellt, die mögliche Umlaufbahnen der interplanetaren Staubteilchen, die Größe der Staubkörner, ihre Zusammensetzung und Dichte, Strahlungsprofile der Sonne und der kosmischen Strahlung aus dem interstellaren Raum, Verdampfungsraten während des Eintritts in die Erdatmosphäre und noch eine Vielzahl anderer Parameter berücksichtigt“, sagt Jenny Feige. Fokussiert haben sich die Forscher*innen dabei auf die radioaktiven Isotope Aluminium-26 und Berylllium-10.
Um die sehr geringen Mengen der Isotope in den winzigen Mikrometeoriten messen zu können, hat das Forschungsteam mit der Teilchenbeschleuniger-Anlage VERA in Wien zusammengearbeitet. Bei der dort durchgeführten „Beschleunigermassenspektrometrie“ werden die chemischen Elemente nicht nur nach ihrer Masse, sondern auch nach der Anzahl der Protonen im Kern sortiert – was erst eine eindeutige Identifizierung der Isotope ermöglicht.
Schildkröte vom Rand des Sonnensystems
Die Konzentrationen von Aluminium-26 und Berylllium-10 in den Mikrometeoriten wurden dann mit den Ergebnissen der Computersimulation verglichen, die die Anreicherung dieser Radioisotope in den Mikrometeoriten je nach Flugzeit und damit Herkunftsort im All vorhersagt. Dabei blieb der Ursprung von sechs an anderen Orten gesammelten Mikrometeoriten uneindeutig; sechs weitere Mikrometeorite konnten aber mit großer Wahrscheinlichkeit einem Ursprungsort zugeordnet werden, darunter die beiden auf dem Dach der TU Berlin gefundenen: Der Mikrometeorit mit dem Schildkrötenmuster entstammt dem äußeren Sonnensystem und könnte sich aus Kometen, die am Jupiter vorbeiziehen, oder Gesteinsmaterial im Kuipergürtel abgetrennt haben – in einer Entfernung so groß wie etwa 40-mal der Abstand Erde zu Sonne. Der Mikrometeorit mit der „Nase“ stammt dagegen aus dem inneren Sonnensystem, von erdnahen Objekten oder solchen bis hin zum Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter.
„Mit diesem Ergebnis konnten wir die grundsätzliche Eignung unserer Methode zeigen“, sagt Jenny Feige. Sie werde es in Zukunft ermöglichen, noch mehr über den Kosmos mit Hilfe der Mikrometeoriten zu lernen. „Gerade die auf unseren Hausdächern sind dabei besonders wertvoll, denn hier kennen wir ihre Aufenthaltszeit auf der Erde sehr präzise: Sie kann nicht älter als das Dach selbst sein. Bei Funden aus der Tiefsee oder der Antarktis dagegen könnten die Mikrometeoriten auch schon Millionen Jahre dort liegen, was die Ergebnisse unsicherer macht.“
Zusätzliche Informationen:
Studie im Fachmagazin Philosophical Transactions A der britischen Royal Society: https://doi.org/10.1098/rsta.2023.0197
Pressemitteilung mit Fotos zum Download: https://www.tu.berlin/go265315/
Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
Dr. Beate Patzer
Zentrum für Astronomie und Astrophysik
Technische Universität Berlin
Tel.: 030 314-23739
E-Mail: beate.patzer@tu-berlin.de
Dr. Jenny Feige
Museum für Naturkunde
Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Tel.: 030 889140-8786
E-Mail: jenny.feige@mfn.berlin
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