Unerwartet aufgeräumte Honigwaben: RUB-Forscher manipulieren Magnetismus im Spin-Eis
Im „Spin-Eis“ lassen sich exotische Eigenschaften magnetischer Systeme untersuchen: Mit mikrometerkleinen magnetischen Inseln, die sie in Form von Honigwaben in einer Ebene anordneten, gelangen Physikern der Ruhr-Universität um Prof. Dr. Hartmut Zabel überraschende Beobachtungen. Beim Anlegen eines Magnetfeldes sucht sich das System einen unerwartet geordneten Zustand aus und nimmt dabei in Kauf, dass die Pole der Magneten energetisch äußerst ungünstig zusammenliegen.
„Wenn man solche Systeme magnetischer Monopole besser versteht und steuern kann, kann man in diesen Zuständen wesentlich mehr Informationen speichern als mit herkömmlichen Speichertechniken, die nur zwei Zustände kennen“, erklärt Prof. Zabel die Bedeutung des Experiments. Die Forscher berichten in der aktuellen Ausgabe der „Applied Physics Letters“.
Die Unordnung im Eis
Spin-Eis-Materialien haben viel mit Wassereis gemeinsam, dessen Struktur äußerst komplex ist. Selbst bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt der Temperatur ist immer noch Unordnung im Wasser. Sie beruht darauf, dass in Eis ein Sauerstoffatom von vier Wasserstoffatomen umgeben ist, die die Ecken eines Tetraeders markieren. Zwei Wasserstoffatome gehören zum ursprünglichen Wassermolekül H2O, die zwei weiteren zum benachbarten Wassermolekül. Die sog. Eisregel besagt, dass die ursprünglichen Wasserstoffatome nahe am Sauerstoffatom zu liegen kommen, die beiden anderen weiter entfernt: „Zwei rein, zwei raus“. In der Realität gibt es in dieser Ordnung allerdings immer Fehler.
Magnetisches Eis
Spin-Eis ist die magnetische Entsprechung von Eis. Dabei sitzen vier magnetische Dipole – Atome mit einem Nord- und einem Südpol – auf den Ecken eines Tetraeders in einem Kristallgitter. Wenn sie die Eisregel beachten – zwei Nordpole schauen raus, zwei rein – gleichen sich ihre magnetischen Kräfte aus, ein energetisch günstiger Zustand entsteht. Falls jedoch ein Dipol „herumgedreht“ wird, entsteht ein magnetischer Monopol. „Freie magnetische Monopole existieren in der Natur nicht. Aber Spin-Eis Materialien bieten uns die Möglichkeit, die exotischen Eigenschaften von magnetischen Monopolen zu untersuchen und Theorien über ihre Wechselwirkung zu überprüfen“, erklärt Prof. Zabel. Die Forscher stellen dazu künstliche Spin-Eis-Gitter durch lithographische Methoden her. Dabei ordnet man mikrometerkleine magnetische Inseln in der Ebene so an, dass je drei oder vier ihrer Enden sich in einem Punkt treffen. Bei vier Dipolen wird das sog. quadratische Spin-Eis realisiert, bei drei Dipolen das triangulare Spin-Eis, auch als „Honigwabenstruktur“ bezeichnet. Bei der Honigwabenstruktur gilt die Eis-Regel: Ein Nord- oder Südpol schaut rein, zwei raus – die energetisch günstigste Möglichkeit, wenn auch nicht vollständig magnetisch ausgeglichen.
Winzige magnetische Inseln in Honigwabenform
Die RUB-Forscher stellten in einer Eisenschicht mit Elektronenstrahl-Lithograpie magnetische Dipol-Inseln her und ordneten sie so an, dass sie eine Honigwabenstruktur bildeten. „Wir waren gespannt, wie sich die Dipole spontan unmittelbar nach der Herstellung ausrichten und wie sie mit magnetisch ungünstigen Zuständen umgehen“, erklärt Prof. Zabel. Dazu tasteten sie die Orientierung jedes Dipols mit einem magnetischen Kraftmikroskop ab, das feststellen kann, in welche Richtung der magnetische Nord- und Südpol zeigt. Wenn man dann noch zusätzlich ein magnetisches Feld anlegt, entsteht eine überraschende Ordnung im Chaos: In regelmäßiger Folge ordnen sich jeweils drei magnetische Dipole so an, dass ihr Nordpol in einen Knoten zeigt, am nächsten Knotenpunkt zeigen alle Nordpole aus dem Knotenpunkt heraus. Dabei ist jede einzelne Honigwabe in sich magnetisch ausgeglichen. „Zu unserer Überraschung tritt der energetisch ungünstigste Zustand, nämlich drei Nord- bzw. Südpole in einem Punkt, unerwartet häufig auf“, berichtet Prof. Zabel.
Neue Speichertechnik denkbar
„Was hier als Spielerei anmutet, kann weitreichende Konsequenzen für die Datenspeicherung und für magnetische logische Schaltungen haben“, sagt Prof. Zabel. Für jeden Knotenpunkt gibt es acht mögliche Dipol-Konstellationen – weit mehr als bei herkömmlicher Speichertechnik, die auf zwei Zuständen basiert. Die Dipol-Inseln, die im Experiment drei Mikrometer lang und 0,3 Mikrometer breit waren, kann man sich noch wesentlich kleiner vorstellen – bis zu winzigen 300 Nanometern Länge.
Förderung im Sonderforschungsbereich
Die Arbeiten sind im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 491 „Magnetische Heterostrukturen: Spinstrukturen und Spintransport“ entstanden.
Titelaufnahme
Alexandra Schumann, Björn Sothmann, Philipp Szary, and Hartmut Zabel: Charge ordering of magnetic dipoles in artificial honeycomb lattices, Applied Physics Letters 97, 022509 (2010). doi:10.1063/1.3463482
Weitere Informationen
Prof. Dr. Dr. Hartmut Zabel, Fakultät für Physik und Astronomie der Ruhr-Universität, 44780 Bcohum, Tel. 0234/32-23649, E-Mail: hartmut.zabel@rub.de
Redaktion: Meike Drießen
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Weitere Informationen:
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