Verdrehte Van der Waals-Materialien als neue Plattform zur Realisierung exotischer Materie
Forscher*innen aus Deutschland und den Vereinigten Staaten haben eine neue Perspektive zum Potenzial der verdrehten Van der Waals-Materialien für die Realisierung neuartiger und schwer realisierbarer Materiezustände sowie zur Bereitstellung einer einzigartigen, festkörperbasierten Quantensimulationsplattform geliefert.
Das Team des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg, der RWTH Aachen und des Flatiron-Instituts, der Columbia University und des Max Planck – New York City Center for Non-equilibrium Quantum Phenomena präsentiert einen spannenden Fahrplan für das pulsierende Feld der verdrehten van-der-Waals-Materialien. Angesichts der rasanten Fortschritte der letzten Zeit stellt das Team seine Vision der möglichen zukünftigen Forschungsbereiche vor.
In der kürzlich in Nature Physics veröffentlichten Arbeit skizziert das Team das enorme Potential dieser verdrehten Materialien – sowohl im Hinblick auf die Grundlagenforschung als auch auf ihre möglichen Anwendungen in der Materialwissenschaft und der Quanteninformationstechnologie.
Verdrehte Van der Waals-Materialien bestehen aus gestapelten Schichten zweidimensionaler Systeme mit einem bestimmten Drehwinkel zueinander. Es wird gezeigt, dass sie ein vielseitiges Werkzeug zur Realisierung vieler begehrter Quantenmodellsysteme darstellen, welche exotische und bislang schwer realisierbare Materiephasen von potenzieller Relevanz für die Materialwissenschaft und Quantentechnologien aufweisen. Somit fungieren verdrehte Van der Waals-Materialien als materialbasierte Quantensimulatoren. Sie eröffnen neue Wege zur Bereitstellung sauberer Systeme, die sich durch den Verdrehungswinkel, die Stapelungssequenz, das Substrat oder die Anschnitttechniken extrem gut kontrollieren lassen.
Das Team zeigt zudem, dass sich das Potenzial der verdrehten Van der Waals-Materialien noch vervielfacht, wenn man sie mit weiteren wichtigen Forschungsgebieten der kondensierten Materie und der Quantentechnologie zusammenbringt. Zum Beispiel ließe sich durch die Wechselwirkung der Materialien mit Nicht-Gleichgewichtszuständen oder Hohlräumen noch mehr reichhaltige Physik aufdecken. Sie ermöglichen somit eine Vielfalt an Erweiterungen.
„Eine der Stärken dieser neuartigen Materialien ist, dass sie ein noch nie dagewesenes Maß an Abstimmbarkeit bieten“, erklärt Hauptautor Dante Kennes. „Dadurch können wir viele der verschiedenen Gitterquantenmodelle, die in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Forschung an kondensierter Materie in den Mittelpunkt gerückt sind, effektiv realisieren.“
Exotische Phasen der Materie, wie die schwer realisierbare Spin-Flüssigkeits-Phase oder Systeme mit topologischen, für Quantentechnologien relevanten, Eigenschaften, könnten damit in greifbare Nähe rücken. „Wir stehen wirklich am Anfang einer faszinierenden Reise, um das enorme Ausmaß der chemischen und physikalischen Kombinationen auf diesem Gebiet zu erforschen“, sagt Co-Autor Lede Xian über seine jüngste Arbeit. „Viele weitere spannende Entdeckungen, von denen wir einige in unserer Arbeit skizzieren, werden folgen“, ergänzt Mitautor Martin Claassen.
Verdrehte Van der Waals-Materialien stellen aufgrund ihrer Komplexität eine außergewöhnliche experimentelle Herausforderung dar. Sie eröffnen zudem völlig neue Wege der Manipulation und Kontrolle von Quantenmaterialien, so Ángel Rubio, der Direktor der Theorieabteilung des MPSD: „Diese Materialien lassen uns neue Phasen der Materie entschlüsseln und versprechen eine breite Palette von Anwendungen in der Quantentechnologie. Wir berühren in diesem perspektivischen Artikel nur die Oberfläche dieser Möglichkeiten und können noch viele weitere Überraschungen auf dieser spannenden Forschungsreise erwarten.“
Wie die Arbeit des Teams zeigt, ist dies ein besonders vielversprechendes Forschungsfeld aufgrund des Verhältnisses zwischen den bereits gelösten und noch zu beantwortenden Fragen, fügt Rubio hinzu: „Die Fülle an faszinierenden neuen Phänomenen vervielfacht sich, wenn man diese Systeme aus dem Gleichgewicht bringt oder sie in optische Hohlräume einbettet. Viele weitere interessante Phänomene warten darauf, von uns enträtselt zu werden!“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dante Kennes, Erstautor: Dante.Kennes@rwth-aachen.de
Lede Xian, Co-Autor: lede.xian@mpsd.mpg.de
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s41567-020-01154-3
Weitere Informationen:
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