Wärme auf Wanderschaft
In Körpern verbreitet sich Wärme gleichmäßig gemäß dem Fourierschen Gesetz. Für zwei- und eindimensionale Objekte wie Filme oder feinste Drähte scheinen aber andere Regeln zu gelten. Ein Team von Wissenschaftlern der Nanosystems Initiative Munich (NIM) unter Leitung des Augsburger Physikers Peter Hänggi ist diesen jetzt auf die Spur gekommen.
Wie die Glut durch ein Stück Kohle wandert, so diffundiert Wärme grundsätzlich mit gleichmäßiger Geschwindigkeit. Das dazugehörige Fouriersche Gesetz haben Physiker bereits vor 200 Jahren formuliert. Später erkannte man freilich bei Experimenten mit Kohlenstoff-Nanoröhren oder organischen Molekülketten, dass für die Wärmeverteilung in zwei- oder eindimensionalen Objekten offenbar andere Regeln gelten. So hängt in Filmen oder sehr dünnen Drähten etwa die Wärmeleitfähigkeit nicht allein vom Material ab, sondern auch von der Größe beziehungsweise der Länge des jeweiligen Objekts. Bei manchen Werkstoffen nimmt die Wärmeleitfähigkeit mit der Länge zu, bei anderen hingegen ab. Ein physikalisches Gesetz, das dem Fourierschen entspräche, konnte bisher jedoch niemand aus diesen Beobachtungen ableiten.
Allgemeingültiger mathematischer Zusammenhang
Der Augsburger NIM-Physiker Professor Peter Hänggi und sein Team sind einem solchen Gesetz gemeinsam mit Kollegen aus Singapur, Shanghai und Los Alamos jetzt einen Schritt näher gekommen. In den Physical Review Letters berichten sie über ihre Entdeckung eines allgemeingültigen mathematischen Zusammenhangs zwischen der von der Objektlänge abhängigen Wärmeleitfähigkeit und der dazugehörigen anomalen Geschwindigkeit für Wärmediffusion.
Hybrid-Materialien mit neuartigen Wärmeeigenschaften
Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um Hybrid-Materialien zu planen, die in ein- und zweidimensionaler Form ganz neuartige Wärmeeigenschaften aufweisen. Genutzt werden kann dabei, dass die Wärmediffusion in diesen Fällen für verschiedene Materialzusammensetzungen stark erhöht, aber auch stark reduziert sein kann. Dementsprechend kann das eine Material Wärme extrem schnell abfließen lassen, während das andere als Wärmespeicher funktioniert. Diese theoretischen Berechnungen sind vor allem für Objekte im Nanometerbereich interessant, deren Wärmeverhalten experimentell nur schwer zu messen ist. Gegenwärtig werden aus Karbonmaterialien zusammengesetzte Nanostrukturen auf dem Rechner simuliert, die als phononische Dioden oder auch als Wärmespeicher (Memory) funktionieren sollen. Mit solchen Elementen könnte dann analog zu elektronischen Bauteilen Informationsverarbeitung betrieben werden.
Computer, die mit Abfallwärme funktionieren?
„Das Studium der Wärmediffusion in niedrigen Dimensionen steht noch am Anfang, es birgt sicherlich noch viele Überraschungen, aber auch ein großes Potential. So könnte etwa die allgegenwärtige abträgliche Verlustwärme nutzbringend für Funktionsmaterialien oder für phononische Informationsverarbeitung eingesetzt werden. Vielleicht“, so Peter Hänggi, „wird ja der Traum von einem mit Abfallwärme funktionierenden Computer in der ferneren Zukunft tatsächlich Wirklichkeit.“
Publikation:
Anomalous Heat Diffusion. Sha Liu, Peter Hänggi, Nianbei Li, Jie Ren, and Baowen Li. Phys. Rev. Lett. 112: 040601 (2014)
http://prl.aps.org/abstract/PRL/v112/i4/e040601
Kontakt:
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Hänggi
Lehrstuhl für Theoretische Physik I
Institut für Physik
Universität Augsburg
86135 Augsburg
Telefon +49(0)821-598-3250
hanggi@physik.uni-augsburg.de
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie
Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.
Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.
Neueste Beiträge
Überlebenskünstler im extremen Klima der Atacama-Wüste
Welche Mikroorganismen es schaffen, in den extrem trockenen Böden der Atacama-Wüste zu überleben, und welche wichtigen Funktionen sie in diesem extremen Ökosystem übernehmen – zum Beispiel bei der Bodenbildung –,…
Hoffnung für Behandlung von Menschen mit schweren Verbrennungen
MHH-Forschende entwickeln innovatives Medikament, um die Abstoßung von Spenderhaut-Transplantaten zu verhindern. Wenn Menschen schwere Verbrennungen erleiden, besteht nicht nur die Gefahr, dass sich die Wunde infiziert. Der hohe Flüssigkeitsverlust kann…
Neue Erkenntnisse zur Blütezeit-Regulation
Einfluss von Kohlenstoff- und Stickstoff-Signalwegen auf Blütenrepressoren bei Arabidopsis. In einer aktuellen Publikation in der Fachzeitschrift Plant Physiology hat ein internationales Forschungsteam, dem unter anderem Dr. Justyna Olas als eine…