Wendelstein 7-X erreicht Meilenstein
Leistungsplasma mit Gigajoule-Energieumsatz über acht Minuten erzeugt.
Nach erfolgreicher Wiederinbetriebnahme im Herbst 2022 übertrifft das Greifswalder Kernfusionsexperiment eine wichtige Zielmarke. 2023 sollte ein Energieumsatz von 1 Gigajoule erreicht werden. Jetzt schafften die Forschenden sogar 1,3 Gigajoule – und einen neuen Bestwert für die Entladungszeit bei Wendelstein 7-X: Das heiße Plasma konnte acht Minuten lang aufrechterhalten werden.
Bei den dreijährigen Umbauarbeiten, die im vergangenen Sommer endeten, wurde Wendelstein 7-X vor allem mit einer Wasserkühlung der Wandelemente und mit einem erweiterten Heizsystem ausgestattet. Letzteres kann nun doppelt so viel Leistung in das Plasma einkoppeln wie vorher. Seitdem lässt sich das Kernfusionsexperiment in neuen Parameterbereichen betreiben. „Wir tasten uns jetzt an immer höhere Energiewerte heran“, erklärt Prof. Dr. Thomas Klinger, Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald. „Dabei müssen wir Schritt für Schritt vorangehen, um die Anlage nicht zu überlasten und zu beschädigen.“
Am 15. Februar 2023 erreichten die Forschenden dabei einen neuen Meilenstein: Erstmals konnten sie in dieser Anlage einen Energieumsatz von 1,3 Gigajoule erreichen. Damit steigerten sie den Bestwert aus der Zeit vor dem Umbau (75 Megajoule) gleich um das 17-fache. Der Energieumsatz ergibt sich aus der eingekoppelten Heizleistung multipliziert mit der Dauer der Entladung. Nur wenn es gelingt, kontinuierlich große Energiemengen ins Plasma einzukoppeln und die entstehende Wärme wieder abzuführen ist ein Kraftwerksbetrieb möglich.
Die Plasmaentladung dauerte acht Minuten
Die größten Wärmeflüsse führen bei Wendelstein 7-X über besonders hitzebeständige, sogenannte Divertor-Prallplatten. Sie sind Teil der Innenwand, die seit dem Umbau von einem Netz aus insgesamt 6,8 Kilometer Wasserrohren gekühlt wird. Keine andere Fusionsforschungsanlage weltweit verfügt heute über eine so umfassend gekühlte Wand. Die Plasmaheizung besteht aus drei Komponenten, nämlich der neu eingebauten Ionenheizung, der Heizung durch Neutralteilcheninjektion und der Mikrowellen-Elektronenheizung. Für den aktuellen Rekord kam es vor allem auf die Elektronen-Mikrowellenheizung an, weil nur sie in der Lage ist, über Zeiträume von mehreren Minuten große Leistungen einzukoppeln. Der Energieumsatz von 1,3 Gigajoule wurde mit einer durchschnittlichen Heizleistung von 2,7 Megawatt erreicht, wobei die Entladung über 480 Sekunden andauerte – auch das ist ein neuer Bestwert für Wendelstein 7-X und einer der besten der Welt. Vor dem Umbau erreichte Wendelstein 7-X maximale Plasmazeiten von 100 Sekunden bei deutlich geringerer Heizleistung.
Innerhalb weniger Jahre, so der Plan, soll der Energieumsatz bei Wendelstein 7-X auf 18 Gigajoule gesteigert werden, wobei das Plasma dann für eine halbe Stunde lang stabil gehalten werden soll.
Hintergrund zur Kernfusion
Ziel der Fusionsforschung ist es, ein klima- und umweltfreundliches Kraftwerk zu entwickeln. Ähnlich wie die Sonne soll es aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik verfolgt dabei den Weg der magnetischen Fusion. Weil das Fusionsfeuer erst bei Temperaturen über 100 Millionen Grad zündet, darf der Brennstoff – ein dünnes Wasserstoffplasma – nicht in Kontakt mit kalten Gefäßwänden kommen. Von Magnetfeldern gehalten, schwebt er nahezu berührungsfrei im Inneren einer Vakuumkammer. Den magnetischen Käfig von Wendelstein 7-X erzeugt ein Ring aus 50 supraleitenden Magnetspulen. Es handelt sich um eine Anlage vom Typ Stellarator, bei dem die speziellen Formen der Spulen das Ergebnis ausgefeilter Optimierungsrechnungen sind. Mit Hilfe dieser Spulen soll die Qualität des Plasmaeinschlusses in einem Stellarator das Niveau der konkurrierenden Anlagen vom Typ Tokamak erreichen.
Über das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München und Greifswald erforscht die physikalischen Grundlagen für ein Fusionskraftwerk, das Energie aus der Verschmelzung von leichten Atomkernen gewinnen soll. Die Arbeiten des IPP sind eingebettet in das Europäische Fusionsprogramm. Mit rund 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist das IPP eines der größten Zentren für Fusionsforschung in Europa.
Bildbeschreibung – Bild 2:
Infrarotaufnahme aus dem Vakuumgefäß von Wendelstein 7-X. Das Bild zeigt NICHT das Plasma an sich, sondern die Temperaturverteilung an den wassergekühlten Divertor-Prallplatten. Die Divertor-Prallplatten werden zur Abführung der Wärme aus dem Plasma eingesetzt. Deutlich erkennbar ist eine definierte Linie im Zentrum, die sogenannte Strike Line. Dort berührt das Plasma den Divertor und die Temperatur ist am höchsten. In einzelnen Bereichen werden bis zu 600 Grad Celsius erreicht (rote Flächen). Die Divertorkacheln können Temperaturen bis zu 1200 Grad Celsius aushalten.
Kontakt:
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
Frank Fleschner
Pressesprecher
Boltzmannstraße 2
85748 Garching b. München
Telefon: 089/3299-1317
E-Mail: frank.fleschner@ipp.mpg.de
Video: https://youtu.be/GTmje2qsVgY
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie
Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.
Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.
Neueste Beiträge
Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen
An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…
Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean
20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….
Resistente Bakterien in der Ostsee
Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…