Wie Galaxien ihre Sterne produziert haben
Durchmusterung rekonstruiert Schlüsselkapitel der kosmischen Geschichte
Astronom*innen haben das ALMA-Observatorium genutzt, um den Rohstoff für die Sternentstehung – molekulares Wasserstoffgas – im Hubble Ultra-Deep Field aufzuspüren, einer der am besten untersuchten Himmelsregionen. Unter der Leitung von Fabian Walter vom Max-Planck-Institut für Astronomie rekonstruierten sie auf dieser Grundlage, wie sich die Gas- und Staubvorräte des Universums im Laufe der Zeit von nur zwei Milliarden Jahren nach dem Urknall bis heute verändert haben. Durch die Zuhilfenahme weiterer Beobachtungen sowie moderner Simulationen konnten die Astronom*innen die Gasströmungen charakterisieren und quantifizieren, die für die Entstehung von Sternen in Galaxien notwendig sind.
Um die Herkunft eines gewöhnlichen Haushaltsartikels zurückzuverfolgen, etwa eines Elektrogeräts, muss man eine Lieferkette rekonstruieren: aus den Rohstoffen entstehen Bauteile, und diese Bauteile werden zu einem Endprodukt zusammengesetzt. Werden die nötigen Rohstoffe knapp, dann verlangsamt sich die Produktion oder kommt sogar zum Erliegen. Dokumentiert man, welche Mengen an Rohmaterialien oder Bauteilen eine Fabrik vorrätig hat, kann man Rückschlüsse auf die Produktionsgeschichte ziehen.
Bilden sich Sterne in Galaxien, dann steckt natürlich keine Planung dahinter, weder wirtschaftlicher noch anderer Art. Sterne entstehen immer dann, wenn die richtigen Bedingungen für ihre Entstehung vorliegen, wenn also insbesondere das richtige Material zur Verfügung steht. Um Sterne zu produzieren, wird kühles Gas aus Wasserstoffmolekülen benötigt. Solch kühles Gas entsteht, wenn sich eine ausreichend dichte Wolke aus wärmeren Gasen aus Wasserstoffatomen abkühlt. Unter den richtigen Bedingungen bilden dann jeweils zwei Wasserstoffatome ein Paar, nämlich ein Wasserstoffmolekül H2.
Auch das atomare Wasserstoffinventar kann wieder aufgefüllt werden. Es gibt nämlich ein gewaltiges Reservoir an ionisiertem Wasserstoff in den riesigen Räumen zwischen den Galaxien, ein warmes intergalaktisches Plasma, das mehr als 90% des gesamten Wasserstoffs im Universum enthält. Bei ionisiertem Wasserstoff sind der Wasserstoff-Atomkern (ein Proton) und sein Elektron voneinander getrennt. Kann man verfolgen, wie sich diese Vorräte im Laufe der Zeit verändern, dann kann man daraus etwas über die Produktionsgeschichte von Sternen in der betreffenden Galaxie erfahren. Eine Schlüsselrolle spielt dabei, dass Astronom*innen immer in die Vergangenheit blicken.
Ein tiefer Blick in die kosmische Geschichte
Richten wir unsere Teleskope auf einen unserer nächsten Nachbarn, die Andromeda-Galaxie M31, dann sehen wir jene Galaxie so, wie sie vor 2,5 Millionen Jahren war. Das Licht, das wir heute von dort empfangen, benötigte nämlich 2,5 Millionen Jahre, um von Andromeda zu uns zu gelangen. Zwar können wir unsere eigene Vergangenheit nicht auf diese Weise beobachten, aber wir können das Nächstbeste tun: Nach allem, was wir wissen, hat das Universum im Durchschnitt überall dieselben grundlegenden Eigenschaften. Betrachten wir zum Beispiel einen Würfel mit Seitenlänge 500 Millionen Lichtjahren, dann finden wir darin zum jetzigen Zeitpunkt ungefähr dieselbe Anzahl größerer Galaxien, dieselbe Anzahl kleinerer Galaxien, dieselbe Anzahl von Sternen und dieselbe Menge an molekularem Gas, unabhängig davon, wo im Universum sich der Würfel befindet.
Das erlaubt es den Astronom*innen, eine Art Querschnitt der kosmischen Geschichte zu rekonstruieren. Wollen wir wissen, wie die durchschnittlichen Eigenschaften des Universums vor, sagen wir, einer Milliarde Jahren aussahen, brauchen wir uns nur Objekte anzuschauen, die gerade so weit entfernt sind, dass ihr Licht eine Milliarde Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen. Wiederholen wir solche Untersuchungen für unterschiedlich große Entfernungen, entsprechend unterschiedlichen kosmischen Epochen, dann erhalten wir zumindest so etwas wie eine durchschnittliche Geschichte des Kosmos. Die Details werden von Region zu Region variieren, aber das auf diese Weise erhaltene Gesamtbild der kosmischen Entwicklung sollte die Entwicklung des Universums als Ganzes wiedergeben, und liefert uns demnach auch Hinweise auf unsere eigene kosmische Geschichte in den letzten Milliarden Jahren.
Die Geschichte der Sternenproduktionsraten
In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben uns Deep-Sky-Durchmusterungen mit sichtbarem Licht und Infrarotstrahlung ein einigermaßen vollständiges Bild davon vermittelt, wie viele Sterne es in jeder kosmischen Epoche in Galaxien gab, von der ersten Milliarde Jahre nach dem Urknall bis in die Gegenwart. Besonders wichtig war dabei das Hubble Ultra-Deep Field (UDF): eine kleine Region am Himmel, nur ein Zehntel des scheinbaren Durchmessers des Vollmondes groß, in der das Hubble-Weltraumteleskop zwischen 2003 und 2004 Hunderte von Bildern mit einer Gesamtbelichtungszeit von fast 16 Tagen aufgenommen hat, die anschließend zu einem Gesamtbild kombiniert wurden.
Das Ultra-Deep Field und darauf aufbauende Untersuchungen zeichnen ein stimmiges Bild der Sternentstehungsgeschichte, demzufolge die Sternproduktion bis zu einem regelrechten Boom vor etwa 10 Milliarden Jahren immer weiter zunahm, gefolgt von einem kontinuierlichen Rückgang der Produktionsrate. Rund die Hälfte der Sterne im Universum war bereits produziert worden, als das Universum nur 4,5 Milliarden Jahre alt war, ein Drittel seines heutigen Alters. Aber warum der Anstieg und der spätere Rückgang? Um diese Frage zu beantworten, liegt es nahe sich anzuschauen, wie viel Rohstoff für die Sternentstehung, sprich: molekularer Wasserstoff, in den verschieden kosmischen Epochen überhaupt verfügbar war.
Molekulares Gas: das fehlende Puzzlestück
Aus den ASPECS-Beobachtungen ergibt sich eine dreidimensionale Ansicht entfernter Galaxien im Hubble Ultra-Deep Field (UDF). Die dritte Dimension, nämlich die Entfernung vom Beobachter, kommt aufgrund der kosmologischen Rotverschiebung ins Spiel. ALMA beobachtet molekulares Gas mit Hilfe der Spektrallinien von Kohlenstoffmonoxid. Bei weiter entfernten Galaxien werden diese Linien aufgrund der Expansion des Universums zu kleineren Frequenzen hin verschoben. ALMA erlaubt es, die Frequenzen der beobachteten Strahlung zu bestimmen. Diese dritte Dimension der Beobachtungen, die Frequenz, entspricht dank der kosmischen Expansion der Entfernung der Strahlungsquelle zu uns, was zu einem dreidimensionalen Gesamtbild führt. Die Abbildung zeigt eine Darstellung der ALMA-Daten, bei der die „Inseln“ im Volumen den molekularen Gasemissionslinien entfernter Galaxien entsprechen.
Hier kommt ASPECS ins Spiel, die spektroskopische Untersuchung ALMA Spectroscopic Survey in the Hubble Ultra-Deep Field, wörtlich „Spektroskopische Durchmusterung mit ALMA im Hubble Ultra-Deep Field“, die von Fabian Walter (MPIA) und seinen Kolleg*innen organisiert wird. Die Astronom*innen nutzten das seit 2013 voll funktionsfähige ALMA-Observatorium in Chile, das bis zu 50 große (Sub-)Millimeter-Teleskope mithilfe so genannter Interferometrie kombinieren kann. Mit dieser Technik werden Teleskope so zusammengeschaltet, dass feine Details abgebildet werden können, die nur einem viel größeren Einzelteleskop zugänglich wären.
Für die Untersuchung von molekularem Gas in weit entfernten Galaxien ist ein Observatorium wie ALMA besonders gut geeignet. Der Nachweis kosmischer Moleküle erfordert die Messung von Licht bei ganz bestimmten Wellenlängen. Da unser Universum expandiert, spielt dabei die so genannte kosmologische Rotverschiebung eine Rolle: Je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto weiter wird ihr Licht zu größeren Wellenlängen hin verschoben. Für entfernte Galaxien fallen die Wellenlängen, die benötigt werden, um auf das Vorhandensein von Wasserstoffmolekülen zu schließen, in den Millimeterbereich des elektromagnetischen Spektrums. Das entspricht kurzen Radiowellen – und genau für jenen Wellenlängenbereich wurde ALMA entwickelt.
Die kombinierte Licht-Sammelfläche von ALMA ist dabei viel größer als bei allen früheren Millimeter/Submillimeter-Teleskopen, so dass das Observatorium sehr empfindlich ist. Das ist notwendig, denn das Licht, das uns von Galaxien erreicht, die Milliarden von Lichtjahren entfernt sind, ist äußerst schwach. Vor ALMA wäre eine Durchmusterung mit der Empfindlichkeit von ASPECS nicht möglich gewesen. Selbst mit ALMA benötigte ASPECS insgesamt fast 200 Stunden Beobachtungszeit, was es zu einem der so genannten „large programs“, einem der großen Beobachtungsprogramme von ALMA macht – das erste derartige Programm, das speziell nach molekularem Gas im fernen Universum sucht.
Ein unvoreingenommener Blick auf das Hubble Ultra-deep Field
Will man Aussagen aus einer bestimmten Himmelsregion auf das Universum als Ganzes verallgemeinern, müssen die zugrundeliegenden Beobachtungen repräsentativ sein. (Dasselbe gilt analog für eine Meinungsumfrage: Damit das Ergebnis die öffentliche Meinung als Ganzes widerspiegelt, ist eine repräsentative Stichprobe von Befragten nötig.) Für die ASPECS-Durchmusterung wählten die Astronom*innen die am besten untersuchte Himmelsregion überhaupt, was entfernte Galaxien angeht: das kombinierte Bild des Hubble Ultra-Deep Field enthält rund 10.000 identifizierbare Galaxien. Das Licht der am weitesten entfernten Galaxie benötigte dabei 13 Milliarden Jahre, um uns zu erreichen. (Zum Vergleich: Der Urknall ereignete sich vor 13,8 Milliarden Jahren).
ASPECS scannte das Hubble Ultra-Deep Field bei Wellenlängen um 1,3 mm und 3 mm. Bei ihrer Untersuchung verfolgten die Forscher*innen dabei einen Beobachtungsansatz, der sich vorher bereits in einer Reihe von Pilotprogrammen sowohl mit dem IRAM Plateau de Bure-Interferometer als auch mit ALMA bewährt hatte. Bei den betreffenden Wellenlängen ist die Erdatmosphäre praktisch durchsichtig – insbesondere an hochgelegenen Orten wie dem Chajnantor-Plateau in Chile, 5000 Meter über dem Meeresspiegel, dem Standort von ALMA.
Molekularem Wasserstoff auf der Spur
Genauer nahmen die Astronom*innen für jeden Ort im Hubble Ultra-Deep Field zwei Spektren auf, welche die Intensität des empfangenen Lichts bei Wellenlängen zwischen 1,1 und 1,4 mm sowie zwischen 2,6 und 3,6 mm dokumentieren. In solchen Spektren zeigt sich das Vorhandensein von Molekülen über so genannte Emissionslinien – schmale Wellenlängenbereiche, in denen es ein scharfes Intensitätsmaximum gibt. Molekularer Wasserstoff hat zwar selbst keine nachweisbaren Emissionslinien, aber ein Molekül, das typischerweise zusammen mit Wasserstoff vorkommt, schon: Kohlenmonoxid CO hat eine Reihe von klar nachweisbaren Linien.
Aus unserer kosmischen Nachbarschaft wissen wir, dass man in einer typischen interstellaren Gaswolke für jedes CO-Molekül rund 10.000 Wasserstoffmoleküle findet. Stoßen Wasserstoffmoleküle mit CO-Molekülen zusammen, werden die CO-Moleküle immer einmal wieder etwas angeregt, bekommen also zusätzliche Energie. Diese Energie strahlen sie dann bei den Wellenlängen ihrer Emissionslinien ab. Aus der Intensität jener Linien kann man deswegen indirekt darauf schließen, wieviel molekularer Wasserstoff sich in der betreffenden Region befindet.
Aus der Rotverschiebung, die für eine bestimmte Gruppe von Linien beobachtet wird, lässt sich die Entfernung des betreffenden Gases rekonstruieren: In einem expandierenden Universum wie dem unseren steht die (kosmologische) Rotverschiebung in direktem Zusammenhang mit der Entfernung eines Objekts von uns. Auf diese Weise war ASPECS in der Lage, eine dreidimensionale Karte der Verteilung von Gaswolken im Ultra-deep Field anzufertigen.
Galaxien und ihr molekulares Gas
Die entsprechenden Schätzungen für die Menge an molekularem Wasserstoff können durch Kombination mit einer anderen Methode noch verbessert werden. Kosmischer Staub wirkt bei der Bildung von molekularem Wasserstoff als Katalysator. Daher besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Menge an Staub und der Menge an molekularem Wasserstoff. ALMA kann gleichzeitig mit den CO-Linien die Wärmestrahlung des Staubes messen. Beide Größen zusammengenommen ergeben dann eine zuverlässigere Schätzung der Menge an Wasserstoffmolekülen.
Letztlich haben die ASPECS-Daten den Astronom*innen die bisher tiefsten Einblicke in das staubige Universum erlaubt. Die Forscher*innen konnten daraus bestimmen, welche der vielen Galaxien, die in den Beobachtungen des Hubble-Weltraumteleskops sichtbar sind, reich an molekularem Gas und Staub sind: an dem Material, das für Sternentstehung unerlässlich ist. Die Galaxien zeigten dabei eine Vielfalt an Eigenschaften: Viele von ihnen sind „normale Galaxien“ (mit durchschnittlicher Stern-Gesamtmasse und Sternentstehungsraten), während andere Starbursts-Galaxien (mit ungewöhnlich hoher Sternentstehungsaktivität) oder Galaxien mit ungewöhnlich geringer Sternentstehungs-Aktivität sind.
Wie die Geschichte der Sternentstehung verlaufen ist
Aus ihren Beobachtungen konnten Fabian Walter und seine Kolleg*innen die Entwicklung der molekularem Wasserstoff-Vorräte in Galaxien über fast die gesamte kosmische Geschichte rekonstruieren – genauer gesagt: von etwa 2 Milliarden Jahren nach dem Urknall (vor fast 12 Milliarden Jahren) bis in die Gegenwart. Dazu bezogen sie Informationen aus früheren Studien ein, nämlich Daten über atomaren Wasserstoff und über die Gesamtmasse aller Sterne in einer bestimmten Epoche. Sie verglichen ihre Ergebnisse außerdem mit groß angelegten Simulationen der kosmischen Geschichte vom Urknall bis zur Gegenwart.
Wenn Sie kein Astronom sind, klingt die sich daraus ergebende Geschichte vielleicht nicht so aufregend, verglichen etwa mit der Geschichte der Menschheit. Aber für Astronom*innen geht es dabei um grundlegende Aussagen dazu, wie sich unser Kosmos mit der Zeit verändert hat. Im Laufe der kosmischen Geschichte nahm die Menge des molekularen Wasserstoffs stetig zu, bis vor etwa 10 Milliarden Jahren, etwa 4 Milliarden Jahre nach dem Urknall (bei etwa kosmischer Rotverschiebung z=1,5, um die in der Astronomie bevorzugte Art der Bezeichnung einer kosmischen Epoche zu verwenden).
Dabei hat sich der Bestand innerhalb von 3 Milliarden Jahren fast verdoppelt. Diese Entwicklung war bereits durch frühere Studien angedeutet worden. Aber erst jetzt waren die Beobachtungen ausreichend genau, um sicher festzuhalten, wie die kosmische Gasdichte mit der kosmischen Zeit steigt und fällt. Der Anstieg entspricht dabei dem Goldenen Zeitalter der Sternentstehung: Mit reichlich Rohmaterial, das nur darauf wartete, in leuchtende Sonnen verwandelt zu werden, und mit der Entstehung der Hälfte aller jemals existierenden Sterne in diesem ersten Drittel der kosmischen Geschichte. In der Hochphase gab es etwa genau so viel molekularen Wasserstoff wie atomaren Wasserstoff.
Was hinter der Geschichte der Sternentstehung steckt
Beim Vergleich ihrer Daten mit Simulationen stellten die Forscher*innen fest, dass für den Boom bei der Menge molekularen Wasserstoffs eine Kombination von Faktoren verantwortlich war. Galaxien sind sozusagen nur die sichtbare Spitze des Eisbergs – Hinweise auf zugrundeliegende Anhäufungen dunkler Materie: Materie, die mit elektromagnetischer Strahlung nicht wechselwirkt und daher für direkte Beobachtungen unsichtbar bleibt. Dunkle Materie macht etwa 80% der Gesamtmasse im Universum aus. Wie alle andere Materie auch, war die Dunkle Materie kurz nach dem Urknall zunächst nahezu perfekt homogen im Kosmos verteilt. In der nachfolgenden Zeit hat sie sich aber aufgrund der gegenseitigen Gravitationsanziehung immer weiter verklumpt. Im heutigen Universum bildet die dunkle Materie auf einer Größenskala von Hunderten von Millionen Lichtjahren ein Netz aus Filamenten, durchsetzt von besonders dichten Bereichen, den so genannten Halos.
Galaxien entstanden, als gewöhnliche Materie, meist Wasserstoffgas, durch die Schwerkraft der dunklen Materie in diese Halos hineingezogen wurden. Zunächst fällt dabei aus dem riesigen Reservoir im intergalaktischen Raum Plasma auf die Halos, das im Laufe der Zeit zu Atomen abkühlt. Durch diesen Prozess wird der Vorrat an atomarem Wasserstoff innerhalb der Galaxien aufgefüllt. Einiges dieses atomaren Wasserstoffs wird zu den Zentren der Galaxien gezogen, wo er sich weiter abkühlt, bis er molekularen Wasserstoff und schließlich Sterne bildet. Durch die ASPECS-Beobachtungen waren Walter und seine Kolleg*innen in der Lage zu beschreiben, wie stark diese Gasströme in den verschiedenen Phasen der kosmischen Geschichte waren.
Blickt man in die Zukunft, dann wird die Sternenproduktion mit der Zeit immer weniger effektiv, je mehr sich das Halowachstum verlangsamt und je weniger Wasserstoffplasma auf die Galaxien gezogen wird. Gegenwärtig bilden Galaxien Sterne nur noch mit einem Zehntel der Produktionsrate des Goldenen Zeitalters. Insgesamt sind die Stern-Produktionsraten in den letzten 9 Milliarden Jahren stark zurückgegangen. Auf Basis ihrer Beobachtungen sagen Walter und seine Kolleg*innen einen anhaltenden Trend voraus: In den nächsten 5 Milliarden Jahren werden die molekularen Gasreservoirs auf die Hälfte ihrer jetzigen Masse schrumpfen, während die Gesamtmasse der Sterne im Universum nur noch um 10% zunimmt. Schließlich kommt die Sternenproduktion fast vollständig zum Erliegen.
Nächste Schritte
Bei der Planung der ASPECS-Beobachtungen hatten die Astronom*innen auf eine möglichst hohe Empfindlichkeit geachtet. Die ALMA-Teleskope blickten dabei etwas „grobkörniger“ auf den Himmel. So vereint jeder Pixel des Bildes das Licht aus einer Himmelsregion beträchtlicher Größe in sich. Automatischer Nachteil daran ist natürlich, dass ASPECS auf diese Weise keine kleineren Details erfassen, also zum Beispiel das Vorkommen von molekularem Wasserstoff innerhalb einer Galaxie kartieren kann. Immerhin konnten die Astronom*innen durch den Vergleich der ASPECS-Bilder und der Hubble-Ultra-Deep-Field-Aufnahmen trotzdem feststellen, wo sich die Galaxien, deren Staub und molekularer Wasserstoff nachgewiesen wurde, genau befinden. Als nächstes wollen sie diese Galaxien einzeln genauer betrachten. ALMA verfügt über einen hochauflösenden Modus, mit dem sich solche detaillierten Untersuchungen sehr gut durchführen lassen.
Dann könnten Walter und seine Kolleg*innen die Struktur des molekularen Gases und Staubs in diesen Galaxien mit der Verteilung der Sterne vergleichen – gibt es da einen direkten Zusammenhang? Finden wir tatsächlich molekulares Gas und Staub in derselben Region wie die jungen Sterne? Die detaillierteren Beobachtungen würden außerdem Informationen über Schlüsselparameter wie großräumige Bewegungsmuster, Temperatur und Dichte des Gases liefern.
Mit diesen neuen ALMA-Daten sowie ergänzenden Ergebnissen von Beobachtungskampagnen des Ultra-Deep Field, die für das zukünftige James Webb-Weltraumteleskop (JWST) geplant sind, hoffen die Astronom*innen, die kosmische Geschichte der Sternentstehung noch detaillierter rekonstruieren zu können.
Hintergrundinformationen
Die hier beschriebenen Ergebnisse wurden als F. Walter et al. „The Evolution of the Baryons Associated with Galaxies Averaged over Cosmic Time and Space“ in The Astrophysical Journal zur Veröffentlichung angenommen.
Das ASPECS-Projekt stellt sich auf einer neuen Webseite vor, die am 24.9. für die Öffentlichkeit freigeschaltet wird und unter anderem Infografiken, Videos und eine interaktive Darstellung der neuen Ergebnisse enthält.
Von Seiten des MPIA waren beteiligt Fabian Walter, Marcel Neeleman und Hans-Walter Rix in Zusammenarbeit mit Manuel Aravena (Universidad Diego Portales, Chile), Chris Carilli (NRAO, Socorro, USA) und Roberto Decarli (INAF, Bologna, Italien).
Die hier beschriebene Forschung ist Teil des Projekts Cosmic_Gas, das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (Grant Agreement Nr. 740246) gefördert wird.
Das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA), eine internationale astronomische Einrichtung, ist eine Kooperation der ESO, der U.S. National Science Foundation (NSF) und der National Institutes of Natural Sciences (NINS) Japans in Zusammenarbeit mit der Republik Chile. ALMA wird von der ESO im Namen ihrer Mitgliedstaaten, von der NSF in Zusammenarbeit mit dem National Research Council of Canada (NRC) und dem National Science Council of Taiwan (NSC) sowie von der NINS in Zusammenarbeit mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan und dem Korea Astronomy and Space Science Institute (KASI) finanziert. Bau und Betrieb von ALMA werden von der ESO im Namen ihrer Mitgliedstaaten geleitet; vom National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das von Associated Universities, Inc. verwaltet wird. (AUI), im Namen Nordamerikas und vom National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) im Namen Ostasiens verwaltet wird. Das Gemeinsame ALMA-Observatorium (JAO) stellt die einheitliche Führung und Verwaltung des Baus, der Inbetriebnahme und des Betriebs von ALMA sicher.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Fabian Walter
Telefon:+49 6221 528-225
E-Mail: walter@mpia.de
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Originalpublikation:
Walter et al. 2020, Astrophysical Journal (accepted): http://www.mpia.de/5504528/walter_aspecs_2020.pdf
Weitere Informationen:
http://www.mpia.de/aktuelles/wissenschaft/2020-13-aspecs – Webversion der Mitteilung
http://www.aspecs.info/ – Webseiten des ASPECS-Projekts
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