Artenreichtum ist relativ – neues Konzept zum Verständnis von biologischer Vielfalt
Doch zu ihrer Erforschung gibt es noch keine einheitlichen Methoden. So gehen z. B. Paläontologen und Biologen bei der Erforschung von Artenreichtum und Artenschwund bislang getrennte Wege; das Wissen über ausgestorbene und noch lebende Arten wird selten zusammengeführt.
Das wollen Wissenschaftler des Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) nun ändern. Ihr Konzept zur Verknüpfung von Daten der beiden Forschungsrichtungen wurde nun im Fachjournal Trends in Ecology & Evolution vorgestellt.
Bislang arbeiten Biologen und Paläontologen in getrennten Welten; ihre Arbeiten zur biologischen Vielfalt beschränken sich entweder auf lebende oder auf ausgestorbene Arten. Das Verständnis zeitlicher und räumlicher Zusammenhänge wird dadurch stark eingeschränkt. Für Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des BiK-F und zugleich Mitglied des Direktoriums der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, bietet die von ihr mit vorgelegte Konzeptstudie ganz neue wissenschaftliche Möglichkeiten:
„Diesen interdisziplinären Ansatz können wir dank der bei Senckenberg und BiK-F vorhandenen paläontologischen und biologischen Expertise direkt umsetzen“.
Tot und lebendig: Konzept für Runden Tisch mit Paläontologen und Biologen
„Wenn wir die Erkenntnisse über ausgestorbene und noch lebende Arten miteinander verknüpfen, bekommen wir einen wesentlich tieferen Einblick in die Entstehung und das Verschwinden von Arten“, formuliert es Dr. Susanne Fritz vom BiK-F, Leitautorin der Publikation.
„So könnten wir zum Beispiel nachvollziehen, warum innerhalb der letzten 15 Millionen Jahre in Nordamerika und Eurasien etwa 800 Arten fleischfressender Säugetiere ausgestorben sind und es heute nur noch 280 lebende Arten gibt. In Kombination mit Informationen zu historischen Klimaveränderungen können wir dann auch abschätzen, wie viele es mit Blick auf den Klimawandel in Zukunft werden könnten.“
Die Hyäne ist auch eine Europäerin
Biodiversität lässt sich auch anhand der Entwicklung von Arteneigenschaften in Bezug zum Lebensraum erforschen – etwa durch die Analyse ökologischer Nischen. Diese beschreiben die Umweltbedingungen, unter denen Arten leben und erlauben Rückschlüsse darauf, wie die Anpassung erfolgte. Dass z.B. die Tüpfelhyäne in den Savannen und Trockengebieten Afrikas und des Nahen Ostens zu Hause ist, erklärten sich viele Biologen bislang damit, dass sie sich an die hohen Temperaturen und die Trockenheit ihres Lebensraums angepasst hat. Paläontologen wissen jedoch schon länger, dass Hyänen noch während der letzten Eiszeit auch in Europa lebten. „Ökologische Nischen können also durchaus größer sein als vermutet, wenn wir paläontologische Daten in unsere Betrachtungen einbeziehen“, erläutert Fritz. Im konkreten Fall heißt das, dass Hyänen nicht unbedingt hohe Temperaturen benötigen. Dann jedoch stellt sich den Biologen die Frage, was sonst ihre Nische definiert – und wo Hyänen unter veränderten klimatischen Bedingungen überleben könnten.
Ein umfassendes Verständnis komplexer Prozesse
Die vorgelegte Studie gibt konkrete Schritte vor, wie künftig die Methoden aus beiden Fachgebieten miteinander kombiniert werden können, und zeigt gleichzeitig auf, welchen Mehrwert dies bringt. Die Gruppe um Susanne Fritz erwartet sich davon ein neues, übergreifendes Verständnis dafür, wie das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren Diversität entstehen lässt und erhält. Diese Faktoren sind: die Wechselbeziehungen zwischen Arten und ihrer Umwelt sowie von Arten untereinander, die Entwicklung von Merkmalen, die Prozesse der Artbildung, der Ausbreitung und schließlich des Aussterbens. Der neue Ansatz erlaubt es, diese Faktoren in integrierenden Modellen zusammenzuführen.
Interesse an diesem Konzept ist vorhanden, das ist schon jetzt klar. „Die bislang verwendeten statistischen Modelle, mit denen die Entwicklung von Arten berechnet wird, können nun durch die paläontologischen Daten entsprechend erweitert werden“, kommentiert Böhning-Gaese die neuen Möglichkeiten. „Unsere Arbeit legt das theoretische Fundament für künftige Modellierungen.“ Durch das neue Konzept lässt sich künftig wohl auch besser absehen, welche Arten durch veränderte Umweltbedingungen womöglich verschwinden – und wie sich dies auf das gesamte Ökosystem auswirken könnte. Angesichts der mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen sind solche Erkenntnisse doppelt wertvoll.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:
Dr. Susanne Fritz
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
Tel. +49 (0)69 7542 1803
susanne.fritz@senckenberg.de
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
Tel. +49 (0)69 7542 1890
katrin.boehning-gaese@senckenberg.de
oder:
Dr. Julia Krohmer
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Transferstelle
Tel. +49 (0)69 7542 1837
julia.krohmer@senckenberg.de
Publikation:
Fritz S.A., Eronen J.T., Hof C., Böhning-Gaese, K. & Graham C.H. (2013): Diversity in time and space: wanted dead and alive. – Trends in Ecology & Evolution 28:509-16, http://dx.doi.org/10.1016/j.tree.2013.05.004
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LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main
Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK‐F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes‐Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Akteuren aus Wissenschaft, Ressourcen‐ und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.
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