Was kostet Alkoholmissbrauch? Neue Studie zur Kostenrechnung alkoholassoziierter Krankheiten

Ökonomische Kriterien sind zu entscheidenden Faktoren im Gesundheitswesen geworden. Die effektive Verteilung der vorhandenen Finanzmittel setzt genaue Kenntnisse der ökonomischen Bedeutung von Krankheiten und deren Risiken voraus. Detaillierte Antworten auf die Frage nach den Kosten alkoholbedingter Krankheiten bietet nun eine Studie, die im Rahmen einer Dissertation am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin entstand.

Die Autoren Kerstin Horch und Eckardt Bergmann erstellten erstmals eine komplexe Kostenrechnung alkoholassoziierter Krankheiten in Deutschland. Die volkswirtschaftlichen Kosten betragen danach rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. 42.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Der Ressourcenverlust durch vorzeitigen Tod beträgt ungefähr sieben Milliarden Euro. Etwa gleich hoch sind die Aufwendungen für Behandlung und Betreuung. Die ermittelten Daten eignen sich für europäische Vergleiche mit dem Programm der Weltgesundheitsorganisation „Verringerung der durch Alkohol, Drogen und Tabak verursachten Schäden“. Die Arbeit „Kosten alkoholassoziierter Krankheiten“ ist jetzt in der Reihe „Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes“ erschienen. Sie kann im Internet kostenlos angefordert werden.

Die Analyse von Horch und Bergmann basiert auf umfangreichen Statistiken (u.a. Todesursachen, Krankenhausdiagnosen, Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitation, Rentenzugang) sowie weiteren Erhebungen zur Bevölkerungsstruktur, Erwerbstätigkeit, Einkommenssituation, Sterbegeschehen, aber auch zur Sozial- und Suchthilfe. Über 90 alkoholassoziierte Krankheiten wurden hinsichtlich der Ausgaben für Behandlung und Betreuung berücksichtigt, ebenso die Ressourcenausfälle, also der volkswirtschaftliche Verlust durch Krankheit und vorzeitigen Tod. Im Beobachtungszeitraum 1993 bis 1995 wurden keine wesentlichen Veränderungen festgestellt, so dass von einem konstanten Problem ausgegangen wird.

Die Berechnungen sind mit anderen Krankheitskostenstudien vergleichbar und entsprechen internationalem Standard. Der Gesamtverlust von gut 20 Milliarden Euro ergibt sich aus direkten und indirekten Kosten. Zum direkten Ressourcenverbrauch (knapp 7,9 Milliarden Euro) tragen hauptsächlich stationäre und ambulante Behandlungen und Rehabilitationen sowie Vorbeugung und Betreuung bei. Hierher gehören aber auch die Kosten, die zum Beispiel durch Arbeitsunfälle, Sachschäden, Krankentransporte oder Verwaltungsausgaben und Forschung entstehen. Die indirekten Ressourcenverluste (über 12 Milliarden Euro) werden vor allem durch den Arbeitsausfall, die Frühberentung und den Tod erwerbstätiger Menschen bestimmt.

Aus der detaillierten Datenanalyse alkoholassoziierter Krankheiten ergeben sich beachtenswerte Aspekte. Da Männer häufiger als Frauen zu riskantem Alkoholkonsum neigen und gleichzeitig ein höheres Durchschnittseinkommen erwirtschaften, verursachen sie den Hauptteil der Kosten. Das gilt auch für die direkten Kosten der Rehabilitation: Männer sind durchschnittlich 14 Tage länger als Frauen in der stationären Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung). Die Auswertungen der Mortalität und Morbidität ergaben, dass Alkohol in riskanten beziehungsweise gefährlichen Mengen vor allem in mittleren Lebensjahren konsumiert wird. Zwar konnten Kerstin Horch und Eckardt Bergmann nicht nach sozialen Schichten unterscheiden. Doch entsprechend dem Ressourcenverlust verursacht der besser verdienende Alkoholiker deutlich höhere ökonomische Belastungen als der „arme Schlucker“.

Die Sozialwissenschaftler betonen, dass aber schon für die jüngere Bevölkerung mit gravierenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen gerechnet werden muss. Aus ihrer Sicht müsste zunächst im Sinne der Primärprävention der Alkoholkonsum eingeschränkt werden. Dazu können unter anderem strukturelle Maßnahmen wie Abgabenerhöhungen oder Durchsetzung von gesetzlichen Einschränkungen (Einhaltung von Altersgrenzen) beitragen. Mehr Mitverantwortung bei Bedienungs- und Verkaufspersonal ist ihrer Meinung nach ebenfalls notwendig. Das alles kann aber nur im Einklang mit der öffentlichen Meinung umgesetzt werden, betonen Horch und Bergmann. Darüber hinaus sollten die Früherkennung verbessert, Ärzte im ambulanten Bereich stärker für Alkoholprobleme sensibilisiert und Therapiekonzepte evaluiert werden.

Weitere Informationen erteilen:

Dr. Kerstin Horch
Tel.: 01888 – 754 3344
E-Mail: HorchK@rki.de

Dr. Eckardt Bergmann
Tel.: 01888 – 754 33 43
E-Mail: BergmannE@rki.de

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Ilka Seer idw

Weitere Informationen:

http://www.rki.de/gbe/gbe.htm

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