Wirtschaftskriminalität wird weiter steigen
Rund zwei Drittel der befragten Unternehmen in Deutschland (64 Prozent) waren nach eigenen Angaben in den letzten drei Jahren Opfer wirtschaftskrimineller Handlungen. Vier von fünf Unternehmen (82 Prozent) erwarten sogar, dass das Ausmaß wirtschaftskrimineller Delikte hierzulande in nächster Zeit noch steigen wird. Doch nur jedes dritte (32 Prozent) verbindet damit auch eine Gefahr für sich selbst. Das hat eine KPMG-Umfrage unter 1.000 großen deutschen Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen ergeben (September bis November 2003).
Diebstahl häufigstes Vergehen
Bei drei von vier Vergehen (74 Prozent) spielt Diebstahl eine Rolle. Die unerlaubte Nutzung von Unternehmensressourcen zu persönlichen Zwecken (61 Prozent) und sonstige Betrugsdelikte (57 Prozent) waren nach Angaben der Unternehmen ebenfalls häufige Vergehen. Relativ weit verbreitet scheinen zudem Betrugsvorfälle im Bereich der Personal- oder Spesenabrechnung (41 Prozent). Jedes dritte Unternehmen hat bereits Erfahrungen mit Wechsel-, Scheck- oder Kreditkartenbetrug (37 Prozent) oder Korruption bzw. Bestechung gemacht (35 Prozent).
Einzelschäden bis zu 85 Millionen Euro
Der Schaden betrug in einzelnen Fällen bis zu 85 Millionen Euro. Unternehmensintern waren insbesondere die Bereiche Einkauf und Vertrieb betroffen. Zwei von drei Unternehmen (67 Prozent) halten ihre Präventionsmaßnahmen für ausreichend. Dabei geht über die Hälfte der betroffenen Unternehmen gleichzeitig davon aus, dass durch eine erhöhte Sensibilisierung der Mitarbeiter und des mittleren Managements wirtschaftskriminelle Handlungen vermeidbar gewesen wären. Bedenklich ist, dass nur 15 Prozent der Auffassung sind, wirtschaftskriminelle Handlungsmuster „gut“ zu kennen – wesentliche Voraussetzung zur Vorbeugung und zur Aufdeckung doloser Handlungen.
Dieter John, Leiter des Bereichs Forensic bei KPMG: „Die Umfrageergebnisse sind ein Alarmsignal. Viele Unternehmen unterschätzen die Gefahr. Sie gehen nicht von einem erhöhten Risiko für sich selbst aus. Und das, obwohl sich die Einschätzung der Kenntnisse wirtschaftskrimineller Handlungen im Vergleich zu früheren KPMG-Umfragen deutlich verschlechtert hat.“ So hatten 1997 noch 37 Prozent und 1999 noch 28 Prozent der Befragten angegeben, über „gute Kenntnisse“ wirtschaftskrimineller Handlungsmuster zu verfügen.
Immer mehr Fälle durch „Kommissar Zufall“ aufgedeckt
Überwiegend wurden die wirtschaftskriminellen Handlungen durch interne Prüfungen (69 Prozent) und Funktionstests im internen Kontrollsystem (44 Prozent) aufgedeckt. Aber die Zahl der nur zufällig entdeckten Delikte hat sprunghaft zugenommen: Wurden bei der Befragung im Jahr 1999 nur 16 Prozent durch „Kommissar Zufall“ aufgeklärt, sind es heute bereits 44 Prozent. Dieter John: „Dass die Aufdeckung von Wirtschaftsstraftaten immer häufiger dem Zufall zu verdanken ist, macht deutlich, welch erheblicher Handlungsbedarf bei den Unternehmen im Bereich der Früherkennung und der systematischen Prävention wirtschaftskrimineller Handlungen besteht. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen (46 Prozent) beklagt die unzureichende Umsetzung organisatorischer Sicherungsmaßnahmen.“
Täter stammen meist aus dem Kreis der Mitarbeiter
Beteiligt an dolosen Handlungen sind nach Angaben der Unternehmen vorrangig Mitarbeiter (84 Prozent) und Täter ohne Geschäftsbeziehung zum Unternehmen (64 Prozent). Erfahrungsgemäß stecken diese beiden Tätergruppen oft „unter einer Decke“. Obwohl nur in sieben Prozent der Fälle das Top-Management involviert war, verdient das Thema „Top Management-Fraud“ besondere Beachtung. Dieter John: „Die durch die Unternehmensführung verursachten Schäden sind oft besonders hoch. Außerdem können Kontrollstrukturen auf Grund der Hierarchieebene leichter umgangen werden.“ Die Delikte gingen fast durchweg (93 Prozent) vom Inland aus.
Als wesentliche Faktoren für das Ansteigen der Wirtschaftskriminalität vermuten die Befragten eine immer geringer werdende soziale Kontrolle im gesellschaftlichen Umfeld (79 Prozent) sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten der Täter (71 Prozent). Jeweils rund die Hälfte der Unternehmen nannte als mögliche Ursachen undurchsichtige Unternehmensprozesse sowie unzureichende Kontrollinstrumente.
Sanktionen: Arbeitsrechtliche Maßnahmen am häufigsten
Die Aufklärung der Delikte erfolgt überwiegend intern. Nach Entdeckung der wirtschaftskriminellen Handlungen haben 81 Prozent der betroffenen Unternehmen arbeitsrechtliche Schritte gegen die entsprechenden Mitarbeiter eingeleitet. Darüber hinaus wurden in drei Viertel der Fälle strafrechtliche Maßnahmen (74 Prozent) bzw. organisatorische Änderungen (72 Prozent) vorgenommen.
Obwohl rund die Hälfte der Unternehmen Maßnahmen zur Umsetzung des Corporate Governance Kodex eingeleitet hat, rechnet überraschenderweise nur ein Drittel damit, dass dadurch wirtschaftskriminelle Handlungen künftig vermeidbar sind.
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