Weltweit größte Studie zu den akuten Schlafstörungen durch Nachtfluglärm abgeschlossen

Leiser Verkehr - Lärmwirkungsforschung

DLR entwickelt präzise Vorhersagemodelle – Ergebnisse auf alle Flughäfen übertragbar

Die weltweit größte Studie zur Untersuchung der Wirkung von Nachtfluglärm auf den menschlichen Schlaf wurde nach fünf Jahren intensiver Forschung durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) abgeschlossen. In 2.240 Nächten wurden 128 Personen unter Laborbedingungen und 64 Personen zu Hause in fluglärmbelasteten Gebieten hinsichtlich der aktuellen Lärmbelastung, der akuten Beeinträchtigung des Schlafs, der Stressreaktion, der Leistung und der Belästigung untersucht. In den vergangenen 24 Jahren waren weltweit in verschiedenen Studien zu elektrophysiologischen Wirkungen des Nachtfluglärms insgesamt nur 728 Probandennächte untersucht und veröffentlicht worden.

Zielsetzung der DLR-Studie – wissenschaftliche Fundierung und Versachlichung der Diskussion

Die Zielsetzung des DLR-Projekts war die wissenschaftlich fundierte Definition von Nachtfluglärmkriterien, die wegen der Betroffenheit der Flughafen-Anwohner, wegen der geplanten Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes sowie insbesondere wegen fehlender Primärstudien notwendig war. Das DLR will mit der Studie einmal zur Versachlichung der teilweise hoch emotional geführten Diskussionen beitragen, zudem soll auch der wachsenden gesellschaftlichen Mobilität und dem Anstieg des Flugverkehrs Rechnung getragen werden.

Nachhaltige Maßnahmen zur Fluglärmreduzierung werden immer notwendiger, um für Deutschland als technisch hochentwickeltes Land eine hinreichende Mobilität von Menschen und Fracht in Zukunft zu sichern und gleichzeitig den notwendigen und ausreichenden Schutz der Bevölkerung vor unerwünschtem Fluglärm zu gewährleisten.

Ergebnisse der DLR-Studie – nächtliches Aufwachen durch Fluglärm kann präzise vorausgesagt werden

Die fünfjährige DLR-Untersuchung bestand aus vier Studien im DLR-eigenen Schlaflabor in Köln und aus zwei Feldstudien, bei denen die Probanden in ihren eigenen vier Wänden in den Einflugschneisen des Kölner Flughafens untersucht wurden. Die Laborstudien fanden im Doppelblindversuch statt, da weder Probanden noch die anwesenden DLR-Wissenschaftler in den jeweils 13 Untersuchungsnächten wussten, welche Fluggeräusche für welche Probanden eingespielt wurden.

In den insgesamt 2.240 vom DLR untersuchten Nächten wurden im Labor über 30.000 Lärmereignisse eingespielt, im Feld mehr als 15.000 Fluggeräusche gemessen. Diese konnten zu den aufgezeichneten elektrophysiologischen Körperreaktionen der schlafenden Probanden in Beziehung gesetzt werden. Aufgrund der hohen Fallzahl konnten präzise Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen dem Maximalpegel eines Fluggeräuschs und dem Auftreten von Aufwachreaktionen bestimmt werden.

Durch die Kombination akustischer Prognosen mit den in der Studie ermittelten DosisWirkungsbeziehungen ist es ab sofort möglich, für jeden Ort in der Umgebung eines Verkehrsflughafens mit recht hoher Genauigkeit Bevölkerungsanteile zu ermitteln, die im Mittel keinmal, einmal, zweimal usw. zusätzlich durch nächtlichen Fluglärm aufwachen.

Ein erstes Beispiel für eine solche Berechnung legten die DLR-Forscher für den Flughafen Frankfurt in Form einer Grafik vor: Sie zeigt, inwieweit die existierenden Vorschläge für nächtliche Lärmschutzzonen von den in der DLR-Studie ermittelten Lärmwirkungszonen abweichen.

Details der Studie – Studiendesign und Durchführung

Die Studie zu den Auswirkungen des nächtlichen Fluglärms auf den Menschen wurde im Rahmen des DLR-Projekts „Leiser Flugverkehr“ durchgeführt, das die Wirkungskette Schallentstehung, Schallemission, Schallausbreitung, Schallimmission und Schallwirkung untersuchen und geeignete Maßnahmen zur Lärmminderung entwickeln sollte.

Für die Studie wurden als Versuchspersonen insgesamt 192 Freiwillige ausgesucht, die zwischen 18 und 65 Jahre alt waren, ihrem Alter entsprechend schlafgesund waren und sich eher durch Lärm und/oder Fluglärm belästigt fühlten.

Die Laboruntersuchungen bei 128 Personen fanden im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln in jeweils 13 aufeinander folgenden Nächten statt. Die Feldstudien sind über jeweils neun Nächte bei 64 Personen zu Hause durchgeführt worden, die in den deutschlandweit mit am höchsten durch (Nacht-) Fluglärm belasteten Gebieten rund um den Köln-Bonner Flughafen wohnen. In beiden Gruppen wurden identische akustische, physiologische und psychologische Methoden angewendet. Dadurch wurde ein direkter Vergleich der Ergebnisse ermöglicht.

Methodik der klassischen Schlafforschung – Erfassung der Gehirnströme, der Augenbewegungen und der Muskelanspannung

Der Schlaf der Untersuchungspersonen wurde durch klassische, von der Schlafforschung und -medizin anerkannte Methoden gemessen. Dazu gehört die Erfassung der Gehirnströme, der Augenbewegungen und der Muskelanspannung. Diese Signale erlauben es, Aussagen über Schlafdauer, Schlafqualität (wie Tiefschlaf, Leichtschlaf und Traumschlaf) und Schlafstörungen (wie Aufwachreaktionen, Wechsel der Schlafstadien und Wachzeiten im Schlaf) zu machen. Diese und weitere (elektro-) physiologischen Maße wurden simultan in hoher zeitlicher Auflösung mit den akustischen Daten erfasst, damit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Fluggeräusch und einer physiologischen Reaktion hergestellt werden konnte. Die Bewertung dieser unter Fluglärm beobachteten Aufwachreaktionen ist dadurch erschwert, dass diese auch im ungestörten Schlaf spontan auftreten. So wurden in der Laborstudie im Mittel etwa 27 spontane Aufwachreaktionen beobachtet, die in der Regel jedoch so kurz sind, dass man sich an sie am nächsten Morgen nicht erinnern kann.

Urinuntersuchung zur Bestimmung der Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin

Aus dem nächtlichen Sammelurin der Probanden wurde die Konzentration der Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin bestimmt, um eventuell durch Lärmstress erhöhte Ausscheidungsraten nachweisen zu können. Computergestützte Leistungstests und Befragungen zur Ermüdung, Befindlichkeit und zur Lärmbelastung und Lärmbelästigung wurden erhoben, um eventuell durch verkürzten oder schlechteren Schlaf verursachte Beeinträchtigungen belegen zu können.

Konkrete Durchführung der Studie – 13 Nächte im DLR-Schlaflabor in Köln

Im Labor wurden die Probanden in der ersten Nacht mit den Messmethoden vertraut gemacht, d.h. sie schliefen ohne Lärmeinwirkung, aber mit den angelegten Elektroden. Die zweite Labornacht wurde ebenfalls ohne Lärmereignisse geschlafen; sie diente als Basisnacht zum Vergleich mit den folgenden neun Nächten, in denen Fluglärmereignisse in unterschiedlicher Häufigkeit (4mal bis 128 mal pro Nacht) und Lautstärke (Maximalpegel zwischen 45 dB(A) und 80 dB(A) am Ohr des Schläfers) eingespielt wurden. Dieses entspricht bei einem Hintergrundpegel von 30 dB(A) einem (umgerechneten) energieäquivalenten Dauerschallpegel (Mittelungspegel) zwischen 30 dB(A) und 54,5 dB(A) während einer acht Stunden dauernden Nacht. Die zwei abschließenden Nächte waren erneut lärmfrei und dienten zur Beobachtung eventuell auftretender Erholungseffekte auf Grund der Fluglärmbelastung in den vorangegangenen neun Lärmnächten.

Typischer Tagesablaufplan der Probanden während einer Schlaflaborstudie (13 aufeinanderfolgende Nächte)

Abend
bis 19.00 Uhr: Eintreffen im DLR-Schlaflabor in Köln-Porz,
Fragebögen zum Tagesbefinden ausfüllen, Rest-Tagesurin
in der Toilette verwerfen
ab 19.10 Uhr: Abendessen, Freizeit
ab 20.00 Uhr: Anlegen der EEG-Elektroden
ab 21.00 Uhr: computergestützte Leistungstests
ab 21.30 Uhr: Anlegen der restlichen Elektroden und
der Sensoren
ab 22.45 Uhr: Kurzfragebögen, Abend-Sammelurin
23.00 Uhr: Bettruhe

Morgen
07.00 Uhr: Wecken, Ablegen einiger Sensoren, Fragebögen, Nacht-Sammelurin
ab 07.05 Uhr: computergestützte Leistungstests mit EEG und
Fingerpulsmessung
ab 07.30 Uhr: Körperpflege
ab 08.00 Uhr: Frühstück, Verlassen des DLR-Schlaflabors.
Tagsüber gingen die Probanden ihrer gewohnten Tätigkeit nach. Das Schlafen am Tag war nicht erlaubt, was mit dem Aktometer überprüft wurde.

Feldstudie – Untersuchung des Schlafs bei den Probanden zu Hause

Während der Untersuchungen bei den Versuchspersonen zu Hause wurden alle Geräusche sowohl in zwei Meter Abstand vor dem Fenster als auch im Schlafzimmer am Ohr des Schlä-fers parallel und gleichzeitig mit den elektrophysiologischen Daten aufgezeichnet, um auch hier eine ereigniskorrelierte Auswertung vornehmen zu können. Die Schlafzeiten waren im Feld weniger strikt vorgegeben als im Labor; die Probanden sollten allerdings mindestens zwischen Mitternacht und morgens um 6 Uhr Bettruhe halten.

In den Feldstudien wurden im Durchschnitt pro untersuchter Nacht 41 Überflüge registriert. Die durch Fluggeräusche erzeugten außen gemessenen Maximalpegel lagen zwischen 35 dB(A) und 87 dB(A), was einem mittleren Maximalpegel von 64 dB(A) entsprach. Am Ohr des Schläfers (innen) lagen die Wer-te zwischen 20 dB(A) und 68 dB(A), im Mittel bei 44 dB(A). Der auf Fluggeräusche bezogene mittlere energieäquivalente Dauerschallpegel zwischen 0 Uhr und 6 Uhr betrug außen 53,9 dB(A) und am Ohr des Schläfers 36,2 dB(A). Abhängig von der Fensterstellung wurden mittlere Differenzen zwischen dem Außen- und Innenpegel von 28 dB(A) (geschlossene), 18 dB(A) (gekippte) und 13,5 dB(A) (vollständig geöffnete Fenster) gemessen.

Die Untersuchungsergebnisse– psychologische und physiologische Funktionen: Unterschiede zwischen Labor und Feld

Subjektive Belästigung: Hinsichtlich der subjektiven Einschät-zung der Ermüdung, der Befindlichkeit sowie der Erholung und Beanspruchung wurden nur sehr geringe Veränderungen durch Fluglärm hervorgerufen. Dagegen ergab sich eine signifikante Beziehung zwischen dem energieäquivalenten Dauerschallpegel der Fluggeräusche (Dosis) und dem Anteil der Versuchspersonen, der sich mittel bis stark durch Fluglärm belästigt fühlten (Wirkung). Der Belästigungsgrad im Feld war erheblich geringer als im Labor, auch bei Zugrundelegung vergleichbarer äquivalenter Dauerschallpegel.

Stresshormone: Bei den Ausscheidungsraten der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin wurde keine signifikante Veränderung ermittelt. Bei Cortisol wurde nur unter Laborbe-dingungen ein signifikanter Trend mit wachsenden Lärmpegeln gefunden, dagegen unter Feldbedingungen keine Veränderungen diagnostiziert.

Schlaf und Schlafstörungen: Im Labor wurde bei dem Vergleich aller Lärmnächte mit den lärmfreien Basisnächten eine statistisch nicht signifikante Verkürzung der Schlafzeit um etwa zwei Minuten festgestellt. Gleichzeitig wurden Veränderungen in der Schlafstruktur ermittelt: Der Tiefschlafanteil war zugunsten oberflächlicher Schlafstadien verkürzt, jedoch statistisch nicht signifikant.

Aufwachreaktionen wurden im Feld oberhalb einer Schwelle von etwa 33 dB(A), gemessen am Ohr des Schläfers, beobachtet. Im Labor wurde bis zu Werten von 45 dB(A) keine Reakti-onsschwelle ermittelt. Alle nachgewiesenen Effekte waren unter Feldbedingungen erheblich geringer als unter Laborbedingungen.

Präzise Beziehung zwischen dem Maximalpegel eines Fluggeräuschs und dem Auftreten von Aufwachreaktionen

Im Labor wurden über 30.000 Lärmereignisse eingespielt, im Feld mehr als 15.000 Fluggeräusche gemessen. Aufgrund die-ser hohen Fallzahl konnten präzise Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen dem Maximalpegel eines Fluggeräuschs und dem Auftreten von Aufwachreaktionen bestimmt werden. Durch die Kombination akustischer Prognosen mit den in der Studie ermittelten Dosis-Wirkungsbeziehungen ist es ab sofort möglich, für jeden Ort in der Umgebung eines Verkehrsflughafens mit recht hoher Genauigkeit Bevölkerungs-anteile zu ermitteln, die im Mittel keinmal, einmal, zweimal usw. zusätzlich durch nächtlichen Fluglärm aufwachen.

Untersuchte Personen – Repräsentativität der Studie

Alle Ergebnisse beziehen sich auf die durch die Studie vorgegebenen Randbedingungen (z.B. Alter und Gesundheitszustand der Versuchspersonen). Auch wenn die Repräsentativität durch diese Randbedingungen eingeschränkt ist, so ist sie trotzdem deutlich höher als die Repräsentativität der Studien, die bisher durchgeführt wurden. Durch die Auswahl der Ver-suchspersonen (z.B. eher lärmbelästigte als in der allgemeinen Bevölkerung) und die konservativ angelegte Analysetechnik (z.B. Annahme des Schlafstadiums, aus dem man am leichtesten aufwacht) wurde ein präventivmedizinischer Ansatz gewählt, der fluglärmbedingte Aufwachwahrscheinlichkeiten im Sinne der betroffenen Bevölkerung eher etwas überschätzt als unterschätzt.

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Eduard Müller DLR

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