Stress, Frustration, Resignation: Studie über Gesundheit von Bäuerinnen
Für das Thema Agrarpolitik und Gesundheit: Eine qualitative Studie zurGesundheitsförderung von Bäuerinnen“ ihrer kürzlichabgeschlossenen Diplomarbeit hat die Psychologin Johanne Venema neunVollerwerbsbäuerinnen zwischen 30 und 54 Jahren interviewt. Der 55-jährigenWissenschaftlerin ist das Arbeitsumfeld der Frauen vertraut. Siebewirtschaftet mit ihrem Man und ihrem ältesten Sohn selbst einen90-Hektar-Milchviehbetrieb im ostfriesischen Rheiderland.
Im Mittelpunkt der Befragung stand die Alltagsbelastung der Bäuerinnenund ihre Möglichkeit, emotionalen Druck aus physischer und psychischer Überlastungzu kompensieren.
Dabei zeigte sich, dass die aktuelle Agrarpolitik und deren Rahmenbedingungendeutlich Auswirkungen auf die Gesundheit von Bäuerinnen hat. Verstärktdurch die aktuellen Themen BSE und MKS (Maul- und Klauenseuche) erhöhesich der emotionale Druck der Frauen. Der Teufelskreis aus absehbaren Einkommens-Verlusten,Enttäuschung und Wut auf die Politik auf der einen undBetriebsumstrukturierung, körperliche Mehrbelastungen durch Zuerwerb aufder anderen Seite führe geradewegs in die „Selbstzerstörung“,beschreibt eine Interviewpartnerin ihre Situation.
Als Konsequenz dieser „besorgniserregenden Befunde“ aus Venemaswissenschaftlicher Arbeit ist ein bislang bundesweit einmaliges Projektzur Gesundheitsförderung von Bäuerinnen entstanden, das in Kürze seineArbeit aufnehmen wird. Beteiligt sind die Hannoversche landwirtschaftliche(OK) Krankenkasse und die Evangelische Erwachsenenbildung.
Als Johanna Venema ihre Diplomarbeit im Fach Psychologie der Universität Oldenburg über „Agrarpolitik und Gesundheit“ schrieb, standen die Themen BSE und „MKS“ (Maul- und Klauenseuche) noch nicht auf der Tagesordnung. Gleichwohl hält sie Ergebnisse ihrer Untersuchung keinesfalls für überholt. „Die von mir befragten Bäuerinnen würden sich heute sicher noch deutlicher und akzentuierter äußern, aber die Grund-Struktur ist die gleiche“, sagt die Wissenschaftlerin, die in ihrem anderen Beruf selbst Bäuerin ist. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem ältesten Sohn bewirtschaftet die 55-Jährige einen 90-Hektar-Milchviehbetrieb im ostfriesischen Rheiderland. Durch die aktuelle Situation sei der emotionale Druck für die Menschen in der Landwirtschaft derzeit so groß, dass sie täglich Anrufe bekomme vor allem von Frauen, die Trost und Zuspruch benötigten, erzählt die Psychologin. Als Konsequenz aus ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat sie ein bundesweit bislang einmaliges Projekt zur Gesundheitsförderung von Bäuerinnen initiiert, das in Kürze seine Arbeit aufnehmen wird. Beteiligt sind die Hannoversche landwirtschaftliche (OK) Krankenkasse und die Evangelische Erwachsenenbildung.
Für ihre kürzlich abgeschlossene Diplomarbeit – „Eine qualitative Studie zur Gesundheitsförderung von Bäuerinnen“ – hat Venema neun Vollerwerbsbäuerinnen zwischen 30 und 54 Jahren aus dem Rheiderland interviewt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Agrarpolitik und deren Rahmenbedingungen deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Bäuerinnen hat, vor allem auf deren seelisches und soziales Wohlbefinden. Ein weiteres Ergebnis: Bäuerinnen stehen gesundheitsfördernden Projekten prinzipiell positiv gegenüber.
Zum Hintergrund: Die Situation in der Landwirtschaft ist von einschneidenden Veränderungen gekennzeichnet: Mit der Agenda 2000 ist in der EU eine umfassende Agrarreform geplant, die nach Expertenansicht u.a. mit deutlichen Einkommenseinbußen für die Landwirte verbunden sein wird. Schon in der Vergangenheit waren deren Einkommen stetig gesunken. So verzeichnet die Gewinnentwicklung in der Landwirtschaft eine fallende Tendenz seit 1990/91, während der gewerbliche Vergleichslohn kontinuierlich gestiegen ist. Hinzu kommt, dass die Prämien einen immer größeren Anteil am Gewinn eines landwirtschaftlichen Unternehmens ausmachen (teilweise über 50 Prozent), während die Erzeugerpreise weiter sinken. Überdies sind für das komplizierte Prämiensystem immer umfangreichere Antrags- und Kontrollverfahren erforderlich.
Johanna Venema konstatierte bei den befragten Bäuerinnen eine recht hohe körperliche Belastung. Sie erleben sich zeitweise überfordert, stark ermüdet und körperlich erschöpft. Um die zu erwartenden Einkommensverluste ausgleichen zu können, erwarten die Bäuerinnen körperliche Mehrbelastungen durch Betriebsvergrößerungen oder einen Zuerwerb. Eine Interview-Partnerin bezeichnet diese Entwicklung als „Selbstzerstörung“.
Die Reihe der belastenden Emotionen, die durch die veränderten politischen Bedingungen ausgelöst wurden, reicht von zunehmender Unlust bei der Arbeit über Enttäuschung und Trauer über die schwierige wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre, Schmerzen und Neid bezogen auf die Mitmenschen, Ärger und Wut über die politischen Entscheidungen bis zu Ängsten, großen Sorgen und Hoffnungslosigkeit bezogen auf die Zukunft.
Ihre eigene Lebenssituation bewerten die meisten befragten Bäuerinnen sehr kritisch. Sie empfinden Anspannungen, Stress, Nervosität und Unsicherheit. Häufige gedankliche Auseinandersetzungen mit der Zukunft belasten sie sehr. Bedrohung, Frustration, Resignation und Sinnlosigkeit erleben sie in ihrem Alltag in Verbindung mit agrarpolitischen Rahmenbedingungen. Sie sprechen von Ausgeliefertheit, Hilflosigkeit, Machtlosigkeit und Ohnmacht gegenüber der Politik. Überdies verdrängen sie Gedanken an die Zukunft, beschäftigen sich nicht mit agrarpolitischen Themen oder konzentrieren sich auf ihre eigenen Angelegenheiten.
Das soziale Wohlbefinden speist sich im Wesentlichen aus einer funktionierenden Partnerbeziehung. Umgekehrt heißt das, dass Partnerschaftsprobleme besonders schwer wiegen. Eher problematisch wird die Beziehung zu Berufskollegen und -kolleginnen gesehen. Vorherrschend scheint die Erfahrung der mangelnden Solidarität, der Konkurrenz und des Neides innerhalb der Berufsgruppe zu sein. Nur wenn die Belastungen sehr stark wahrgenommen werden, sucht man offenbar den Austausch mit und Trost unter Berufskolleginnen. Als bestehende, belastende Bedingung werden die soziale Kontrolle, traditionelle Wertvorstellungen und eine mangelnde Anerkennung von Frauen innerhalb des Berufsstandes erlebt.
Auch ihre Beziehungen zu Menschen anderer Berufssparten beurteilen die Bäuerinnen eher negativ. Im direkten Vergleich sehen sie sich als Verlierer. Erst bei näheren Kontakten verliert sich diese Wahrnehmung.
Vor dem Hintergrund dieser „Besorgnis erregenden Befunde“ plädiert die Wissenschaftlerin für eine spezielle Gesundheitsförderung im ländlichen Raum. Wichtig sei, so Venema, das Bedürfnis nach Vertrauen, emotionaler Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit zu befriedigen. Auch im ländlichen Raum sollten Menschen befähigt werden, mehr Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu erlangen und ihre Gesundheit so zu stärken, dass sie den zunehmenden Anforderungen ihres Alltags gewachsen blieben.
Kontakt: Dipl.-Psych. Johanne Venema, 26844 Jemgum,
Tel.: 04958/277, E-Mail: VenemaGbR@t-online.de¸ Prof. Dr. Wilfried Belschner, Fach Psychologie, Universität Oldenburg, Tel. 0441/798-5131, Fax: -5138, E-Mail: wilfried.belschner@uni-oldenburg.de
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