Internationale Abrüstung steht still – USA bestimmen den Trend
Das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) stellt sein sechstes Jahrbuch zu Abrüstung und Konversion vor.
(Conversion Survey 2001: Global Disarmament, Demilitarization and Demobilization, Nomos-Verlag)
„Seit etwas über einem Jahrzehnt ist die Abrüstung erstmals an einen Wendepunkt gekommen: Internationale Abrüstung und Konversion stagnieren, teilweise wird sogar erneut aufgerüstet“, erklärte Herbert Wulf, Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC), anlässlich der Präsentation des BICC Jahrbuches in Berlin. In der Konsequenz hat sich auch die zivile Nutzung bisher militärisch genutzter Potenziale – die Konversion – verlangsamt. Dennoch bleibt sie auf der Tagesordnung – in Deutschland insbesondere durch die Diskussion um die zukünftige Struktur der Bundeswehr. International liegt der Schwerpunkt auf der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration von demobilisierten Streitkräften sowie von Beschäftigten aus der Rüstungsindustrie Osteuropas.
Die klassische Rüstungskontrolle ist in der Krise. Die USA haben wegen ihrer militärischen und politischen Dominanz kaum noch Interesse an strategischer Stabilität durch bilaterale Vereinbarungen. „Die USA vertrauen allein auf die Kontrolle durch eigene Stärke und wollen eine Form der Rüstungskontrolle, die die Waffensysteme der anderen Staaten begrenzt, aber den eigenen Handlungsspielraum für weltweite militärische Aktionen nicht einschränkt“, stellte Herbert Wulf fest. Diese Politik findet ihren Niederschlag in den Planungen zur Raketenabwehr NMD. Die Überlegenheit der USA in militärtechno-logischer Hinsicht wird durch eine Zahl deutlich: Im Jahr 2000 gaben die USA 38 Milliarden US-Dollar für militärische Forschung und Entwicklung aus. Dies entspricht dem 11-fachen der Ausgaben von Frankreich, dem zweiten der weltweiten Rangfolge. Obwohl die Pläne zur Raketenabwehr noch weit von der auch technischen Umsetzung entfernt sind, werden jetzt die Grundlagen für neue Runden von Aufrüstung bereitet. Hier sind die Europäer gefragt, deutlich eigenständige Positionen zu beziehen.
Militärische Interventionen haben zugenommen. Multilaterale UN-Missionen sind in das Zentrum der Diskussion neuer und zukünftiger Militäreinsätze gerückt. Rund 90 Prozent aller Kriegsopfer sterben heute durch Kleinwaffen in regionalen und internen Kriegen. Dies waren allein in den letzen zehn Jahren drei Millionen Menschen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Kleinwaffen sind damit die Massenvernichtungswaffen des modernen Krieges. „Es ist dringend notwendig diese Waffen auf die internationale Rüstungskontrollagenda zu setzen,“ forderte Wulf. Einen Anfang kann die UN-Konferenz zum Thema „Illegaler Handel mit Kleinwaffen und leichten Waffen“ im Juli 2001 in New York machen. „Das Internationale Konversionszentrum wird als offiziell registrierte Organisation durch einen Workshop und andere Aktivitäten zu diesem hoffentlich wichtigen Meilenstein beitragen“, kündigte Wulf an.
Obwohl Abrüstung einfacher ist als Rüstungskontrolle verzeichnet das BICC auch hier Stagnation. Der BICC Abrüstungsindex aus der Kombination von Militärausgaben, Waffenarsenalen, Streitkräften und Beschäftigtenzahlen in der Rüstungsindustrie belegt: Im neuen Jahrtausend wird nicht mehr abgerüstet. „Die Reduktion der Militärapparate ist zum Stillstand gekommen. Aber immerhin sind die militärischen Sektoren heute um ein Drittel kleiner als zum Ende des Kalten Krieges“, sagte Wulf.
Trotzdem werden weiterhin enorme militärische Potenziale unterhalten. Das BICC-Jahrbuch stellt fest: Die weltweiten Militärausgaben betrugen 1999 686 Milliarden US-Dollar (in Preisen von 1993); der gegenwärtige Bestand an konventionellen Großwaffen liegt bei über 422.000 Stück; es gibt über 21,7 Million Soldaten in regulären Streitkräften und fast 8 Million Beschäftigte arbeiten weltweit in der Rüstungsindustrie.
Die Situation in Deutschland
Deutschland liegt im Abrüstungstrend nach wie vor weit vorne, hat weltweit den 12. Rang gehalten und hat seinen militärischen Sektor gegenüber dem Ende des Kalten Krieges auf fast die Hälfte verkleinert. Bei den Militärausgaben liegt Deutschland allerdings unter allen Staaten der Welt immer noch auf dem vierten Platz – vor Ländern wie China oder dem Vereinigten Königreich. Das BICC fordert Verhandlungen zu Reduktionen der Militärausgaben im Rahmen der Vereinten Nationen. „Sowohl die Diskussion innerhalb der NATO über angeblich zu geringe Rüstungsanstrengungen der Europäer als auch die geplante Vereinnahmung von Erlösen durch den Verkauf von Liegenschaften durch den Verteidigungsminister ist mehr als fragwürdig“, kritisierte Wulf. Der Abrüstungsprozess in Deutschland muss jetzt wieder an Fahrt gewinnen.
Um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Sicherheit wieder zu beleben fordert das Internationale Konversionszentrum Bonn:
- Die Kontrolle des Militärs in Konflikten: Nicht jeder Konflikt bedarf einer militärischen Antwort. Im Gegenteil!
- Die Kapazität der Vereinten Nationen für Friedensmissionen muss gestärkt werden und die VN müssen die notwendigen Mittel erhalten, um den Gewaltzirkel zu durchbrechen.
- Rüstungskontrolle muss Abrüstung wieder in Gang bringen und den Trend dauerhaft verstetigen.
- Rüstungskontrolle sollte darauf ausgerichtet sein, den raschen Prozess der Waffenmodernisierung zu verlangsamen.
- Kleinwaffen müssen Gegenstand internationaler Rüstungskontrolle sein.
- Die Militärausgaben: müssen im Rahmen von Rüstungskontrolle reduziert werden.
- Die Durchsetzung selektiver Initiativen: Das Beispiel der Ottawa-Konvention sollte Schule machen.
- Die Erhöhung der finanziellen und technischen Abrüstungshilfe ist dringend erforderlich. Die Beträge für solche Programme im Haushalt des Auswärtigen Amtes sind im Vergleich zu den Militärausgaben marginal.
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