Angst der Bevölkerung vor Terror-Angriff ernst nehmen
Ortwin Renn eröffnet Sicherheitsgipfel der Kernenergie-Experten in Paris
Eine offene Diskussion über die möglichen Gefahren und Risiken eines terroristischen Angriffes auf kerntechnische Anlagen hat Prof. Ortwin Renn, Leitender Direktor der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg (TA-Akademie) gefordert. „Erfahrungen aus der Risikoforschung zeigen, dass es den Menschen hilft, wenn sie wissen, wie sie sich in Notsituationen verhalten müssen“, sagte Renn in seinem Eröffnungsvortrag am 5. November beim dritten Forum für nukleare Sicherheit (Eurosafe) in Paris. Über zwei Tage diskutieren in Paris 500 Kernkraftexperten aus ganz Europa über Fragen der nuklearen Sicherheit, wobei Befürworter und Gegner der Kernenergie zu gemeinsamen Einschätzungen kommen wollen. Unter anderem geht es bei den Gesprächen und Verhandlungen um die Sicherheit von Nuklearanlagen vor dem Hintergrund der Attentate vom 11. September.
Angesichts der neuartigen Bedrohung durch Selbstmordattentäter und der anhaltenden Akzeptanzkrise großer Nuklearanlagen forderte der Leitende Direktor der TA-Akademie, sich noch intensiver als bisher auf den Bau kleiner, modularer und inhärent sicherer Reaktoren zu konzentrieren, wenn die Energieerzeugung durch Kernenergie überhaupt noch eine Zukunft in Europa haben sollte. Vor allem gelte es, das weiterhin große Katastrophenpotenzial von kerntechnischen Anlagen so weit zu verringern, dass bei einem Kernschmelzunfall, ebenso wie bei einem Angriff von außen, weder katastrophale Gesundheitsschäden für viele tausend Menschen noch Kontaminationen von großen Landflächen über viele Jahrzehnte auftreten könnten. Gleichzeitig müsse das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle so gelöst werden, dass künftige Generationen nach menschlichem Ermessen nicht mehr belastet würden.
Außerdem forderte Renn eine unabhängige und lückenlose Überwachung der Nuklearanlagen sowie eine vollständige Information der Öffentlichkeit bei Störfällen oder Pannen. Die in den letzten Wochen in Baden-Württemberg aufgetretenen Fehlinformationen der Behörden durch die Kraftwerksbetreiber seien mit der für den Betrieb von Nuklearanlagen notwendigen Sicherheitskultur unvereinbar. „Selbst wenn für die umgebende Bevölkerung keine Gefahr einer Schädigung bestand, leidet bei solchen Vorgängen das Vertrauen in die Betreiber, und die Kerntechnik verliert weiter an Akzeptanz, wenn die Leute das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden“, so Renn. Dies belege auch der aktuelle Risikosurvey der TA-Akademie, der im Frühjahr 1500 Bürger in Baden-Württemberg nach ihrer Wahrnehmung von Risikotechnologien befragt hatte. Danach fühlt sich weniger als ein Fünftel der Bürger tatsächlich von Risiken wie Kernkraft, oder Gentechnik, BSE oder Mobilfunk persönlich bedroht. Aber es existiert eine Glaubwürdigkeits- und Vertrauenslücke gegenüber der Politik und der Industrie. Gleichzeitig trauen die Bürger den Verantwortlichen nicht mehr die Kompetenz zu, in Krisenzeiten wirklich die richtigen Entscheidungen treffen zu können. „Die Bürger stören sich vor allem an der fehlenden Sensibilität von Politik und Industrie in Technik- und Risikofragen und der mangelnden Beteiligung an Entscheidungen“, sagte Renn. Dieses Manko anzugehen und dazu innovative Lösungsvorschläge auszuarbeiten, ist auch eine der zentralen Aufgaben der von der Bundesregierung eingesetzten Risikokommission, zu deren Vorsitzendem Ortwin Renn letztes Jahr gewählt wurde.
Das zweitägige Forum für nukleare Sicherheit (Eurosafe) wird von der Deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gemeinsam mit dem Institut de Protection et de Sûreté Nucléaire (IPSN) einmal jährlich veranstaltet und dient als Gesprächsforum für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Diskussion aktueller Sicherheitsfragen in der Kernenergie und zur Konsensfindung über wichtige Handlungsoptionen zwischen Befürwortern und Gegnern der Kernenergie.
Ansprechpartner: Prof. Ortwin Renn: Tel: 0711/9063-160
ortwin.renn@ta-akademie.de
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