Bluthochdruck macht junge Menschen zufriedener und gelassener

Hoher Blutdruck kann für Kinder und Jugendliche offenbar auch gute Seiten haben. Eine Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) zeigt: Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Blutdruck erzielen bessere Schulleistungen.

Außerdem haben sie weniger emotionale Probleme und Verhaltensstörungen als andere Kinder im gleichen Alter mit normalem Blutdruck. Die Ergebnisse der Studie sind veröffentlicht in der Mai-Ausgabe der renommierten amerikanische Fachzeitschrift „Psychosomatic Medicine“. Die Bedeutung dieser Ergebnisse für die Behandlung von erwachsenen Menschen mit Bluthochdruck wollen die Mediziner der UMG jetzt in weiteren Studien ausloten.

Originalpublikation: Angela Berendes, Thomas Meyer, Martin Hulpke-Wette, Christoph Herrmann-Lingen. Association of Elevated Blood Pressure With Low Distress and Good Quality of Life: Results From the Nationwide Representative German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents. Psychosomatic Medicine 75:422-428 (2013).

„Dass ein erhöhter Blutdruck auch mit einer besseren Lebensqualität verbunden sein kann, das war für uns ein überraschendes und trotzdem wichtiges Untersuchungsergebnis“, sagt Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der UMG und Senior-Autor der Studie. „Wir vermuten: Was bei jungen Menschen hilfreich wirkt, verhindert bei erwachsenen Patienten mit Bluthochdruck die so genannte „Compliance“. Ältere Menschen mit Bluthochdruck können oder wollen oft unsere Behandlungsempfehlungen gegen Bluthochdruck nicht einhalten.“

Für die publizierte Studie wertete das Team um Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen die Daten des deutschlandweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) aus den Jahren 2003 bis 2006 aus. 7.688 Jungen und Mädchen im Alter von elf bis siebzehn Jahren aus ganz Deutschland wurden dafür körperlich untersucht und zu ihrer psychischen Belastung und Lebensqualität befragt. Auch die Eltern machten Angaben zum Befinden ihrer Kinder. Nahezu elf Prozent der untersuchten Kinder und Jugendliche hatten einen erhöhten Blutdruck, das sind fast doppelt so viele als erwartet.
ERGEBNISSE DER STUDIE IM DETAIL
Kinder mit Bluthochdruck neigen eher zu Übergewicht, verbringen mehr Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer und fühlen sich körperlich weniger fit. Diese Ergebnisse waren wenig überraschend. Doch die Forscher der Universitätsmedizin Göttingen fanden heraus: Diese Jugendlichen verfügen über ein höheres Selbstwertgefühl und schneiden besser in der Schule ab als Kinder mit normalem Blutdruck. Auch Anzeichen von Hyperaktivität zeigten sich in dieser Gruppe seltener. Eltern von Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Blutdruck nahmen ihren Nachwuchs als zufriedener und weniger unruhig wahr als Eltern von Jugendlichen mit normalem Blutdruck. Eine allgemeine Stressbelastung sowie emotionale und Verhaltensprobleme lagen nach Einschätzung der Eltern von Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Blutdruck weniger häufig vor. Alle diese Zusammenhänge waren nicht durch andere untersuchte Merkmale zu erklären.

MÖGLICHE URSACHEN?
Wie sich die positive Wirkung des erhöhten Blutdrucks bei Kindern und Jugendlichen genau erklären lässt, können die Wissenschaftler noch nicht abschließend beurteilen. Bekannt ist: Ein erhöhter Blutdruck stimuliert bestimmte Nervenfasern zum Gehirn, die negative Gefühle beruhigen können. Dieser Effekt könnte zumindest einen Teil der Ergebnisse erklären. Hinzu kommt: „Die meisten Jugendlichen wissen nicht von ihrem erhöhten Blutdruck. Sie machen sich darum keine Sorgen“, sagt Angela Berendes, Erstautorin der Studie und Doktorandin in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der UMG. „Vielleicht profitieren sie gerade deshalb von den positiven Nebeneffekten eines erhöhten Blutdrucks.“

In Anschlussstudien wollen die UMG-Forscher die weiteren Zusammenhänge zwischen Bluthochdruck und einer verbesserten Lebensqualität erforschen.

IST BLUTHOCHDRUCK EINE METHODE GEGEN STRESS?
Bluthochdruck zählt zu den wichtigsten Herz-Kreislauf-Risikofaktoren. Seine Ursachen sind in den meisten Fällen unbekannt. Die Ergebnisse der Göttinger Forscher können dabei helfen, mögliche Ursachen besser zu verstehen.

„Durch eine biologische Rückkopplungsschleife kann der Körper die Erfahrung machen, dass es das Befinden insgesamt verbessert, wenn der Blutdruck dauerhaft erhöht ist. Der Bluthochdruck wird möglicherweise als Methode der Stressbewältigung gelernt“, sagt Prof. Dr. Herrmann-Lingen.

Die Erkenntnisse aus der Untersuchung von jungen Menschen mit Bluthochdruck haben weitreichende Konsequenzen für eine künftige Strategie bei der Behandlung von älteren Menschen mit Bluthochdruck. Bisher scheitern Versuche, den Blutdruck richtig einzustellen, sehr häufig daran, dass ein Patient die Therapie nicht konsequent verfolgt. Tatsächlich konnten Studien mit Erwachsenen zeigen, dass die Einnahme von Medikamenten zur Blutdrucksenkung die Lebensqualität sogar eher beeinträchtigt. Dies führt dazu, dass Patienten gut wirksame Medikamente nicht zuverlässig einnehmen.

BLUTHOCHDRUCK GESENKT, ABER MOTIVATION FUTSCH?
Die neuen Erkenntnisse über die Auswirkungen von Bluthochdruck auf Kinder und Jugendliche legen nahe, die bisherige Behandlung von Bluthochdruck mit Medikamenten bei Erwachsenen in einigen Punkten zu überprüfen. „Es könnte sein, dass die Hauptwirkung eines Medikaments, den Blutdruck zu senken, dazu führt, dass der Patient die Motivation verliert, an der Therapie mitzuwirken. Behandlungen müssten dies zukünftig berücksichtigen“, sagt Prof. Dr. Herrmann-Lingen. Seine Ideen dazu: Eine besser abgestimmte Therapie könnte neben der Senkung des Blutdrucks auch ausdrücklich den Effekt auf das Befinden des Patienten optimieren. Die medikamentöse Behandlung könnte um Angebote zur Stressreduktion ergänzt werden. Es könnten aber auch Behandlungen entwickelt werden, die gleichzeitig den Blutdruck senken und das Wohlbefinden verbessern. Damit bekommt auch ein bewährtes Behandlungsverfahren bei Bluthochdruck eine neue Bedeutung: Regelmäßige körperliche Aktivität kann sowohl den Blutdruck senken als auch das Wohlbefinden verbessern – wenn sie von Arzt und Patient als wirksame Behandlung ernst genommen wird.
WEITERE INFORMATIONEN:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen, Telefon 0551 / 39-6707
Von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen
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Stefan Weller idw

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