Deutsche haben keine Angst vor technischem Fortschritt am Arbeitsplatz

Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung werden moderne Technik und technische Innovationen am Arbeitsplätz von der überwiegenden Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland positiv bewertet.

Vier von fünf Arbeitnehmern haben technischen Fortschritt in den vergangenen Jahren an ihrem Arbeitsplatz selbst erlebt. Auch wenn die Nachteile dieser Entwicklung wie Arbeitsplatzabbau und zunehmender Stress gesehen werden, bereitet den meisten Menschen die Entwicklung wenig Ängste. Dies zeigt eine repräsentative Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Notwendig sind dagegen mehr Weiterbildung und eine entsprechende Anpassung der Arbeitsstrukturen.

Danach sehen 64 Prozent der Befragten in moderner Technik und technischem Fortschritt mehr positive als negative Auswirkungen, nur knapp 8 Prozent erkennen das Gegenteil. Ostdeutsche und jüngere Arbeitnehmer sowie Arbeitnehmer mit hohen Bildungsabschlüssen begegnen dem Fortschritt noch aufgeschlossener als ihre älteren und westdeutschen Kollegen. Allerdings überwiegt in allen Gruppen und Schichten das Vertrauen deutlich. So misstraut weniger als jeder Zehnte technischen Innovationen generell. Der Wandel der Arbeitswelt durch Technik ist den meisten Beschäftigten auch nicht nur theoretisch bekannt. 78 Prozent haben ihn in den vergangenen Jahren persönlich erfahren, vor allem in größeren Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten. Doch auch in Kleinbetrieben berichten drei von vier Arbeitnehmern über entsprechende Veränderungen.

Die meisten verbinden mit den Erfahrungen Arbeitserleichterungen, Computer- und Interneteinsatz, neue Maschinenparks, Vernetzung und schnellere Arbeitsabläufe. Über die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die eigene Arbeit sagen 79 Prozent, sie sei produktiver und 66 Prozent sie sei anspruchsvoller geworden. 58 Prozent finden sie dadurch auch interessanter. Aber auch negative Erfahrungen werden häufig geschildert. So sagen 38 Prozent ihre Arbeit werde heute stärker kontrolliert und 37 Prozent beschreiben sie als stressiger gegenüber vor 10 Jahren. Und jeder Vierte bewertet die Auswirkungen als negativ oder sehr negativ für sein persönliches Familienleben

Aart De Geus, Vorsitzender der Bertelsmann Stiftung: „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, als seien Arbeitnehmer fortschritts- und veränderungsfeindlich. Im Gegenteil zeigt sich hier ein enormes, aber bislang ungehobenes Wachstumspotenzial für die Wirtschaft. Angesichts des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels sollte es jetzt systematisch erschlossen werden. Dies wiederum setzt Weiterbildung voraus.“

Allerdings wissen die Arbeitnehmer auch um die Schattenseiten der technischen Entwicklungen. So kennen 48 Prozent auch Arbeitsplatzverluste als Folge von technischem Fortschritt aus eigenen Erfahrungen. Und eine klare Mehrheit findet daher auch, dass diese Trends mehr Arbeitsplätze vernichten als sie neue schaffen. Dieser Meinung ist fast jeder Zweite, unabhängig, ob er im Dienstleistungssektor oder in der Industrie beschäftigt ist. Ostdeutsche beschreiben diese Erfahrung mit 54 Prozent häufiger als 46 Prozent der westdeutschen Arbeitnehmer. Doch offensichtlich fühlen sich die abhängig Beschäftigten davon persönlich nicht betroffen. Auf die Frage, ob sie gegenwärtig befürchten, ihren Arbeitsplatz durch technischen Fortschritt zu verlieren, erklären 80 Prozent, sie hätten keine Angst. Nur 4 Prozent äußern im Durchschnitt diese Befürchtung, am häufigsten in den älteren und mittleren Arbeitnehmerjahrgängen.

Als wichtigste Konsequenz folgern 43 Prozent der Arbeitnehmer, dass sie sich stärker weiterbilden müssen, um technischem Fortschritt an ihrem Arbeitsplatz gerecht zu werden. Um mit der Entwicklung Schritt halten zu können, sehen 88 Prozent der Befragten dabei ihren Arbeitgeber in der Pflicht, aber 71 Prozent auch sich selber. Nur eine Minderheit sieht die Verantwortung dafür bei den Tarifparteien oder beim Staat. Allerdings kann die Mehrzahl der deutschen Arbeitnehmer bislang noch keine oder nur sehr wenige berufliche Weiterbildungserfahrungen in Sachen technischer Fortschritt vorweisen. 47 Prozent besuchten zu diesem Zweck noch nie eine Qualifikationsmaßnahme und weitere 28 Prozent bisher lediglich ein oder zwei Mal.

Als Konsequenz aus der Befragung folgert Aart De Geus: „Die Arbeitgeber müssen das Thema Weiterbildung auch für gering Qualifizierte zur Chefsache machen. Und die Arbeitnehmer sollten im Dialog mit ihren Arbeitgebern das Thema Weiterbildung zukünftig noch selbstbewusster in ihren berechtigten Forderungskatalog aufnehmen. Darin steckt eine große Chance auf nachhaltigen Gewinn für beide Seiten.“

Als Gewinnerthema sehen die meisten Arbeitnehmer das Thema ohnehin schon aus anderen Gründen. Jeder Dritte erhofft sich laut der Umfrage vom technischen Fortschritt, dass er auch im fortgeschrittenen Alter noch arbeiten kann. Dass die eigene Arbeit dagegen einmal von einer Maschine oder einem Computer erledigt werden wird, können sich dagegen 75 Prozent der Arbeitnehmer nicht vorstellen. Und dass sie zukünftig nur noch einen virtuellen Chef haben, den sie im Netz treffen, um dort ihre Arbeit abzuliefern, ist auch nur für jeden Fünften eine mögliche Vision.

Hintergrund:
Die repräsentative Befragung der Bertelsmann Stiftung erfolgte durch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im August und September unter 1.537 voll- und teilzeitbeschäftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. Sie wurde im Rahmen des Stiftungsprogramms „Nachhaltig Wirtschaften“ für einen internationalen Fachkongress der Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Verband der Bayerischen Wirtschaft sowie dem „International Institute of Innovation Journalism and Communication“ am 22. November 2013 in München erhoben. Unter der Überschrift „Innovation for Jobs – Jobs for Innovation“ diskutieren Fachleute über „Best Practices“ zu der Frage der Schaffung von Arbeitsplätzen und Qualifikation. Das Eröffnungsreferat wird Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, halten.

Über die Bertelsmann Stiftung:

Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für das Gemeinwohl ein. Sie engagiert sich in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit sowie internationale Verständigung und fördert das friedliche Miteinander der Kulturen. Durch ihr gesellschaftliches Engagement will sie alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich ebenfalls für das Gemeinwohl einzusetzen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann SE & Co. KGaA. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet operativ und ist unabhängig vom Unternehmen sowie parteipolitisch neutral.

Ansprechpartner:

Dr. Juliane Landmann
Telefon: +49 5241 81-81245
Projektmanagerin „Wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigung“, Bertelsmann Stiftung

E-Mail: juliane.landmann@bertelsmann-stiftung.de

Eric Thode
Senior Expert Programm „Nachhaltig Wirtschaften“, Bertelsmann Stiftung
Telefon: +49 5241 81-81581
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Projekt: Wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigung

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Ute Friedrich idw

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