Elektrosmog stört Orientierung von Zugvögeln – Internationale Studie in „Nature“ erschienen
Die von den neun Oldenburger Wissenschaftlern gemeinsam mit Prof. Dr. Peter J. Hore von der University of Oxford (Großbritannien) durchgeführten langjährigen Forschungen sind jetzt unter dem Titel „Anthropogenic electromagnetic noise disrupts magnetic compass orientation in a migratory bird“ (Von Menschen verursachtes elektromagnetisches Rauschen stört die Magnetkompass-Orientierung von Zugvögeln) in der aktuellen Ausgabe der renommierten englischsprachigen Fachzeitschrift Nature erschienen. Nature unterstreicht die Bedeutung der Studie, indem sie sie zum Titelthema der Ausgabe vom 15. Mai macht.
„Wir konnten mit unseren Versuchen einen eindeutigen und reproduzierbaren Effekt menschlich verursachter elektromagnetischer Felder auf ein Wirbeltier dokumentieren. Diese Störungen stammen nicht von Stromleitungen oder Mobilfunknetzen“, betont Mouritsen. Das elektromagnetische Rauschen im Frequenzbereich zwei Kilohertz bis fünf Megahertz stamme im Wesentlichen von Elektrogeräten. „Die Auswirkungen der schwachen elektromagnetischen Felder sind bemerkenswert: Sie stören die Funktion eines gesamten sensorischen Systems bei einem gesunden höheren Wirbeltier.“
Am Anfang stand der Zufall: Seit etwa fünfzig Jahren ist bekannt, dass Zugvögel das Magnetfeld der Erde nutzen, um im Frühjahr und Herbst ihre Zugrichtung zu bestimmen. Biologen konnten dies in zahlreichen Experimenten nachweisen, bei denen sie die Navigationsfähigkeiten der Vögel in so genannten Orientierungskäfigen untersuchten. „Wir waren daher überrascht, als wir bei unseren Versuchen feststellten, dass Rotkehlchen in Holzhütten auf dem Campus der Universität Oldenburg nicht ihren Magnetkompass nutzen konnten“, erklärt Mouritsen.
Dr. Nils-Lasse Schneider, Elektrophysiologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in Mouritsens Arbeitsgruppe, hatte die zündende Idee: Er schlug vor, die Versuchshütten und damit auch die Orientierungskäfige mit geerdeten Aluminiumplatten abzuschirmen. Die Abschirmung ließ das für die Navigation der Vögel entscheidende statische Magnetfeld der Erde unberührt, dämpfte aber das zeitabhängige elektromagnetische Rauschen – den Elektrosmog – innerhalb der Hütten.
Die Wirkung war verblüffend: Die Vögel hatten plötzlich keine Probleme mehr, sich zu orientierten, und fanden ihre Zugrichtung. „Unsere Messungen der Störungen deuteten darauf hin, dass wir per Zufall ein biologisches System entdeckt hatten, das empfindlich auf vom Menschen verursachten Elektrosmog im Frequenzbereich bis zu fünf Megahertz reagiert“, sagt Mouritsen. Überraschend dabei sei gewesen: Die Intensität der Störungen lag weit unter den Grenzwerten der Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) und der WHO, so der Biologe.
Den beobachteten Effekt sicher zu beweisen, war für Mouritsen und sein Team eine große Herausforderung: „Wir haben bewusst über sieben Jahre hinweg zahlreiche Experimente durchgeführt und belastbare Beweise gesammelt, um vollkommen sicher zu gehen, dass es den Effekt tatsächlich gibt.“ So führten seine Doktoranden unter Leitung von Svenja Engels zahlreiche so genannte Doppelblindversuche durch. Mehrere Generationen von Studierenden wiederholten auf dem Oldenburger Campus unabhängig voneinander die Experimente. Dabei zeigte sich: Sobald die Erdung entfernt wurde oder das elektromagnetische Breitbandrauschen absichtlich innerhalb der abgeschirmten und geerdeten Holzhütten erzeugt wurde, büßten die Vögel ihre Fähigkeit zur magnetischen Orientierung wieder ein.
Die Wissenschaftler konnten zudem nachweisen: Die Störeffekte werden durch elektromagnetische Felder hervorgerufen, die einen viel breiteren Frequenzbereich in einer weit geringeren Intensität abdecken, als frühere Untersuchungen vermuten ließen. Dieses elektromagnetische Breitband-Rauschen ist im urbanen Umfeld allgegenwärtig. Es entsteht überall dort, wo Menschen elektrische Geräte benutzen. Erwartungsgemäß ist es in ländlicher Umgebung deutlich schwächer. Und tatsächlich: Anders als auf dem Campus der Universität funktionierte der Magnetkompass der Rotkehlchen in Orientierungskäfigen, die ein bis zwei Kilometer vor den Toren der Stadt aufgestellt wurden, auch ohne Abschirmung und Erdung. „Natürlich sind die Auswirkungen des Elektrosmogs auf den Vogelzug somit lokal begrenzt. Dennoch sollten uns diese Ergebnisse zu denken geben – sowohl was die Überlebenschancen der Zugvögel als auch was mögliche Effekte für den Menschen angeht, die es noch zu untersuchen gilt“, so Mouritsen.
Zur Person
Prof. Dr. Henrik Mouritsen forscht und lehrt seit 2002 an der Universität Oldenburg, wo er sich 2005 habilitierte. Seit 2007 ist der dänische Biologe Inhaber einer Lichtenberg-Professur der VolkswagenStiftung. Mit der Initiative „Lichtenberg-Professuren“ fördert die Stiftung herausragende Wissenschaftler in innovativen Lehr- und Forschungsfeldern. In seiner Forschung widmet sich Mouritsen den verhaltensbiologischen, molekularen, physiologischen und kognitiven Mechanismen, die der Langstreckennavigation von Zugvögeln zugrunde liegen. Als Leiter der internationalen Nachwuchsgruppe „Neurosensorik/Animal Navigation“ konnte er nachweisen, dass die Vögel auf zweierlei Weise das Erdmagnetfeld zur Orientierung nutzen. Über lichtempfindliche Moleküle im Auge nehmen sie die Kompass-Richtung des Magnetfelds visuell wahr. Zusätzlich verfügen die Vögel über einen Magnetsensor im oberen Teil ihres Schnabels, der über Nervenbahnen mit dem Hirnstamm verbunden ist. Für beide Orientierungssysteme identifizierte die Gruppe um Mouritsen erstmals die beteiligten Areale im Hirn der Vögel.
„Anthropogenic electromagnetic noise disrupts magnetic compass orientation in a migratory bird” by Svenja Engels, Nils-Lasse Schneider, Nele Lefeldt, Christine Maira Hein, Manuela Zapka, Andreas Michalik, Dana Elbers, Achim Kittel, P.J. Hore, Henrik Mouritsen, Nature.
Hinweis für die Kolleginnen und Kollegen der Presse:
Ein Videointerview mit Prof. Dr. Henrik Mouritsen zu diesem Thema finden Sie unter http://youtu.be/V88jQKUyPEs (nicht-öffentlicher Link, offizielle Freischaltung am 7. Mai mit Sperrfrist 19.00 Uhr).
Kontakt: Prof. Dr. Henrik Mouritsen, Institut für Biologie, Universität Oldenburg, Tel.: 0441/798-3081, Mobil: 0151/56313360, E-Mail: henrik.mouritsen@uni-oldenburg.de
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