Epilepsie-Studie: Erstmals gemeinsame genetische Risikofaktoren entdeckt
Eine auf der Neurowoche vorgestellte Studie unter Tübinger Beteiligung belegt jetzt erstmals, dass es gemeinsame genetische Risikofaktoren bei häufigen Epilepsiesyndromen gibt (Lancet Neurology 2014; 13 (9): 893-903):
In einer internationalen Kooperation identifizierten die Wissenschaftler durch eine sogenannte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) drei genetische Risikofaktoren. Für ihre Studie analysierten sie die Daten von 8.696 Epilepsiefällen und 26.157 Kontrollprobanden aus drei Kontinenten.
Der auffälligste der drei identifizierten Genorte liegt in SCN1A, dem wichtigsten bisher bekannten Epilepsie-Gen. Schwerwiegende Mutationen, die eine von zwei vorhandenen Kopien dieses Gens zerstören, liegen dem Dravet-Syndrom zugrunde.
Dabei handelt es sich um eine seltene, schwere Epilepsieform des Kindesalters, in deren Verlauf auch die geistige Entwicklung stark beeinträchtigt wird. Die mit häufigen Epilepsien assoziierte Variante in SCN1A kann als „Risikofaktor mit geringer Effektstärke“ betrachtet werden.
Das SCN1A Gen enthält die verschlüsselte Sequenz für einen Natriumkanal. Dieser spielt eine wichtige Rolle für die Hemmung im Gehirn, die durch Epilepsie-Mutationen vermindert wird. Dadurch werden epileptische Anfälle begünstigt.
Zu der möglichen Rolle der anderen beiden Risikofaktoren in den Genen PCDH7 und VRK2 ist bislang noch nicht viel bekannt. „Obwohl die Wirkung jedes einzelnen Risikofaktors gering ist, nehmen wir an, dass ein wesentliches kumulatives Risiko besteht“, sagt Professor Dr. Holger Lerche, Vorstand am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) und Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie des Universitätsklinikums Tübingen. Das heißt, je höher die Anzahl an Risikofaktoren desto höher das Erkrankungsrisiko. Ein einzelner Risikofaktor reicht jedoch nicht aus, um eine Epilepsie definitiv vorherzusagen.
„Die Entdeckung gibt uns erstmals Hinweise auf den komplexen zugrundeliegenden Krankheitsmechanismus häufiger Epilepsieformen“, erläutert Lerche. Auch auf die Behandlung haben genetische Faktoren bereits Einfluss. „Bei Vorliegen schwerwiegender SCN1A Mutationen, vermeidet man bereits heute eine wichtige Gruppe von antiepileptisch wirksamen Substanzen, die Natriumkanäle blockieren. Häufige SCN1A Varianten könnten auch für die häufigen Epilepsien ein Teilfaktor werden, der Auskunft darüber geben könnte, welche Medikamente ansprechen und welche nicht.“
Originaltitel der Publikation:
Genetic determinants of common epilepsies: a meta-analysis of genome-wide association studies; The Lancet Neurology, Volume 13, Issue 9, Pages 893 – 903, September 2014; doi:10.1016/S1474-4422(14)70171-1; http://download.thelancet.com/pdfs/journals/laneur/PIIS1474442214701711.pdf?id=j…
Zu Epilepsien
Epileptische Anfälle beruhen auf Störungen des Gehirns aufgrund kurz dauernder, vermehrter Entladungen von Nervenzellen. Es gibt mehr als dreißig Formen epileptischer Anfälle und noch mehr Formen von Epilepsien, weil diese auch mit einer Kombination mehrerer verschiedener Anfallsformen einhergehen können.
Epilepsie tritt mit einer Häufigkeit von rund 0,5 bis 1 Prozent in der gesamten Weltbevölkerung auf, wobei alle Regionen oder Volksgruppen mehr oder weniger gleichermaßen betroffen sind. Noch mehr Menschen – 2 bis 5 Prozent – haben mindestens 1-mal im Leben einen epileptischen Anfall. In Deutschland leben insgesamt rund 400.000 Menschen mit Epilepsie – jährlich kommen etwa 50 neue Fälle pro 100.000 Menschen dazu. Je nach Altersgruppe schwankt die Rate der neu hinzukommenden Epilepsie-Fälle stark: Bei kleinen Kindern ist sie sehr hoch, sinkt dann aber auf ein deutlich geringeres Niveau, das etwa zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr am niedrigsten ist, und steigt erst im höheren Alter wieder deutlich an.
Epilepsien gehören immer noch zu den Erkrankungen, denen in der Öffentlichkeit mit einer Vielzahl falscher Vorstellungen und Vorurteile begegnet wird, obwohl das Fachwissen gerade in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen hat.?Schon der berühmte griechische Arzt Hippokrates (460 – 375 vor Christus) hatte erkannt, dass Epilepsien auf einer Störung im Gehirn beruhen, aber es dauerte bis zum 19. Jahrhundert, bis sich diese Überzeugung auch im ärztlichen Handeln und zunehmend auch im allgemeinen Bewusstsein niederschlug.
Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) und Epilepsien
Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) dienen dazu, Genvarianten zu identifizieren, die Einfluss auf das Risiko besitzen, an bestimmten Leiden zu erkranken. Dafür untersucht man die Genomdaten von tausenden gesunden und kranken Menschen und vergleicht sie miteinander. Als Ergebnis erhält man Zahlenverhältnisse, die beschreiben ob eine spezifische Stelle im Genom öfter bei Kranken im Vergleich zu Gesunden verkommt oder nicht. Ist ersteres der Fall, so spielen diese Stellen in der DNA möglicherweise eine Rolle in der Krankheitsentstehung und -förderung. Auf diese Art und Weise kann man Abschnitte im Erbgut identifizieren und sie durch weitere Forschung auf ihre genaue Krankheitsrelevanz prüfen. Bei Epilepsie wiesen GWAS bislang nur geringeren Erfolg auf, spezielle Risiko-Loci (Genorte) zu identifizieren – aufgrund zu kleiner Stichproben und dadurch mangelhafter Aussagekraft.
Zur Studie
Für ihre Studie kombinierten die Wissenschaftler nun Daten aus genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) aus 12 Kohorten von Probanden diverser Ethnien mit Epilepsie und Kontrollpersonen aus populationsbasierten Datensets, die aus drei Kontinenten stammten. Insgesamt wurden 8.696 Epilepsiefälle und 26.157 Kontrollprobanden in die Analyse eingeschlossen. Phänotypisiert wurden Personen mit idiopathischer/genetischer generalisierter Epilepsie (n= 2600), fokaler Epilepsie (n=5300) und nicht klassifizierbarer Epilepsie. Bei den fokalen Epilepsien ist die Übererregung auf ein Gehirnareal beschränkt, bei den generalisierten Epilepsien erstrecken sich die Anfallszeichen über beide Hemisphären.
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