Fast jeder dritte Schüler in Deutschland geht ganztags zur Schule

Fast jeder dritte Schüler geht in Deutschland ganztags zur Schule. Im Schuljahr 2011/12 nutzten 2,3 Millionen Kinder und Jugendliche Ganztagsangebote. Das sind 30,6 Prozent aller Schüler. Ein Schuljahr zuvor hatte dieser Anteil 28,1 Prozent betragen.

Trotz dieser Steigerung liegt das Angebot weit unterhalb der Nachfrage der Eltern nach Ganztagsplätzen. Die bundesweite Statistik sagt jedoch nur wenig über den Schulalltag in den einzelnen Bundesländern. Denn während in Sachsen fast 80 Prozent der Schüler ganztags zur Schule gehen, sind es in Bayern nur gut elf Prozent. „Der Ausbau der Ganztagsschule zeigt besonders deutlich, welch unterschiedliche Schwerpunkte die Bundesländer in der Bildungspolitik setzen.

Stellenweise gibt es erheblichen Nachholbedarf“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, die die aktuellen Zahlen heute veröffentlicht.

Wie die Studie des Essener Bildungsforschers Professor Klaus Klemm zeigt, verlaufen die Unterschiede zwischen den Ländern dabei nicht unbedingt entlang den typischen Ost-West- oder Nord-Süd-Linien. So ist in Brandenburg (46,6 Prozent) der Anteil der ganztags unterrichteten Schüler doppelt so hoch wie im Nachbarland Sachsen-Anhalt (23,6 Prozent). Stadtstaaten weichen genauso stark voneinander ab wie Flächenländer: Hamburg verzeichnet eine doppelt so hohe Ganztagsquote (56,8 Prozent) wie Bremen (28,3 Prozent), und in Nordrhein-Westfalen (34,8 Prozent) gehen doppelt so viele Schüler ganztags in die Schule wie in Baden-Württemberg (17,2 Prozent).

Ähnlich weit auseinander liegen die Länder beim Anteil der Schüler, die in eine gebundene Ganztagsschule gehen. In Hessen besuchen nur 3,1 Prozent der Schüler die gebundene Ganztagsschule, auch Schleswig-Holstein, Bayern, Saarland, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen liegen im einstelligen Prozentbereich. Spitzenreiter ist erneut Sachsen mit knapp 31 Prozent.

Bundesweit liegt die Quote der Schüler, die im gebundenen Ganztag unterrichtet werden, bei 13,7 Prozent (Vorjahr: 12,9 Prozent). Damit besucht weniger als jeder zweite Ganztagsschüler die gebundene Form, der Wissenschaftler besonders große Möglichkeiten zuschreiben, das soziale und kognitive Lernen zu fördern – und damit auch Benachteiligungen von Kindern aus bildungsfernen Familien zu verringern. Zudem ermöglicht der gebundene Ganztag eher, zwischen Konzentrations- und Entspannungsphasen abzuwechseln und den starren 45-Minuten-Takt aufzubrechen.

„Für die individuelle Förderung aller Schüler bietet die gebundene gegenüber der offenen Ganztagsschule die besseren Rahmenbedingungen“, sagte Dräger. In offenen Ganztagsschulen steht es jedem Schüler frei, ob er die Nachmittagsangebote nutzt – ein Teil der Klasse geht mittags nach Hause. Konsequenz: „In der offenen Ganztagsschule konzentriert sich der Unterricht weiterhin auf den Vormittag, während nachmittags nur Betreuung möglich ist. Das mag berufstätigen Eltern entgegenkommen, dem Lernerfolg der Kinder hilft das weniger“, so Dräger. Trotzdem haben die Länder die Mittel aus dem 2003 aufgelegten und inzwischen ausgelaufenen Bundesprogramm zum Ausbau der Ganztagsschule vorrangig in offene Angebote investiert.

Die Nachfrage der Eltern geht repräsentativen Umfragen zufolge weit über die vorhandenen Angebote hinaus. Bereits 2010 hatte infratest dimap im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ermittelt, dass 63 Prozent der Eltern sich für ihr Kind den Besuch einer Ganztagsschule wünschen. Im vergangenen Jahr war dieser Wert nach einer Erhebung von TNS Emnid bereits bei 70 Prozent angelangt. „Wenn sich das Tempo beim Ausbau der Ganztagsangebote nicht deutlich erhöht, dauert es noch Jahrzehnte, bis die Nachfrage der Eltern befriedigt ist“, sagte Dräger.

Dräger bekräftigte deshalb den Vorschlag der Bertelsmann Stiftung, jedem Schüler einen Rechtsanspruch auf den Besuch einer Ganztagsschule einzuräumen: „Ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ist der entscheidende Hebel für eine staatliche Investitionsoffensive. Dann müssten die Länder das konzeptionelle Vakuum füllen und gemeinsame Qualitätsstandards erarbeiten, damit die Ganztagsschule ihre Potenziale auch entfalten kann.“ Studien der Bertelsmann Stiftung hatten im vergangenen Jahr die Kosten für einen flächendeckenden Ausbau der gebundenen Ganztagsschule auf jährlich 9,4 Milliarden Euro beziffert und zugleich bemängelt, dass aufgrund des konzeptionellen Vakuums der bisherige Ausbau höchst unterschiedliche Organisationsformen und Typen hervorgebracht habe.

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