Gedankenlesen bei Ratten
So genannte Platzzellen senden Signale, wenn wir uns an einer bestimmten Position befinden – diese Entdeckung brachte John O'Keefe, May-Britt Moser und Edvard Moser 2014 den Nobelpreis für Medizin ein.
Basierend darauf, welche Platzzelle feuert, können Wissenschaftler bestimmen, wo sich eine Ratte befindet. Neurowissenschaftler können nun sagen, wohin eine Ratte als nächstes gehen wird, und zwar je nachdem, welches Neuron feuert während die Ratte eine Aufgabe löst, die ihr Referenzgedächtnis testet.
Das ist das Ergebnis einer heute im Fachjournal Neuron veröffentlichten Studie, die von der Gruppe von Jozsef Csicsvari am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) mit Erstautor und Postdoc Haibing Xu sowie den ehemaligen Postdocs Peter Baracskay und Joseph O'Neill, der heute an der Universität Cardiff lehrt, durchgeführt wurde.
Wissenschaftler können daraus, welche Platzzelle im Hippocampus Signale sendet, ableiten, wo sich eine Ratte befindet. Manchmal entspricht jedoch die aktive Platzzelle nicht dem aktuellen Standort der Ratte. „Das gibt uns einen Einblick darin, was das Tier über den Raum denkt“, sagt Jozsef Csicsvari. „Wir haben dieses Konzept benutzt, um zu verstehen, wie Ratten bei Aufgaben denken, die ihr räumliches Gedächtnis testen.“
In den Experimenten navigierten Ratten durch ein Labyrinth mit acht Armen, drei davon enthielten Futter. Die Ratten besuchten das Labyrinth erneut, so dass sie Erinnerungen daran hatten, wo die Belohnungen versteckt waren.
Diese Aufgabe trennt zwei verschiedene Formen des räumlichen Gedächtnisses: Referenz- und Arbeitsgedächtnis. Das Referenzgedächtnis ist der Speicher, der es einer Ratte ermöglicht, sich daran zu erinnern, welche Arme Belohnungen enthalten und welche nicht.
Das Arbeitsgedächtnis ist das Gedächtnis, das den Überblick darüber behält, welche Arme die Ratte noch nicht besucht hat und welche sie bereits besucht hat. Die Forscher testen das reine Arbeitsgedächtnis, indem sie das Experiment so modifizierten, dass nur Arme, die Belohnungen enthielten, geöffnet waren, oder testeten das reine Referenzgedächtnis, indem sie bereits besuchte Arme schlossen.
Die Forscher fragten dann: Wie feuern Zellen, wenn Ratten durch ein Labyrinth navigieren, und wie unterscheidet sich das Feuern zwischen Referenz- und Arbeitsgedächtnisaufgaben?
In der Mitte des Labyrinths, bevor die Ratte den nächsten Arm betritt, entspricht die Abfolge der Zellen, die feuern, entweder der Route im zuletzt besuchten Arm genommen oder dem Arm, durch den die Ratte als nächstes laufen wird. Bei den Tests des Referenzspeichers entspricht die Sequenz dem nächsten Labyrintharm, den die Ratte besuchen wird. Das gibt den Forschern einen Einblick in die unmittelbaren Pläne der Ratte. „Das Tier denkt an einen anderen Ort als den, an dem es sich befindet. Tatsächlich können wir vorhersagen, welchen Arm die Ratte als nächstes betreten wird“, erklärt Csicsvari.
Die Forscher können nicht nur vorhersagen, wohin die Ratte als nächstes gehen wird, sie wissen auch, wann die Ratte einen Fehler machen wird, sagt Csicsvari: „Wenn die Ratte einen Fehler macht, erinnert sie sich an einen zufälligen Weg. Basierend auf den Platzzellen können wir vorhersagen, dass die Ratte einen Fehler machen wird, bevor sie ihn begeht.“ Die Vorhersage funktioniert allerdings nicht bei Aufgaben, die den Arbeitsspeicher testen. Bei diesen entspricht das Feuern der Platzzellen jenem Arm, den das Tier zuletzt besucht hat.
Die Forscher gehen davon aus, dass das Gehirn verschiedene Strategien zur Lösung von Referenz- und Arbeitsgedächtnisaufgaben einsetzt. „Mit dem Referenzspeicher navigiert das Gehirn und erinnert sich ‘das ein Ort ist, den ich besuchen muss‘.
Dabei wird der Hippocampus genutzt, der für räumliche Aufgaben wichtig ist. Der Arbeitsspeicher ist abstrakter, jeder Ort ist ein Punkt auf der Liste zu besuchender Orte. Der Hippocampus signalisiert wahrscheinlich dem präfrontalen Kortex, wo die Ratte war, und der präfrontale Kortex verfolgt, welche Gegenstände er abhaken kann“, fasst Csicsvari zusammen.
Über das IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne. http://www.ist.ac.at
Jozsef Csicsvari
Institute of Science and Technology Austria (IST Austria)
Tel: +43 (0)2243 9000-4301
E-mail: jozsef.csicsvari@ist.ac.at
Haibing Xu, Peter Baracskay,Joseph O’Neill, and Jozsef Csicsvari, “Assembly responses of hippocampal CA1 place cells predict learned behavior in goal-directed spatial tasks on the radial eight-arm maze“, Neuron, 2018, DOI: 10.1016/j.neuron.2018.11.015
https://ist.ac.at/de/forschung/forschungsgruppen/csicsvari-gruppe/
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