Langzeitstudie: Gute Noten für Hochbegabtenklassen
„Spezielle Klassen für hochbegabte Schüler an Gymnasien haben ganz klare Vorteile. Überall dort, wo es genügend Bevölkerung gibt – also vor allem in Großstädten – ist ihre Einrichtung empfehlenswert“.
Dieses Fazit zieht der Würzburger Psychologieprofessor Wolfgang Schneider aus den Ergebnissen einer aktuellen Studie, deren Ergebnisse jetzt vorliegen. Schneider hat an der Universität Würzburg die Begabungspsychologische Beratungsstelle ins Leben gerufen, an der das im Folgenden beschriebene Projekt koordiniert wurde.
Mehr als 1000 Schüler aus acht Gymnasien in Bayern und Baden-Württemberg haben Schneider und, die Privatdozentin Dr. Eva Stumpf (derzeit Vertretungsprofessorin am Institut), sowie Wissenschaftler der Universitäten Trier und Erlangen-Nürnberg zwischen 2008 und 2012 für diese Studie befragt. 324 dieser Schüler stammten aus speziellen Klassen für Hochbegabte, deren Entwicklung die Forscher von der fünften bis zur siebten Klasse begleiteten. In der Studie interessierte besonders der Vergleich dieser Schüler mit Hochbegabten, die reguläre Parallelklassen besuchten und von ihren Eltern trotz einer attestierten Hochbegabung in die Regelklasse geschickt worden waren.
Die Ergebnisse der Studie
Die Frage, die die Wissenschaftler am Meisten interessierte, war: Zeigen Schüler in speziellen Hochbegabtenklassen bessere Leistungen als Schüler in Regelklassen? Eindeutiges Ergebnis: Ja. „Schüler der Hochbegabtenklassen zeigen in all unseren Tests einen deutlichen Leistungsvorsprung“, sagt Schneider. Diesen Vorsprung zeigten sie auch im Vergleich zu ebenfalls überdurchschnittlich begabten Kindern in Regelklassen, was nicht unbedingt erwartet worden war.
Egal, ob Deutsch, Mathematik, Englisch oder Biologie (Natur und Technik): In all diesen Fächern schnitten Schüler aus Hochbegabtenklassen besser ab. Über den Zeitraum der Untersuchung nahm ihre Lesegeschwindigkeit deutlich stärker zu als bei Kindern in den Vergleichsklassen. Dabei zeigten sich kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Mädchen und Jungen aus Hochbegabtenklassen zeigten gleich gute Leistungen, lediglich im Fach Englisch schnitten Mädchen etwas besser ab.
Darüber hinaus waren in den Begabtenklassen das Bedürfnis nach kognitiver Herausforderung und die Freude am Denken deutlich höher ausgeprägt.
Gründe für das gute Abschneiden
Was die Ursachen für das bessere Abschneiden in den Leistungstests betrifft, wollen sich die Wissenschaftler nicht festlegen. „Dazu erlaubt die Studie keine gesicherten Aussagen“, sagt Eva Stumpf. Zum einen sei zu erwarten, dass Hochbegabte per se dazu in der Lage sind, sich bestimmte Kompetenzen schneller anzueignen. Zum anderen seien Hochbegabtenklassen in der Regel im Hinblick auf diese Leistungsmöglichkeiten homogener und die Förderung dort anspruchsvoller – was ebenfalls erwartungsgemäß bessere Leistungen nach sich zieht.
Das Vorurteil, dass Hochbegabtenklassen eine Ansammlung schwieriger Charaktere und ein Hort permanenter Konflikte sind, konnte die Studie nicht bestätigen – im Gegenteil. „Schüler dieser Klassen fühlen sich in der Regel dort wohl. Viele von ihnen sagten, dass sie nun wieder gerne zur Schule gingen, nach eher negativen Erfahrungen in der Grundschule“, erklärt Schneider. In ihren Klassen spürten sie eine größere soziale Anerkennung als ebenfalls hochbegabte Schüler in Regelklassen; die große Mehrheit von ihnen fühlte sich sehr gut in die Klassengemeinschaft integriert.
Das Urteil von Eltern und Lehrern
Auch die Eltern, die ihr Kind in einer Hochbegabtenklasse angemeldet hatten, gaben diesem Typ Schule durchwegs gute Noten. „Viele von ihnen hatten während der Grundschulzeit ihrer Kinder die Erfahrung gemacht, dass es dort nicht passt. Nach dem Wechsel in die Hochbegabtenklasse ist bei ihnen spürbar ein Entlastungseffekt zu sehen“, sagt Eva Stumpf. Vor allem das hohe Maß an individueller Unterstützung und die gelungene soziale Integration wurden von den Eltern positiv bewertet.
Und die Lehrer? Auch die äußern sich überwiegend positiv über ihre Erfahrungen mit den Hochbegabtenklassen – obwohl sie teilweise mehr Zeit in die Unterrichtsvorbereitung stecken mussten. Gut möglich, dass sie die Abwechslung vom regulären Unterrichten genossen. Immerhin konnten sie in diesen Klassen anders unterrichten, den vorgeschriebenen Stoff schneller durchgehen und dafür neue, zusätzliche Inhalte einbringen.
Im Widerspruch zum Inklusionsgedanken
Spezielle Klassen für hochbegabte Schüler überall dort, wo ausreichend Nachfrage besteht: Das ist die eine Konsequenz aus dieser Studie. Eine weitere formuliert Wolfgang Schneider etwas zurückhaltender: „Die Ergebnisse laufen dem derzeitigen Trend zur Inklusion entgegen“, sagt er. Stattdessen sprächen sie im Fall hoher intellektueller Fähigkeit eher für den entgegengesetzten Ansatz, einer Trennung nach Begabung und Fähigkeiten.
Für diesen Ansatz spricht nach Schneiders Worten vor allem ein Aspekt: Weil heute ein weitaus größerer Prozentsatz eines Jahrgangs von der Grundschule ans Gymnasium wechselt als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten, seien die Leistungsunterschiede zwischen den besten und den schlechtesten Schülern dort ziemlich groß. Kommen dann auch noch Hochbegabte und Schüler mit speziellem Förderbedarf hinzu, sei das für die Lehrkräfte kaum noch zu bewältigen – zumindest nicht mit der Art der bisher üblichen pädagogischen Ausbildung. Im immer noch vorherrschenden Frontalunterricht würden sich die Lehrer in der Regel nach dem „durchschnittlichen“ Schüler ausrichten, was bei den Hochbegabten leicht zu Unterforderung und Motivationsproblemen führt.
Stichwort „Hochbegabung“
Von Hochbegabung sprechen Wissenschaftler bei einem Intelligenzquotienten von 130 und mehr. Zwei Prozent der Bevölkerung weisen solche Werte auf. Für die Aufnahme in eine Hochbegabtenklasse reicht in der Regel ein Intelligenzquotient von 120 – ein Wert, den jeder Zehnte erreicht. Schulnoten und die Ergebnisse spezieller weiterer Tests entscheiden mit darüber, ob ein Kind mit dem entsprechenden IQ in eine Hochbegabtenklasse aufgenommen wird.
Mehr Infos zur Studie
PULSS: „Projekt für die Untersuchung des Lernens in der Sekundarstufe“ lautet der exakte Titel der Studie. Daran beteiligt waren Prof. Franzis Preckel (Universität Trier) und Prof. Albert Ziegler (Universität Erlangen-Nürnberg). Koordiniert wurde die Studie von Prof. Wolfgang Schneider und PD Dr. Eva Stumpf von der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Universität Würzburg.
Mit Hilfe von Tests und Fragebögen wurden die Leistungsentwicklung und Aspekte der Schulerfahrung wie Motivation, Wohlbefinden und Selbsteinschätzung der jungen Menschen in Begabten- und Regelklassen von der fünften bis zur siebten Jahrgangsstufe dokumentiert. Lehrkräfte der Begabtenklassen führten Unterrichtstagebücher. Die Eltern der teilnehmenden Schüler wurden in Form von Fragebögen zu den Beweggründen ihrer Klassenwahl, zu ihren Erwartungen und ihrer Zufriedenheit in Bezug auf die Förderung ihres Kindes befragt.
Finanziert wurde das Projekt von den Kultusministerien Bayerns und Baden-Württembergs und der Karg-Stiftung mit 688.000 Euro.
In Bayern sind derzeit Förderklassen für Hochbegabte an folgenden Schulen eingerichtet:
Gymnasium bei St. Stephan Augsburg
Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasium Bayreuth
Comenius-Gymnasium Deggendorf
Otto-von-Taube-Gymnasium Gauting
Maria-Theresia-Gymnasium München
Dürer-Gymnasium Nürnberg
Kepler-Gymnasium Weiden
Deutschhaus-Gymnasium Würzburg
Kontakt
Prof. Dr. Wolfgang Schneider, T: (0931) 31-84822
schneider@psychologie.uni-wuerzburg.de
PD Dr. Eva Stumpf, T: (0931) 31-82749
eva.stumpf@uni-wuerzburg.de
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Weitere Informationen:
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