Lungenkrebs-Screening rettet Leben

Abbildung: Ergebnisse der NELSON Studie
Quelle: www.unstatistik.de

Etwa 90 Prozent aller Lungenkrebs-Fälle sind durch Rauchen bedingt. Lun-genkrebs ist einer der tödlichsten Krebsarten: nur etwa 15 Prozent der Männer (20 Prozent der Frauen) überlebt die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Kann das Leben dieser Menschen durch Früherkennung mittels Niedrigdosis-Computertomographie (kurz: LDCT)-Screening verlängert werden?

Eine Flut von Artikeln aus der Medizintechnik-Branche und von medizinischen Fachgesellschaften der Pneumologie und Radiologie argumentierte, dass LDCT für aktive und ehemalige Raucher von den Krankenkassen bezahlt werden soll. „CT-Früherkennung ist eine wirksame, sichere und kosteneffektive Methode,“ versichert eine gemeinsame Pressemitteilung medizinischer Fachgesellschaften unter pneumologie.de. Die Radiologische Allianz berichtete: „In einer umfassenden belgisch-niederländischen Studie (NELSON Studie) konnte das Screening das Risiko an Lungenkrebs zu sterben, um mehr als 20 Prozent senken.“

Die Unstatistik des Monats Juli ist die oft irreführende und manipulative Berichterstattung über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien zum Krebs-Screening. Dazu haben wir uns die Ergebnisse der NELSON Studie einmal genauer angesehen (De Koning et al. 2020, New England Journal of Medicine). Es handelt sich um eine randomisierte klinische Studie, mit je über 6500 Männern in der Screening-Gruppe und in der Kontrollgruppe (kein Screening). Randomisierte Studien sind die best-kontrollierten Studien.

In dieser Abbildung haben wir die Ergebnisse der NELSON Studie verständlich dargestellt. Beginnen wir mit je 1.000 Rauchern (oder ehemaligen Rauchern) in der Screening-Gruppe und in der Kontrollgruppe. Nach 10 Jahren wurden die beiden Gruppen verglichen. Waren mehr Menschen in der Screening-Gruppe am Leben als in der Kontrollgruppe? Nein. In der Screening-Gruppe waren 132 verstorben, in der Kontrollgrupp nur 130. Wurde die Sterblichkeit an Lungenkrebs reduziert? Ja, von 32 auf 24. Das sind die erwähnten „mehr als 20 Prozent“ (im Klartext: 8 von 1.000). Das bedeutet, dass in der Screening-Gruppe mehr Personen mit anderen Diagnosen starben, z. B. mit anderen Krebsdiagnosen. Um das zu verstehen, ist hilfreich zu erinnern, dass die Diagnose der spezifischen Todesursache unsicher ist: in der NELSON Studie wird entsprechend berichtet, dass die Experten mit der Diagnose „Lungenkrebs“ nur in 86 Prozent der Fälle übereinstimmten. Daher ist die Gesamtsterblichkeit die zuverlässigere Zahl.

Die Meta-Analyse zum LDCT-Screening im „Journal of the American Medical Association“ (JAMA, Bretthauer et al., 2023) kommt ebenfalls zum Schluss, dass es keine signifikante Verlängerung des Lebens durch das Screening gibt. Dieser wichtige Befund, dass LDCT-Screening die Gesamtsterblichkeit nicht verringert, und damit auch das Leben nicht verlängert, wird jedoch in den Stellungnahmen zur Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen meist nicht berichtet.

Wenn man sich die Abbildung ansieht, dann wird verständlich, warum die Krankenkassen bisher nicht für das Lungenkrebs-Screening bezahlt haben. Mittels irreführender Zahlen (und Weglassen der Zahlen zur Lebensverlängerung) soll der zweifelhafte Nutzen des LDCT-Screenings als lebensrettend dargestellt werden. Am Ende werden es die Beitragszahler der Krankenkassen sein, die mit erhöhten Beiträgen ein wenig sinnvolles Screening finanzieren sollen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Tel.: (030) 805 88 519

Weitere Informationen:

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