Mit personalisierter Medizin gegen Depressionen

Die Depression ist eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst.
Copyright: Karin Kaiser / MHH

MHH-Psychiatrie koordiniert größte deutsche Studie zur Verbesserung der Depressionsbehandlung.

Mit Biomarkern individuelle Diagnose- und Therapiewege finden – was in der Onkologie bereits funktioniert, soll auch in der Psychiatrie möglich werden. Unter der Leitung von Professor Dr. Helge Frieling, dem stellvertretenden Leiter der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), startet jetzt ein nationaler Forschungsverbund, der die Behandlung von Depressionen stärker als bisher auf den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin zuschneiden will. Das Projekt mit dem Titel „Personalisierte, prädiktive, präzise und präventive Medizin zur Verbesserung der Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Prävention depressiver Erkrankungen“ (P4D) hat das Ziel, individualisierte Behandlungsansätze mit Hilfe von Biomarkern, aber auch Kernspintomografien, Hirnstrommessungen und Schlafdiagnostik zu entwickeln.

Während Patientinnen und Patienten mit Depressionen bislang alle nach dem gleichen Schema behandelt werden, soll im Rahmen von P4D passgenau bestimmt werden, welche Therapie für wen die richtige ist. An der Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit zehn Millionen Euro über fünf Jahre gefördert wird, sind neben sieben Universitäten (MHH, Leibniz Universität Hannover, TU Braunschweig, Universität Greifswald, Universität Würzburg, Universität Kiel, Universität Frankfurt) auch das Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin, die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und das bayerische Unternehmen BioVariance beteiligt. Es ist das in Deutschland bislang größte Forschungsvorhaben zur qualitativen Verbesserung der Depressionsbehandlung.

Aktuell kann vielen Depressiven mit Standardtherapien nicht geholfen werden

Menschen mit Depressionen werden üblicherweise mit Medikamenten und/oder Psychotherapie behandelt. Doch nur etwa der Hälfte der Betroffenen kann auf diese Weise geholfen werden. „Das erste Antidepressivum, das im Rahmen einer Depressionstherapie verabreicht wird, wirkt beispielsweise nur bei jedem vierten bis fünften Patienten. Und außerdem haben Antidepressiva häufig starke Nebenwirkungen“, sagt Professor Frieling, der das Forschungsprojekt P4D koordiniert. Statt wie bisher verschiedene Behandlungsverfahren auszuprobieren, soll es künftig möglich werden, schon zu Beginn der Depressionsbehandlung die für den Patienten optimale Therapie festzulegen. Professor Frieling und seine Kooperationspartner wollen dadurch nicht nur erreichen, dass mehr Menschen mit Depressionen effektiver behandelt werden. Von personalisierten Therapieansätzen versprechen sie sich auch einen schnelleren Gewinn an Lebensqualität für die Erkrankten und hoffen, eine Chronifizierung der Depression vermeiden zu können.

Biomarker helfen bei der Depressionstherapie

P4D macht sich den Umstand zunutze, dass Depressive ganz unterschiedlich auf verschiedene Therapieformen ansprechen. Das liegt daran, dass sich hinter dem Krankheitsbild „Depression“ auf neurobiologischer Ebene unterschiedliche Erkrankungen verbergen. Die Absicht der Studie ist es, in einem ersten Schritt diese der Depression zugrunde liegenden Erkrankungen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt werden spezifische Biomarker eingesetzt, um diese Erkrankungen bei jedem einzelnen Patienten zu bestimmen und anschließend zielgerichtet zu behandeln.

Großes Potenzial für eine personalisierte Depressionstherapie sieht Professor Frieling im Zusammenhang mit dem bereits identifizierten Biomarker BDNF. Dabei handelt es sich um einen Marker, der vorhersagen kann, dass Patienten generell nicht auf Antidepressiva ansprechen werden. „Diese Patienten können wir dann sofort mit alternativen Methoden wie einer intensivierten Psychotherapie oder Stimulationsverfahren behandeln. So ersparen sie sich langwierige Behandlungsversuche mit äußerst nebenwirkungsreichen Medikamenten, die ihnen nicht helfen“, erläutert Professor Frieling. Ein Teilprojekt des Forschungsverbunds untersucht deshalb im Rahmen einer klinischen Studie, wie der BDNF-Marker als Bluttest die Versorgung depressiver Menschen verbessern kann.
Darüber hinaus sollen in den kommenden fünf Jahren weitere, neue Biomarker identifiziert werden.

1.000 Betroffene werden in die Studie eingeschlossen

Für P4D werden rund 1.000 Patientinnen und Patienten an den fünf beteiligten Universitätskliniken in Hannover, Kiel, Greifswald, Würzburg und Frankfurt rekrutiert. Die Studie zeichnet sich dadurch aus, dass die Probanden umfassend untersucht und ganz unterschiedliche Parameter erfasst werden. „Wir erheben von allen Teilnehmenden Befunde mithilfe von Kernspintomografie, Elektroenzephalografie und Schlafanalysen. Doch auch körperliche Untersuchungen, verschiedene Fragebögen und Blutproben werden ausgewertet“, erklärt Professor Frieling. Dazu gehört unter anderem eine Genomsequenzierung im sogenannten Long-Read-Verfahren, mit dem nahezu alle genetischen und epigenetischen Veränderungen erkannt werden können. Ein Patientenbeirat, den die Stiftung Deutsche Depressionshilfe für das Forschungsvorhaben zusammenstellt, begleitet P4D kritisch und bringt die Sicht der Betroffenen ein.

Riesige Datenmengen müssen ausgewertet werden

Bei P4D werden nicht nur riesige Datenmengen erhoben, gespeichert und ausgewertet. Am Ende müssen die Ergebnisse auch für die Behandlerinnen und Behandler nutzbar gemacht werden. Dafür ist der Aufbau einer neuartigen technischen Infrastruktur notwendig, die es möglich macht, alle gesammelten Daten miteinander zu verknüpfen. Ein Teilprojekt des Forschungsverbunds widmet sich deshalb der Entwicklung von Algorithmen, mit deren Hilfe die verschiedenen der Depression zugrundeliegenden Erkrankungen bestimmt werden. Professor Frieling ist davon überzeugt, dass Patientinnen und Patienten schon mittelfristig von den Forschungsergebnissen profitieren werden.

SERVICE:

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Helge Frieling, Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, frieling.helge@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-6840.

https://www.mhh.de/

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Stefan Zorn Stabsstelle Kommunikation
Medizinische Hochschule Hannover

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