Molekül entscheidet über Freundschaften
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie weisen nach, wie ein Molekül im Gehirn das Verhalten von Mäusen beeinflusst. In ihren Experimenten mit den Tieren identifizierten sie einen Stressmechanismus, der als eine Art „sozialer Schalter“ agiert: Er brachte Mäuse dazu, entweder die Beziehungen mit „Freunden“ und „Bekannten“ zu intensivieren oder sie einzuschränken und stattdessen den Kontakt zu „Fremden“ zu suchen.
Menschen verarbeiten Stress im Gehirn mithilfe eines ähnlichen Systems. Deshalb dürfte der gleiche Mechanismus bei Menschen den Umgang mit sozialen Herausforderungen regulieren. Störungen dieses Mechanismus könnten verantwortlich für Schwierigkeiten im Sozialverhalten bei Patienten sein, die an Angststörungen, Autismus, Schizophrenie oder ähnlichen Erkrankungen leiden.
Prof. Dr. Alon Chen, Direktor am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, verantwortet die Studie, durchgeführt wurde sie von Dr. Yair Shemesh sowie Dr. Oren Forkosh in Kooperation mit dem Weizman Institut in Israel. „Die meisten unserer sozialen Kontakte bedeuten auch ein gewisses Maß an Stress, selbst wenn wir Menschen treffen, die wir gut kennen. Denken Sie nur an Familienfeste“, erläutert Shemesh.
„Von der Evolution her betrachtet, ist eine gewisse Zurückhaltung wichtig für erfolgreiches soziales Verhalten“, fährt der israelische Wissenschaftler fort. Chen fügt hinzu: „In praktisch jedem sozialen Umfeld gibt es Interessenkonflikte. Das Individuum muss sich deshalb sozial adäquat verhalten und abwägen zwischen eigenen Interessen und den Erwartungen anderer.“
Um herauszufinden, wie Mäuse sich im Kontakt mit Artgenossen verhalten, installierten die Wissenschaftler für ihre Studie zwei verschiedene Versuchsaufbauten. Im „sozialen Labyrinth“ konnten Mäuse wählen, ob sie durch einen Maschendraht Kontakt mit vertrauten oder fremden Mäusen aufnehmen oder ob sie Kontakt generell vermeiden.
Im anderen Versuchsaufbau konnten die Mäuse sich frei in der Gruppe bewegen. Ihre Bewegungen wurden dabei durch Videokameras mit einem eigens dafür programmierten Computerprogramm aufgezeichnet und analysiert. Dieser einzigartige Versuchsaufbau ermöglichte es, die Mäuse der zweiten Gruppe über mehrere Tage bei verschiedenen Arten sozialer Interaktion wie Annäherung, Kontakt, Angriff oder Verfolgung kontinuierlich zu beobachten.
Die Wissenschaftler zeigten, dass ein molekularer Mechanismus im Gehirn der Mäuse, der an der Stressregulation beteiligt ist, auch das Verhalten von Mäusen gegenüber Artgenossen bestimmt. Ein Signale übermittelndes Molekül, das Urocortin-3, und ein Rezeptor auf der Oberfläche von Nervenzellen, an den das Molekül bindet, sind Teil dieses Mechanismus. Beide sind wiederum Teile des Corticotropin-ausschüttenden Faktors beziehungsweise des sogenannten CRF-Systems, das beim Umgang mit Stress eine zentrale Rolle spielt. Beide kommen überwiegend in der Gehirnregion der mittleren Amygdala vor, die mit sozialem Verhalten von Mäusen in Zusammenhang gebracht wird.
Mäuse, die hohe Urocortin-Spiegel im Blut aufwiesen, suchten aktiv den Kontakt zu Mäusen, die sie nicht kannten. Dabei ignorierten sie sogar ihre eigene Gruppe. Wenn die Aktivität des Urocortin-3 aber unterbunden wurde, hatten die Mäuse fast nur Sozialkontakte innerhalb ihrer eigenen Gruppe und vermieden Kontakte mit unbekannten Tieren.
Der israelische Wissenschaftler Forkosh fasst zusammen: „In freier Wildbahn leben Mäuse in Gruppen. Ihr Verhalten innerhalb der Gruppe unterscheidet sich von ihrem Verhalten gegenüber Eindringlingen. Deshalb ist es sinnvoll, dass ein und derselbe Mechanismus im Gehirn Einfluss auf zwei verschiedene Arten sozialen Verhaltens nehmen kann. Dieser Mechanismus könnte bei Menschen auftreten, wenn sie zum Beispiel überlegen, bei den Eltern auszuziehen, sich scheiden zu lassen oder den Job beziehungsweise die Wohnung zu wechseln.“
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