Qualitative Mängel bei vorschulischen Sprachstandstests – Mercator-Institut legt Bewertung vor
Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache heute vorstellt. Besonders fraglich ist, ob die Tests den Sprachstand objektiv und valide messen und dabei Mehrsprachigkeit ausreichend berücksichtigen. Das Institut empfiehlt den Bundesländern eine Koordinierungsstelle, um die eingesetzten Verfahren gemeinsam und kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Nur acht der 21 bundesweit eingesetzten Sprachstandsverfahren erfüllen mehr als 16 von 32 wissenschaftlichen Qualitätsmerkmalen. Das ist das Ergebnis der Studie „Die Qualität von Sprachstandsverfahren im Elementarbereich“, die das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache heute vorgestellt hat. Die in der Studie angewendeten Qualitätsmerkmale wurden auf Initiative des Mercator-Instituts von einer interdisziplinären Expertenkommission entwickelt und im Mai 2013 in einem Kriterienkatalog veröffentlicht.
Hintergrund der Studie ist die mangelnde Vergleichbarkeit der derzeit eingesetzten Sprachstandsverfahren und die daraus resultierende mangelnde Chancengleichheit auf Sprachförderung. 15 Bundesländer haben Sprachstandsverfahren eingeführt, um einen eventuellen Sprachförderbedarf bei Kindern rechtzeitig vor dem Schuleintritt festzustellen. Die Qualität und Wirksamkeit sind jedoch fraglich: Eine je nach Bundesland zwischen zehn und 50 Prozent schwankende Förderquote weist darauf hin, dass der tatsächliche Sprachförderbedarf nicht objektiv und vergleichbar ermittelt wird. Im Nationalen Aktionsplan Integration von 2012 haben die Bundesländer sich verpflichtet, solche Standards zu entwickeln.
„Wir wollen einen fachlichen Impuls für die Bundesländer und die Testentwicklung geben, wie die Sprachdiagnostik im Elementarbereich verbessert werden kann. Ob ein Kind gefördert wird oder nicht, darf nicht vom Bundesland abhängen, in dem es aufwächst“, erläutert Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, die Ziele der Studie.
Die Wissenschaftler identifizierten den größten Nachbesserungsbedarf hinsichtlich Objektivität, Validität und Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit. Die Objektivität eines Verfahrens ist gewährleistet, wenn das Verfahren unabhängig von subjektiven Einflussfaktoren funktioniert. Empirische Belege für die Objektivität fehlen bislang für knapp 60 Prozent der geprüften Verfahren. Als einziges Verfahren schneiden hier der Cito Sprachtest Version 3 (Bremen) und Meilensteine der Sprachentwicklung (Brandenburg) sehr gut ab. Für den Anteil jener Kinder, deren Sprachförderbedarf trotz Test nicht erkannt wird, gilt das gleiche: Für 60 Prozent der Verfahren liegen auch hier keine Angaben vor, nur HASE (Baden-Württemberg) und KISTE (Brandenburg) erreichen eine sehr gute Bewertung.
Auch hinsichtlich der Frage, ob ein Verfahren tatsächlich den Sprachstand eines Kindes misst und nicht andere Bereiche der kognitiven und emotionalen Entwicklung (Validität), weisen die Verfahren große Defizite auf, z.B. bei der Alltagsnähe der Testsituation. Nur acht Verfahren erfüllen dieses Merkmal, DESK 3-6 (Mecklenburg-Vorpommern) schneidet als einziges Verfahren sehr gut ab. „Ist der Test nicht an der Lebenswelt der Kinder ausgerichtet, reagieren sie ängstlich und verstummen. Ein Rückschluss auf den Sprachstand ist dann nicht mehr möglich“, erklärt Dr. Uwe Neugebauer, Autor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator-Institut.
Verbesserungsbedarf sehen die Autoren ebenfalls beim Thema Mehrsprachigkeit. Zwei Drittel der Verfahren berücksichtigen die Sprachbiografie nicht ausreichend. „Eine Möglichkeit ist beispielsweise, die Eltern einzubeziehen und sie zu fragen, wie sie die sprachliche Entwicklung ihres Kindes einschätzen, wie häufig in der Familie Deutsch gesprochen wird, welche Sprache das Kind mit seinen Geschwistern spricht. Das ist aber nur bei drei Verfahren der Fall“, so Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek.
Zur Überarbeitung und Optimierung der Verfahren empfiehlt das Mercator-Institut den Bundesländern eine Koordinierungsstelle, um die eingesetzten Verfahren gemeinsam und kontinuierlich weiterzuentwickeln. In einer vom Institut einberufenen Fachkonferenz diskutieren Ländervertreter aus 13 Bundesländern gemeinsam mit Experten aus der Testentwicklung und der Praxis heute die Ergebnisse der Studie und weitere Konsequenzen.
In einigen Handlungsfeldern erzielen die Verfahren schon gute Ergebnisse: So erfüllt jedes Verfahren mindestens eines der Qualitätsmerkmale gut oder sehr gut. Positiv schnitten die Verfahren auch hinsichtlich der zeitlichen Anforderungen ab: Die Durchführung eines Verfahrens sollte im Idealfall nicht länger als 20 Minuten dauern. So lange kann sich ein vierjähriges Kind gut konzentrieren. Zwei Drittel der Verfahren erfüllen dieses Merkmal, insbesondere Verfahren, bei denen die Erzieherinnen das sprachliche Verhalten der Kinder im Kita-Alltag beobachten, z. B. Früh Deutsch lernen (Saarland), Sismik und Seldak (Bayern, Schleswig-Holstein).
STIMMEN ZUR STUDIE
Prof. Dr. Petra Stanat, Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und Mitglied der Expertenkommission zur Entwicklung der Qualitätsmerkmale für Sprachstandsverfahren im Elementarbereich:
„Die Studie des Mercator-Instituts bildet eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der in Deutschland eingesetzten Sprachstandsverfahren. Diese sollte darauf abzielen, dass alle Kinder identifiziert werden können, die eine Sprachförderung benötigen. Anschließend wird zu gewährleisten sein, dass diese Kinder auch tatsächlich eine effektive Sprachförderung erhalten. In manchen Bundesländern ist bereits vorab, durch die Definition entsprechender Kriterien, festgelegt, wie hoch der Anteil der Kinder ist, der gefördert werden kann. Das erklärt zu einem großen Teil die erheblichen Schwankungen zwischen den Bundesländern. Nicht nur die Tests sollten einheitlichen Standards genügen, sondern möglichst auch die Kriterien, die festlegen, ab wann ein Kind in seiner sprachlichen Entwicklung unterstützt wird. Nur so wird es gelingen, die Mindeststandards der Kultusministerkonferenz für schulische Kompetenzentwicklung in allen Bundesländern zu sichern.“
Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und Mitglied der Expertenkommission:
„Es wird Zeit Vorgehensweisen hinter uns zu lassen, bei denen anhand willkürlich gewählter Aufgaben und Angaben entschieden wird, welches Kind einen Sprachförderbedarf hat und welches nicht. Ein Kriterienkatalog, der aus psychologischer, pädagogischer und sprachwissenschaftlicher Sicht festlegt, welche Qualitätsmerkmale ein Verfahren erfüllen sollte, war dafür ein wichtiger erster Schritt. Die Analyse und Bewertung des Mercator-Instituts zeigt, welche Verfahren diese Merkmale erfüllen. Die logische Konsequenz für die Forschung besteht jetzt darin, die differenzielle prognostische Validität ausgewählter Verfahren in Längsschnittstudien zu untersuchen. Erst dann können wir Gewissheit erlangen, welche Verfahren für welche Kinder wirklich vorhersagen können, ob die sprachliche Entwicklung eines Kindes in hinreichendem Maße eine erfolgreiche Bildungsbeteiligung ermöglicht.“
Bei Fragen sprechen Sie uns gerne an:
Anna Kleiner, Kommunikation
Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache
Tel. 0221 – 470 7700
anna.kleiner@mercator.uni-koeln.de
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