Quantensensoren ermöglichen erstmals schmerzlose Muskeldiagnostik

Eine Muskelfaser. Durch die elektrische Aktivität ihrer Muskelzellen entsteht ein Magnetfeld, dass an der Körperoberfläche mittels Quantensensoren gemessen werden kann.
(c) Marquetand, 2021

Quantensensoren könnten teilweise die bisherige Standardmethode ersetzen und potentiell die Muskeldiagnostik revolutionieren.

Unklare Muskelschwäche, Lähmungen, Krämpfe, Zuckungen oder Schmerzen: Das sind typische Beschwerden, die eine neurologische Untersuchung der Muskeln erfordern. Bislang wird dazu eine Nadelelektromyographie (EMG) durchgeführt. Hierbei wird eine Nadelelektrode durch die Haut in den Muskel eingeführt um die elektrischen Muskelsignale zu messen. Die Prozedur ist recht schmerzhaft und kommt daher gerade bei Kindern rasch an ihre Grenzen. Eine aussagekräftige Muskeldiagnostik ist bei ihnen daher schwierig.

Ein internationales Forschungsteam um Dr. Justus Marquetand vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Universitätsklinikum Tübingen zeigt nun, dass die Untersuchung der potentiell krankhaften Muskelsignale auch mittels Quantensensoren möglich ist. Der Vorteil: Die Messung erfolgt kontaktlos und ist somit schmerzfrei. Langfristig könnte die Technik die bisherige Standardmethode teilweise ersetzen und potentiell die Muskeldiagnostik revolutionieren. Bei Kindern könnte sie erstmals eine genaue Diagnostik ermöglichen. Die Studie ist in der Zeitschrift Clinical Neurophysiology erschienen.

Grundlage für die Diagnostik mittels Quantensensoren ist das Magnetfeld, das durch die elektrische Aktivität in den Muskeln entsteht. Die magnetischen Signale dringen ungehindert an die Körperoberfläche, wo sie ohne direkten Hautkontakt gemessen werden können. Das Forschungsteam nutzte nun erstmals diese Signale, um krankhafte Muskelzuckungen, sogenannte Faszikulationen, bei fünf Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen neuromuskulären Erkrankungen zu untersuchen. Dabei setzen sie eine neue Generation spezieller Quantensensoren ein: optisch gepumpte Magnetometer, kurz OPM.

„Unsere Studie zeigt, dass die Untersuchung von potentiell krankhaften Muskelsignalen mittels Quantensensoren möglich ist“, so Studienleiter Marquetand. „Wir sind zuversichtlich, dass OPM künftig in der Lage sein werden, weitere pathologische Muskelsignale zu detektieren und damit das schmerzhafte Nadel-EMG teilweise ersetzen können.“

Der Einsatz der Quantensensoren wäre ein wichtiger Durchbruch in der täglichen neurophysiologischen Diagnostik. Mit ihrer Hilfe könnten nicht nur Schmerzen bei Patientinnen und Patienten vermieden werden – sie könnten auch erstmals eine adäquate Muskeldiagnostik bei Kindern ermöglichen, bei denen die schmerzhafte Nadel-EMG kaum einsetzbar ist. „Eine schmerzlose und aussagekräftige Muskeldiagnostik bei Kindern ist vor allem vor dem Hintergrund aufkommender Gentherapien für genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankungen wie die spinale Muskelatrophie (SMA) hochrelevant“, erklärt Neurologe Marquetand.

Neben diesem vielversprechenden Ergebnis gelang es den Forschenden in ihrer Studie, technische Limitationen der verwendeten OPM zu identifizieren. „Diese Informationen fließen nun bereits in die Entwicklung eines neuen OPM-Prototyps für die Muskeldiagnostik an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt ein“, berichtet Marquetand.

Die Studie ist in enger Zusammenarbeit mit Dr. Thomas Middelmann (Physikalisch-technische Bundesanstalt Berlin), Dr. Dr. Philip Broser (Ostschweizer Kinderspital St. Gallen), Prof. Dr. Braun und Prof. Dr. Markus Siegel (Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und Universitätsklinikum Tübingen) entstanden. Die grundlagenwissenschaftlichen Vorarbeiten im Bereich der Muskeldiagnostik mittels Quantensensoren wurden kürzlich durch die Verleihung des Anna Müller Grocholski Stiftung-Preis der Schweizerischen Gesellschaft für Neuropädiatrie an Dr. Dr. Broser gewürdigt. Der Preis unterstreicht die Innovativität und Relevanz der Erforschung der Quantensensorik für die klinische Anwendung. Informationen zu den Vorarbeiten finden Sie in der Pressemittelung des Universitätsklinikum Tübingens vom 01. April 2021 („Quantensensoren eröffnen Einblicke in die Muskelphysiologie“).

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Universitätsklinikum Tübingen / Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Dr. Justus Marquetand
Hoppe-Seyler-Straße 3, 72076 Tübingen
Tel. 07071 29-81196 ,Fax 07071 29-25125
Justus.marquetand@med.uni-tuebingen.de

Originalpublikation:

Marquetand et al. (2021): Optically pumped magnetometers reveal fasciculations non-invasively. Clinical Neurophysiology, 2021, ISSN 1388-2457
https://doi.org/10.1016/j.clinph.2021.06.009

Weitere Informationen:

https://www.hih-tuebingen.de Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
http://www.medizin.uni-tuebingen.de Universitätsklinikum Tübingen

Media Contact

Dr. Mareike Kardinal Pressestelle
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

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