SGLT2-Hemmer verlangsamen das Fortschreiten der chronischen Nierenkrankheit
Nierenexperten sprechen von einem Meilenstein. „Seit Jahrzehnten trat die Forschung auf der Stelle und verschiedene Substanzen, mit denen man die Progredienz der chronischen Nierenkrankheit aufzuhalten hoffte, versagten spätestens in der dritten Phase der klinischen Prüfung und erwiesen sich als unwirksam oder gar gefährlich“, erklärt Professor Dr. Jan C. Galle, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN).
Daher sind die vor wenigen Stunden in Melbourne beim Welt-Nierenkongress vorgestellten und im „New England Journal of Medicine“ publizierten Daten von so großer Bedeutung: Es konnte gezeigt werden, dass Canagliflozin, ein SGLT2-Inhibitor, zusätzlich zur Standardtherapie (RAAS-Blockade mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern) das Fortschreiten der chronischen Nierenkrankheit signifikant verlangsamen kann:
Das relative Risiko den renalen Studienendpunkt, bestehend aus Erreichen der Dialysepflichtigkeit, Verdopplung des Serum-Kreatinins oder renaler Tod, bei den untersuchten Patienten zu erreichen, konnte durch das Medikament um etwa ein Drittel (34%) reduziert werden (HR 0,66; Konfidenzintervall 0,53-0,81; p=0,001). Auch das Risiko, an Herz- oder Gefäßerkrankungen zu versterben, war bei den mit Canagliflozin behandelten Patienten hochsignifikant geringer.
„Dieses Ergebnis stellt einen echten Durchbruch dar“, erklärt Prof. Galle. „Die Zahl der Patienten, die weltweit an den Folgen der CKD versterben, wird mit 5-10 Millionen angegeben. In Deutschland sind derzeit etwa 80.000 Menschen an der Dialyse – genaue Zahlen fehlen leider, weil es in Deutschland als nahezu einziges Land in Europa kein Dialyseregister gibt – und die durchschnittliche Lebenserwartung von Dialysepatienten ist geringer als die eines Darmkrebspatienten.“
Schätzungen zufolge sind 10%-11% aller Menschen von einer leichtgradigen Nierenkrankheit betroffen, die bei einigen schneller, bei anderen weniger schnell voranschreitet. Besonders häufig betroffen sind Diabetes-Patienten, die in der vorliegenden CREDENCE-Studie untersucht wurden.
In der Studie wurden 4.401 Typ-2-Diabetiker (mit diabetischer Nierenerkrankung), GFR zwischen 30 und 90 ml/min/1,73 m2 und Albuminurie) randomisiert und sie erhielten entweder Canagliflozin oder ein Placebo. Die Nachbeobachtungszeit betrug im Median 2,62 Jahre. Dann bereits zeigte sich ein signifikanter Vorteil der Medikation im Hinblick auf den renalen Endpunkt wie auch den kombinierten sekundären Endpunkt (bestehend aus Sterblichkeit aufgrund von kardiovaskulären Ereignissen, Myokardinfarkt oder Schlaganfall).
„Allein die Rate der Patienten, die dialysepflichtig wurden, konnte durch die SGLT2-Hemmung zusätzlich zur Standardtherapie um fast ein Drittel (32%) gesenkt werden, was enorm ist“, kommentiert Prof. Galle.
Dabei wurde das Potenzial von SGLT2-Hemmern, die Nierenfunktion zu schützen, eher zufällig entdeckt. Maßgeblich daran beteiligt war der Würzburger Nephrologe Prof. Dr. Christoph Wanner als Co-Autor der EMPA-REG-Outcome-Studien [2]. SGLT-2-Hemmer sind selektive Hemmer des Natrium-Glukose-Cotransporters-2 (SGLT2; auch „Gliflozine“). Sie hemmen die Glukose-Rückresorption in den Nierentubuli, was zur verstärkten Ausscheidung von Glucose mit dem Urin führt; der Blutzuckerspiegel sinkt. Die Substanzen wurden als orale Antidiabetika entwickelt und man erhoffte sich durch den Einsatz, auch das hohe kardiovaskuläre Risiko von Diabetikern positiv beeinflussen zu können.
Die EMPA-REG-Outcome-Studie sollte genau das untersuchen, Langzeiteffekte auf die Progression der Nierenerkrankung waren lediglich im sekundären Endpunkt erhoben worden, den Professor Wanner und Kollegen gesondert auswerteten [3]. „Wir hatten gar nicht erwartet, dass das Prüfmedikament einen so großen nephroprotektiven Effekt hat, doch EMPA-REG gab ein klares Signal, dass der SGLT2-Inhibitor zu einem signifikant geringeren Verlust der Nierenfunktion führte.“ Auch die CANVAS Studie [4] mit Canagliflozin und einem ähnlichen Design wie die EMPA-REG-Studie konnte den positiven Effekt auf das renale Outcome – allerdings ebenfalls nur im sekundären Endpunkt – bestätigen, weshalb von einem Substanzklasseneffekt auszugehen ist.
Die beobachteten nierenschützenden Effekte waren so ermutigend, dass große randomisierte Studien auf den Weg gebracht wurden, um den renalen Effekt von verschiedenen SGLT2-Inhibitoren im primären Endpunkt zu untersuchen – darunter die nun publizierte CREDENCE-Studie, deren Ergebnisse heute vorgestellt wurden und die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen wird, dass SGLT2-Inhibitoren in die Standardtherapie von Patienten mit diabetischer Nierenkrankheit integriert werden, denn in der Studie wurden keine relevanten Sicherheitssignale beobachtet.
Unter der Leitung von Prof. Wanner läuft derzeit noch eine multizentrische, internationale, randomisierte, doppelblinde Placebo-kontrollierte Studie mit Empagliflozin mit ca. 5.000 Patienten mit manifester chronischer Nierenerkrankung mit und ohne Diabetes mellitus.
Die Studie ist ereignisgesteuert und wird fortgesetzt, bis die erforderliche Anzahl primärer Endpunkte erreicht ist. „Spannend an dieser Studie ist, ob auch Nicht-Diabetiker in gleicher Weise vom renoprotektiven Effekt der Therapie profitieren“, so Prof. Wanner. „Diabetes ist zwar die häufigste Ursache für eine chronische Nierenkrankheit – etwa die Hälfte der Patienten an der Dialyse sind Diabetiker – aber wir hoffen natürlich, auch den anderen nierenkranken Menschen helfen zu können.“
Literatur
[1] Perkovic V, Jardine MJ, Neal B et al. Canagliflozin and Renal Outcomes in Type 2 Diabetes and Nephropathy. New England Journal 2019; 15 Apr. [epub ahead of print]
[2] Zinman B, Wanner C, Lachin JM et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2015; 373: 2117-2128
[3] Wanner C, Inzucchi SE, Lachin JM et al Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 323-334
Neal B, Perkovic V, Mahaffey KW et al. Canagliflozin and Cardiovascular and Renal Events in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2017; 77: 644-657
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