Therapie auf Abruf: Mediziner wollen aggressive Leukämien mit Hybridzellen bekämpfen

Eine MHH-Mitarbeiterin konserviert Zellen.

Eine europäische Forschergruppe, an der auch die Kinderonkologen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) beteiligt sind, will mit einem neuen Therapiekonzept Kindern und Jugendlichen helfen, die an aggressiven Formen der Akuten lymphatischen Leukämie (ALL) erkrankt sind – und denen die Ärzte bislang ab einem bestimmten Punkt nicht mehr helfen konnten.

Nach einem aufwändigen Genehmigungsverfahren startete in diesem Jahr europaweit die klinische Studie. Die Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der MHH konnte nun den ersten Patienten auf dem europäischen Festland in die Studie aufnehmen.

Leukämien im Kindesalter sind zumeist gut behandelbar – es sei denn, der Patient ist an einer besonders aggressiven Form erkrankt: Trotz einer Chemotherapie – mit der die Leukämiezellen bekämpft werden –und einer anschließenden Knochenmarktransplantation – bei der die Patienten das intakte Immunsystem eines Spenders erhalten – kann die Krankheit wieder aufflammen, Ärzte sprechen von einem Rezidiv.

Für Patienten mit derartigen Leukämien wie etwa der B-ALL, der B-Vorläuferzell Akuten lymphatischen Leukämie, gibt es derzeit kaum weitere Behandlungsoptionen. „Diese Patienten haben ein ganz besonders hohes Risiko, dass sie trotz der Stammzelltransplantation einen Rückfall erleiden“, erläutert Oberarzt Professor Dr. Martin Sauer.

T-Zellen werden in Frankreich genetisch modifiziert

Nun hat der europäische Forscherverbund unter der Leitung des University College in London (Großbritannien) eine klinische Studie mit einem neuartigen Therapieansatz entwickelt. Sie bekämpfen die Leukämiezellen mit einem Hybrid aus Antikörper und T-Zelle. Maßgeblich verantwortlich für die Koordination dieser Studie in Deutschland ist Professorin Dr. Claudia Rössig von der Kinderuniversitätsklinik in Münster. Antikörper reagieren jeweils hochspezifisch, zum Beispiel auf Krankheitserreger; T-Zellen gehören zur Gruppe der Lymphozyten, sie spielen eine wichtige Rolle im menschlichen Immunsystem.

Die T-Zellen werden in einem Labor in Nantes (Frankreich) genetisch verändert. Sie werden mit einer Gentransfer-Technik mit einem sogenannten chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet, den sie eigentlich nicht besitzen. „Diese Zellen haben die Funktion eines Antikörpers, reagieren aber auf die Signalwege wie eine T-Zelle und sind damit sehr effektiv im Kampf gegen sich wieder bildende Leukämiezellen“, betont Professor Sauer. Er sieht einen weiteren Vorteil: „Bei dieser Methode werden nur ausgereifte T-Zellen genetisch verändert, wir greifen weder in das Genom des Patienten ein noch verändern wir sogenannte Stammzellen.“

Die Forscher stellen diese Hybridzellen her, um sie „auf Abruf“ einsetzen zu können. Der jetzt in Hannover in die Studie aufgenommene 17-jährige Patient hat vor kurzem eine Knochenmarktransplantation erhalten. Die Wissenschaftler entnahmen demselben Spender allogene T-Zellen, um sie genetisch zu verändern. Der 17-jährige Patient mit dem „neuen“ Immunsystem seines Spenders wird nun einmal im Monat mit einem hochsensitiven Nachweisverfahren auf Leukämiezellen (MRD, minimal residual desease) untersucht.

„Sollten sich im MRD Leukämiezellen nachweisen lassen, können wir in diesem frühen Stadium mit der Therapie beginnen“, sagt Professor Sauer. In der klinischen Studie bekäme der Patient die Hybridzellen gespritzt. „Wir müssen dann herausfinden, bei welcher Gabe die Leukämiezellen effektiv bekämpft werden, ohne dass es zu überschießenden Nebenwirkungen kommt.“

Forscher hoffen auf „Impfeffekt“

Die Forscher rechnen damit, dass die Hybridzellen nicht nur in der Akutphase die Leukämiezellen bekämpfen, sondern einige der Hybridzellen zu immunologischen Gedächtniszellen werden – Ärzte sprechen von persistieren. Sollte es erneut zu einem Aufflammen der Leukämie kommen, hätte der Patient die Gegenspieler der Leukämiezellen bereits im Körper. Wie lang dieser „Impfeffekt“ anhält, soll in der Studie ebenfalls geklärt werden.
Weil sich das Zulassungsverfahren für diese klinische Studie über mehrere Jahre hingezogen hat, sind die Hybridzellen noch mit einem CAR der der sogenannten „ersten Generation“ ausgestattet. Im Labor hat man diese chimerischen Antigenrezeptoren aber mittlerweile schon weiter entwickelt. „Wir erwarten, dass die jetzt vorliegende dritte Generation diesen Zeitraum stark verlängern wird“, sagt Professor Sauer.

Briten, Deutsche, Franzosen und Italiener forschen gemeinsam

Neben der MHH arbeiten drei weitere Standorte in Deutschland, einer in Frankreich und einer Italien unter der Federführung University College in London mit. Auf der Insel wurden bereits 17 Patienten in die Studie aufgenommen. Mit ersten Ergebnissen rechnen die Mediziner in drei Jahren. „Normalerweise hinken wir Pädiater bei der Entwicklung neuer Therapien immer um Jahre hinter unseren internistischen Kollegen her“, sagt der MHH-Oberarzt. „Nun können wir endlich eine neue Therapieoption initial auch Kindern und Jugendlichen zugänglich machen.“

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Martin Sauer, sauer.martin@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-6716.

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Stefan Zorn idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.mh-hannover.de/

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