Virtuelles Rollenspiel verändert Erleben in der wirklichen Welt

Spielszene aus World of Warcraft<br>Blizzard Entertainment<br>

Millionen von Menschen verbringen große Teile ihrer Freizeit in digitalen Welten. In virtuellen Rollenspielen agieren sie aus der Perspektive eines erfundenen Charakters, eines so genannten Avatars. Neue Forschungen von der Universität Witten/Herdecke (UW/H) beschäftigen sich nun mit den Auswirkungen des virtuellen Rollenspiels auf das Erleben in der realen Welt. Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die Empfindlichkeit gegenüber Eindrücken in der realen Welt – hier verdeutlicht am Beispiel von Schmerzempfindungen – sinkt bei den Spielern.

In bisherigen Studien zum Thema ging es in der Regel um die Frage, inwiefern aggressives Verhalten im virtuellen Raum sich durch Einübung und Anwendung in die reale Welt überträgt. Die neue Studie geht nun noch einen Schritt weiter. Unabhängig davon, ob ein Spiel gewaltfrei oder gewalttätig ist, versetzt sich der Spieler bei virtuellen Rollenspielen in einen Avatar, der in der Regel als roboterartiges Wesen in einer künstlichen Welt auftritt. Die Fragestellung war, ob unabhängig von einem gewalttätigen Inhalt das reine Hineinversetzen in einen Avatar dazu führt, dass die Spieler roboterhaftes Verhalten und Erleben einstudieren und in die wirkliche Welt übernehmen. „Zu roboterhaftem Verhalten gehören bekanntermaßen Eigenschaften wie mechanisches Auftreten, kühle Rationalität und emotionale Kälte“, erläutert Prof. Ulrich Weger, Leiter des Departments für Psychologie und Psychotherapie an der UW/H. „In unserer Studie hat sich gezeigt, dass Versuchspersonen, die sich während eines so genannten immersiven Rollenspiels in die Perspektive eines Avatars hineinversetzen, diese roboterhaften Eigenschaften teilweise auch in die wirkliche Welt übernehmen und dadurch auch unempfindlicher gegenüber eigenen Schmerzen und den Schmerzen anderer werden.“ So war die Unempfindlichkeit gegenüber eigenen Schmerzen bei virtuellen Rollenspielern um durchschnittlich 18 Prozent erhöht. Die verringerte Empfindlichkeit gegenüber fremden Schmerzen zeigte sich an einer verminderten Empathie für die Schmerzen anderer. Auch Fälle, in denen Spieler bis über die Grenze der absoluten Erschöpfung hinaus gespielt und am Rechner zusammengebrochen oder sogar zu Tode gekommen waren, stehen offensichtlich mit einem Realitätsverlust in Zusammenhang – eine dramatisch zugespitzte Form dessen, was in der vorliegenden Studie in noch eher leisen Tönen zum Ausdruck kommt. Prof. Weger: „Die aktuellen Befunde legen nahe, dass durch Rollenspiele die Grenze dessen, was wir als gesunden Abstand zwischen menschlicher und maschinenhafter Realität erleben, unklarer wird.“

Auf der anderen Seite gebe es allerdings auch Befunde, dass soziale Spiele auch zu sozialen Verhaltensweisen im wirklichen Leben führen. Prof. Weger: „In der Tat zeigen solche Studien ganz allgemein, dass wir das Verhalten, das wir in der virtuellen Welt einüben und erlernen, auch in die wirkliche Welt übertragen. Im Sinne der hier durchgeführten Studie würde ich aber behaupten: Das Verhalten, das wir so durch das immersive Rollenspiel erlernen, egal ob aggressiv oder sozial, ist von eher serienmäßiger, mechanischer, geistloser Natur, denn es wirkt lediglich über die roboterhafte Rolle des Avatars. Wenn Kinder soziales Verhalten erlernen sollen, so werden sie dies am besten im unmittelbaren Mensch-zu-Mensch Kontakt tun.“

Die Vermischung von Menschlichem und Maschinenhaftem zeige sich in unserer Lebenswelt allerdings auch von der umgekehrten Seite als bei den Rollenspielen. In der anderen Richtung werde die Grenze nämlich dadurch verwischt, dass Maschinen immer mehr die Aufgaben von Menschen übernehmen – angefangen von Animationsfiguren, virtuellen Verkaufsassistenten, roboterhaftem Spielzeug, das die Liebe und Zuwendung von Kindern erweckt, bis hin zu Robotern, die Einsatz finden im psychotherapeutischen Kontext. Prof. Weger: „Wir müssen uns heute fragen, wie wir mit dieser Verwässerung umgehen; wie wir die eigene Balance finden zwischen sinnvollem Nutzen und unreflektierter Abhängigkeit; und wie wir negative Einflüsse verhindern oder zumindest ausbalancieren können. Dazu sollten wir uns fragen, was es wirklich bedeutet, Mensch zu sein und als Mensch in dieser Welt zu stehen und tätig zu werden“.

Weitere Details zum Thema finden Sie in der aktuellen Studie unter: http://link.springer.com/article/10.3758/s13423-013-0512-2

Weitere Informationen: Prof. Ulrich Weger: 02302 / 926-776 oder ulrich.weger@uni-wh.de.

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Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) nimmt seit ihrer Gründung 1982 eine Vorreiterrolle in der deutschen Bildungslandschaft ein: Als Modelluniversität mit rund 1.550 Studierenden in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Kultur steht die UW/H für eine Reform der klassischen Alma Mater. Wissensvermittlung geht an der UW/H immer Hand in Hand mit Werteorientierung und Persönlichkeitsentwicklung.

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Jan Vestweber idw

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