Jeder Zweite akzeptiert fehlende Privatsphäre im Netz
Die Besorgtheit im Umgang ist aber nach wie vor hoch – etwa bezüglich Datenkontrolle durch Unternehmen. Junge Menschen sind generell sorgloser und Frauen mehr darauf bedacht, ihre Privatsphäre zu schützen. Dies zeigt eine Erhebung des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich.
Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer sind online. «Die Schweiz zählt bei der Internet-Verbreitung weltweit zu den Top-Ländern», sagt Prof. Michael Latzer von der Abteilung Medienwandel & Innovation des IPMZ der Universität Zürich. Er hat mit seinem Team das «World Internet Project – Switzerland» nach 2011 zum zweiten Mal durchgeführt.
Überdurchschnittlich gestiegen ist in den letzten zwei Jahren auch der Anteil jener Nutzerinnen und Nutzer, die mobil im Internet surfen: Rund 39 Prozent der Bevölkerung und fast die Hälfte der Internet-Nutzerinnen und -Nutzer sind auch unterwegs online. Treiber dieser Verdoppelung der mobilen Internet-Nutzung sind hauptsächlich Smartphones. Zu Hause wird von 44 Prozent der Nutzer das Internet verstärkt für berufliche Zwecke eingesetzt (+13 Prozentpunkte). Der hohen Verbreitung zum Trotz: Vier von zehn Schweizerinnen und Schweizer fühlen sich nach Selbsteinschätzung «gar nicht oder nur ein wenig» in die Informationsgesellschaft eingebunden.
Einkommen und Bildung definieren den Zugang zur digitalen Schweiz
Eine digitale Spaltung in der Schweiz zeigt sich bezüglich Internet-Zugang entlang des Einkommens (deutlich bei der mobilen Nutzung), der Bildung und des Beschäftigungsgrades. Unterschiede aufgrund von Alter und Geschlecht haben an Bedeutung verloren: «Bemerkenswerte 70 Prozent der 60- bis 74-jährigen Schweizerinnen und Schweizer nutzen heute das Internet, insgesamt etwa gleich viele Frauen wie Männer», so Latzer. Nach Regionen betrachtet, hinkt die italienischsprachige Schweiz hinterher. Und: Eine Million Schweizerinnen und Schweizer (ab 14 Jahren) surft nach wie vor nicht im World Wide Web und begründet dies mit fehlendem Interesse und Nutzen.
Besorgtheit unverändert hoch
Vertrauen und Sorgen bezüglich Internet-Nutzung sind in den letzten Jahren in der Schweiz im Wesentlichen gleich geblieben: «Zumindest die Hälfte der Internet-Inhalte wird von drei Vierteln der Bevölkerung als glaubwürdig eingestuft», fasst Prof. Latzer zusammen. Professionelle Angebote – speziell jene der SRG und der Regierung – werden als besonders vertrauenswürdig eingestuft, jene aus sozialen Online-Netzwerken und Blogs am wenigsten. Rund 40 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer wären bei einer Kredit- oder Bankkartenverwendung im Internet «sehr oder extrem besorgt»; wobei fünf Prozent tatsächlich Opfer von Kreditkartenbetrug im Internet geworden sind.
Unternehmen wird punkto Datenkontrolle nach wie vor deutlich stärker misstraut (40%) als der Regierung (26%). «Diese Einschätzung ist trotz des NSA-Skandals im Vergleich zu 2011 unverändert geblieben», so der Medienexperte. Grundsätzlich sind junge Schweizerinnen und Schweizer – und auch Männer – weit weniger besorgt als Ältere. Acht von zehn Internet-Nutzern sind sehr bedacht darauf, ihre Privatsphäre zu schützen, und 45- bis 59-Jährige verlangen häufiger regulatorische Beschränkungen des unternehmerischen Datensammelns als Jüngere. Resignierend meint jeder zweite Nutzer, man müsse sich damit abfinden, dass es keine Privatsphäre im Internet mehr gebe.
Information wichtiger als Unterhaltung
Das Internet hat seine Rolle als mediale Vielzweckinfrastruktur für Information und Unterhaltung, für das Wirtschaften und Sozialisieren in der Schweiz weiter ausgebaut. Die Nutzung zu Informationszwecken – mit den Spitzenreitern Produkt- und Reiseinformationen sowie Nachrichten – übertrifft auch 2013 die Unterhaltung; in diesem Bereich stehen Video- und Musikportale zuoberst auf der Rangliste. Auffällig häufiger genutzt werden soziale Online-Netzwerke wie Facebook oder Twitter, letzteres vor allem von jüngeren Nutzern. Fast sechs von zehn Surfern verwenden soziale Online-Netzwerke, zwei Drittel davon täglich. Private soziale Online-Netzwerke sind dreimal beliebter als berufliche wie etwa Xing. Die E-Commerce-Nutzung stagniert auf hohem Niveau: 78 Prozent suchen Produktinformationen, 67 kaufen online ein und 63 machen online Preisvergleiche.
Frauen schätzen ihre Internet-Fähigkeiten geringer ein als Männer
Je nach Alter wird das Internet unterschiedlich genutzt: Bei interaktiven Anwendungen, bei den von Nutzern selber produzierten Inhalten und bei der Unterhaltung sind Jüngere aktiver, umgekehrt nutzen Ältere das Internet vermehrt für elektronische Einkäufe und Online-Banking. Ein Geschlechterunterschied besteht heute nicht mehr in Bezug auf den Zugang zum Internet, jedoch immer noch bei der Intensität, wie Information und Unterhaltung genutzt werden, der Selbsteinschätzung der Internet-Fähigkeiten und dem Gefühl der Zugehörigkeit zur Informationsgesellschaft: All diese sind geringer bei Frauen als bei Männern.
Internet gewinnt gegenüber traditionellen Medien an Bedeutung
Das Internet hat für Information und Unterhaltung im Vergleich mit anderen Medien seit 2011 an Relevanz gewonnen. Für die Nutzerinnen und Nutzer liegt es als Informationsquelle an der Spitze – gleichauf mit der Zeitung. Für junge Internet-Nutzer (14 bis 29 Jahre) hat das Internet die anderen Medien abgehängt. Bei der Unterhaltung dominieren nach wie vor Fernsehen und Radio, bei den jüngeren Nutzern Fernsehen vor Internet.
Digitales Politisieren mit viel Zurückhaltung
Die grosse Skepsis in der Schweiz gegenüber einer digitalen Teilnahme an politischen Prozessen hat sich fortgesetzt. Im internationalen Vergleich gehört die Schweiz zu den Ländern, die am stärksten an den Möglichkeiten einer digitalen Demokratisierung zweifeln: Nur eine verschwindende Minderheit von vier bis sieben Prozent sind von positiven Effekten des Internets auf die demokratische Qualität stark überzeugt. Das Internet wird deshalb wenig für die Teilnahme an politischen Diskussionen genutzt, selbst unter Internetnutzern diskutieren 71 Prozent politische Themen ausschliesslich offline. Nur die Hälfte der Befragten findet es ausserdem richtig, die Regierung im Internet frei kritisieren zu dürfen, ein Drittel lehnt dies klar ab.
World Internet Project
Das World Internet Project (WIP) ist eine vergleichende Langzeitstudie und erfasst in 30 Ländern die Verbreitung und Nutzung des Internets im internationalen Vergleich und analysiert soziale, politische und ökonomische Implikationen der Netzentwicklung.
Das WIP-CH-Projekt wird von der Abteilung Medienwandel & Innovation des Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich unter der Leitung von Prof. Michael Latzer nach 2011 zum zweiten Mal durchgeführt und basiert auf einer repräsentativen telefonischen Befragung von 1114 Personen ab 14 Jahren, die im Mai/Juni 2013 von gfs Zürich durchgeführt wurde. Mitglieder des Projektteams sind Natascha Just, Sulkhan Metreveli, Florian Saurwein, Moritz Büchi und Jeannine Egi.
Das WIP-CH-Projekt wird vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) und vom Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich unterstützt.
Alle Themenberichte finden Sie auf www.mediachange.ch zum Download.
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