Produktion aus dem Baukasten – Fabriken und Maschinen von morgen sind wandelbar und modular
„Plug + Produce“: Produktion aus dem Baukasten – Pilotanlage arbeitet mit Erfolg in Südwestsachsen.
Mit leuchtenden Augen führt Dr. Thilo Richter durch die Werkhalle seines Unternehmens. „Hier steht unsere erste Maschine, die vollkommen aus einzelnen Modulen besteht“, erklärt der technische Leiter der Karl Utz Sondermaschinen GmbH (USK) und zeigt auf eine kompakte Anlage mit Plexiglas-Fassade, die noch etwas abseits der Produktionsfläche aufgebaut ist. Dass dieses neuartige Maschinenkonzept allerdings bald in den Mittelpunkt des Fachinteresses rücken dürfte, davon ist der USK-Experte aus Kändler, unweit von Chemnitz, überzeugt: „Das Prinzip ist einfach. Entsprechend der Produktionsaufgabe stellen wir mit unserem Kunden die erforderlichen Module zusammen und komplettieren diese mit den aufgabenspezifischen Komponenten.“
Die Idee, modulare Maschinen zu entwickeln, stammt von Wissenschaftlern der Technischen Universität Chemnitz. In dem Forschungsprojekt „Plug + Produce“ entwickeln sie am Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme neue Konzepte, die es vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen erlauben, ihre Produktion schnell und ohne großen finanziellen Aufwand hoch- und wieder zurückzufahren oder sogar ganz umzustellen. „Plug + Produce“ will aber noch mehr – nicht nur die Maschinen sollen in Zukunft wandelbar sein, sondern gleich die ganze Fabrik, sagt der Chemnitzer Professor für Arbeitswissenschaft Hartmut Enderlein, der das Forschungsvorhaben leitet: „Die Fabrik von morgen wird sich den immer kürzeren Lebenszyklen der Produkte und Prozesse flexibel anpassen müssen, um weiter produktiv zu arbeiten.“ Denkbar sei hierbei sogar, eine solche modulare Produktionsstätte komplett an einen anderen Standort zu verlagern. Bis zum Jahr 2004 stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dem „Plug + Produce“-Vorhaben über eine Million Euro zur Verfügung, um insbesondere die mittelständische Produktion auf die veränderten Marktanforderungen der Zukunft vorzubereiten.
Gerade die kleineren Unternehmen haben derartige Unterstützung bitter nötig. Im Vergleich zur großen Konkurrenz fehlen ihnen zumeist die Rücklagen, um ihre Anlagen im schnelllebigen Geschäft ständig umzurüsten und teure Maschinen anzuschaffen, bei denen vorher nicht einmal sicher ist, ob sie wirklich langfristig ausgelastet werden. Für die Betriebswissenschaftler der TU Chemnitz lag nun die Lösung für dieses Problem darin, eine Fabrik oder eine Maschine als eine Art „Baukasten“ zu verstehen. Ausgangspunkt für ihre Produktions- und Fabrikplanung ist ein standardisiertes Grundmodul, an das sich innerhalb kurzer Zeit weitere Standard-Module anschließen lassen, die für die Produktion benötigt werden. Bei einer notwendigen Umstellung der Produktion oder bei Verschleißerscheinungen ist es auf diese Weise nicht mehr notwendig, die gesamte Maschine auszusondern oder gar die komplette Fabrik umzubauen – es reicht schon, die veralteten Module durch neue zu ersetzen. „Die Unternehmen werden so in die Lage versetzt, ihre Produktion bedarfsgerecht und aufwandsarm wachsen oder schrumpfen zu lassen, sie können schnell auf neue Kundenwünsche umrüsten und stets mit der neuesten Technologie und optimierten Betriebskosten produzieren“, benennt Professor Enderlein einige Vorteile der modularen Fabrikplanung und Maschinenkonstruktion. „Auf diese Weise ist es kleineren und mittleren Firmen möglich, neue Märkte schrittweise und ohne großes Risiko zu erschließen.“
Beim Sondermaschinenbauer USK sind die ersten Erfahrungen mit dem Prototyp positiv. Zum Baukasten des modularen Montagesystems gehören Grund- bzw. Robotermodul sowie Technik-, Palettier- und Handarbeitsplatz-Modul. Von außen unterscheiden sich die einzelnen Module, die über Schnittstellen miteinander verbunden sind, kaum voneinander. Erst der genaue Blick hinter die Plexiglasscheiben gibt Aufschluss: Das Grundmodul mit bis zu vier Bearbeitungspositionen ist die zentrale Einheit einer Montagezelle. Auf beiden Seiten des Grundmoduls können wahlweise Palettier- oder Technikmodule angekoppelt werden. Als zentrales Handhabungsgerät ist ein Roboter vorgesehen. Im Palettiermodul werden Bauteile bereitgestellt und Fertigbaugruppen abgestapelt. Die Bestückung des Palettierers erfolgt mittels Palettenwagen. Das Technikmodul bietet Raum für die Spezifik der Montageaufgabe, in dem, je nach Erfordernis, Technologieelemente wie Schrauber, Mess- oder Eindrückeinheiten angeordnet werden. Ergänzt wird der Baukasten durch einen Handarbeitsplatz. Eine ebenfalls modulare Bandstrecke verbindet die einzelnen Montagezellen untereinander.
„System 21“ haben die Sondermaschinenbauer aus Kändler ihr modulares Montagesystem genannt, weil es den richtigen Weg im 21. Jahrhundert weisen soll. „Indem die Module nach den Bedürfnissen der Kunden zusammengestellt werden, lässt sich das modulare Montagesystem im Prinzip für jede Produktionsaufgabe einsetzen“, sagt Dr. Thilo Richter. „Je mehr eine Maschine aus Standardkomponenten besteht, desto sicherer läuft später die Produktion. Und wir als Sondermaschinenbauer können uns auf die spezifische Kundenaufgabe konzentrieren.“ Neben USK sind an dem Verbundprojekt der TU Chemnitz neun weitere Unternehmen und Forschungseinrichtungen beteiligt.
Auskunft erteilt:
Prof. Dr. Hartmut Enderlein
Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme der TU Chemnitz
Telefon: 0371-5315209
E-Mail: hartmut.enderlein@mb2.tu-chemnitz.de
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