Formlos perfekt in Form
Kürzer werdende Produktlebenszeiten, der Trend zu komplexeren Bauteilgeometrien und abnehmende Losgrößen stellen auch in der Blechumformung die traditionellen Produktionsstrukturen in Frage. Die vorhandenen Produktionsanlagen sind teuer, wenig flexibel und arbeiten nur bei großen Stückzahlen wirtschaftlich. Neue, formvariable Werkzeuge erweitern zwar den Spielraum der etablierten Verfahren, doch auch mit ihnen ist weder eine formungebundene Gestalterzeugung möglich, noch lassen sich die hohen Investitionskosten für die massiven Werkzeugmaschinen spürbar reduzieren. Diese Situation führte in den letzten Jahren zur Entwicklung neuer, inkrementeller Umformverfahren, bei denen das Blech die gewünschte Endkontur durch schrittweise lokale Umformung erhält. Die benötigten Umformkräfte sind dabei sehr viel kleiner als bei konventionellen Verfahren wie Tiefziehen oder Streckziehen. Gleichzeitig ist der Umformgrad höher und die Festigkeit des umgeformten Werkstoffs wird gesteigert. Dennoch konnten inkrementelle Umformverfahren bislang kaum Fuß fassen. Hauptgründe sind die Prozesszeiten sowie die hohen Investitionskosten für neue Anlagen. Zudem lassen sich mit den bisherigen inkrementellen Verfahren ohne Gegenformen meist nur einfache Geometrien herstellen.
Ganz ohne Gegenform, auch bei Werkstücken mit komplexeren Geometrien, kommt ein neues, inkrementelles Umformverfahren aus, das Wissenschaftler des Fraunhofer IPA entwickelt haben. Das Umformwerkzeug führt dabei ein handelsüblicher Industrieroboter, so dass sich die Investitionskosten für neue Anlagentechnik in Grenzen halten. »Bei unserem Verfahren formt ein robotergeführtes Schlagwerkzeug mit Hammerschlägen das Blech um und erzeugt so die gewünschte Geometrie«, erklärt Projektleiter Timo Schäfer. Das Blech wird zunächst über eine Schablone eingespannt und anschließend entlang berechneter Bahnen lokal umgeformt. Das Programm des Roboters basiert auf einer eigens für diese Anwendung entwickelten Software, die die optimalen Bahnen aus CAD-Daten, aus Punktwolken oder aus den mathematischen Funktionen eines Volumenkörpers generiert. Liegen CAD-Daten vor, zerlegt die Software das 3-D-Modell in horizontale Schichten und berechnet dann aus den Konturdaten der einzelnen Schichten die Werkzeugbahnen. Der komplette Ablauf vom CAD-Modell bis zum Werkstück dauert derzeit ca.
10 bis 15 Minuten bei einer Werkstückgröße von 100 x 100 mm.
Das Schlagwerkzeug für den Roboter befindet sich noch in Entwicklung. Schäfer und sein Team testen derzeit zwei Funktionsmuster mit unterschiedlicher Antriebstechnik. Das erste Funktionsmuster arbeitet mit einem vertikal oszillierenden Pneumatikvibrator, der Schlagfrequenzen bis 70 Hz erlaubt. Beim zweiten Funktionsmuster handelt es sich um ein elektro-mechanisches Werkzeug, welches mit Hilfe eines Exzenters arbeitet und derzeit 50 Hübe pro Sekunde ermöglicht. Bei beiden Werkzeugen formt ein kugelförmiger Stempelkopf das Blech um. »Gegenüber anderen inkrementellen Verfahren, die das Blech zur lokalen Umformung mit einer statischen Kraft beaufschlagen, stellt sich die schnelle hämmernde Bewegung mit derzeit bis zu 70 Schlägen pro Sekunde als äußerst vorteilhaft heraus«, berichtet Schäfer. Zum einen beschränkt die Trägheit des umgebenden Blechs die Umformung auf das Material unterhalb des Stempels, was überhaupt erst eine Gestalterzeugung ohne ein formgebendes Werkzeug ermöglicht. Zum anderen lässt sich ein handelsüblicher Industrieroboter für die Bewegung des Umformwerkzeugs einsetzen, da der Aufprall des Stempels auf das Blech die benötigten Umformkräfte erzeugt und nicht die Handhabungseinrichtung an sich. In weiteren Forschungsarbeiten soll nun die Maßhaltigkeit des Verfahrens untersucht und u. a. durch eine intelligente Bahngenerierung verbessert werden, die prozessbedingte Ungenauigkeiten kompensiert.
»Unser Umformverfahren kann überall dort eingesetzt werden, wo Blechwerkstücke in Kleinserie gefragt sind«, so Schäfer. Typische Anwendungen sind Blechprototypen in der Automobil- sowie der Luft- und Raumfahrtindustrie. Aber auch spezielle Blechverkleidungen, Gefäße für die Medizintechnik oder frei geformte Fassaden- und Dachelemente für Gebäude lassen sich mit dem Verfahren herstellen – in kleinen Losgrößen bis hin zum Unikat, direkt vor Ort, in einer kostengünstigen Fertigungseinheit.
Ansprechpartner:
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik
und Automatisierung IPA
Dipl.-Ing. Timo Schäfer
Telefon: 0711/970-1221
E-Mail: timo.schäfer@ipa.fraunhofer.de
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Weitere Informationen:
http://www.ipa.fraunhofer.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Verfahrenstechnologie
Dieses Fachgebiet umfasst wissenschaftliche Verfahren zur Änderung von Stoffeigenschaften (Zerkleinern, Kühlen, etc.), Stoffzusammensetzungen (Filtration, Destillation, etc.) und Stoffarten (Oxidation, Hydrierung, etc.).
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