DESYs Teilchenbeschleuniger HERA geht mit vierfacher Leistung neu an den Start
Am Sonntag, den 29. Juli 2001, ging Deutschlands größtes Forschungsinstrument, der Teilchenbeschleuniger HERA, wieder an den Start. Knapp neun Monate dauerten die Umbauten an der über sechs Kilometer langen unterirdischen Anlage beim Forschungszentrum DESY in Hamburg. Das Ziel: HERAs „Trefferrate“, also die Anzahl der miteinander kollidierenden Teilchen, auf das Vierfache zu erhöhen.
Diese Leistungssteigerung wird den Experimenten Zugang zu extrem seltenen Prozessen verschaffen – und damit den Blick des „Super-Elektronenmikroskops“ HERA für Teilchen und Kräfte jenseits der gängigen physikalischen Theorie, dem Standard-Modell, weiter schärfen. „Wir stoßen in Neuland vor und erwarten deshalb, neue Dinge zu sehen, ebenso, wie man in einem normalen Mikroskop Überraschendes sieht, wenn man eine stärkere Lichtquelle einbaut“, erläutert Prof. Albrecht Wagner, Vorsitzender des DESY-Direktoriums.
Die bisherigen Untersuchungen an HERA haben zum Beispiel ergeben, dass das Proton ein reiches Innenleben aus Quarks und Gluonen besitzt. Mit der erhöhten HERA-Trefferrate wird es möglich sein, diese Struktur in Dimensionen, die 2000-mal kleiner sind als das Proton selbst, mit hoher Genauigkeit zu erforschen. Damit lässt sich beispielsweise der Frage nachgehen, ob Teilchen wie die Quarks eine Unterstruktur aufweisen – also möglicherweise gar nicht elementar sind, wie wir heute annehmen.
120 Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure waren von September 2000 bis Mitte Mai 2001 mit den HERA-Umbauten beschäftigt. 480 Meter Vakuumsystem mussten ausgetauscht, knapp 80 Magnete neu konstruiert und eingebaut werden, jeder von ihnen zwischen einem und vier Meter lang und bis zu sieben Tonnen schwer. Die neuen Magnete werden die Querschnitte der Teilchenstrahlen, die HERA beschleunigt, unmittelbar vor der Kollision auf ein Drittel ihrer bisherigen Fläche zusammendrücken: von einem hundertstel Quadratmillimeter auf winzige drei tausendstel Quadratmillimeter. Diese Präzisionsarbeit erforderte eine aufwendige Neugestaltung der beiden Kollisionszonen, in denen die Teilchen aufeinander prallen – also genau jener Stellen, die ohnehin zu den technisch anspruchsvollsten der Anlage gehören. Doch der Aufwand lohnt, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die in HERA beschleunigten Elektronen und Protonen zusammenstoßen, wird dadurch deutlich größer. Dann können die Teilchenphysiker auch extrem seltene Prozesse mit für die Statistik ausreichender Häufigkeit beobachten. Allerdings steigt damit auch die Flut an uninteressanten Prozessen. Daher mussten HERAs hausgroße Nachweisgeräte technisch ebenfalls aufgerüstet werden, so dass sie noch schneller und effektiver entscheiden können, welche Teilchenreaktionen wirklich interessant sind.
Eine Hightech-Anlage wie HERA wieder in Betrieb zu nehmen, geht nicht einfach auf Knopfdruck. Auf den Bruchteil eines Millimeters genau muss alles passen, damit die haarfeinen Teilchenstrahlen an den Kollisionspunkten tatsächlich aufeinander treffen. Auch ihr „Timing“ muss auf Milliardstel Sekunden genau stimmen – schließlich nützt es wenig, wenn ein Teilchenpaket am Kollisionspunkt eintrifft, während sich sein Gegenstück woanders befindet. In den nächsten Monaten wird das HERA-Team die Teilchenstrahlen deshalb zunächst einzeln in den Beschleuniger „einfädeln“ und optimieren, bevor man sich an die ersten Kollisionen wagt. Bis November sollte alles bereit sein, um die Intensität der Strahlen langsam zu steigern und damit die Trefferrate der Teilchen auf den geplanten vierfachen Wert zu bringen. Zur Routine wird der HERA-Betrieb mit der neu gewonnenen hohen Leistung dann bereits Anfang des Jahres 2002.
Die Hadron-Elektron-Ring-Anlage HERA ist der größte Teilchenbeschleuniger bei DESY in Hamburg und seit 1992 im Forschungsbetrieb. HERA ist der erste und einzige Speicherring, in dem zwei Arten von Materieteilchen miteinander kollidieren: Protonen und Elektronen. HERA besteht aus zwei ringförmigen, jeweils 6,3 Kilometer langen Beschleunigern in einem unterirdischen Tunnel. An zwei Experimenten untersuchen Teilchenphysiker die Zusammenstöße zwischen den Protonen und Elektronen, die wie winzige Sonden das Innere der ungleich schwereren Protonen abtasten. Zwei weitere Experimente nutzen jeweils nur einen der Teilchenstrahlen. Jeweils etwa 400 Physiker aus 50 Instituten aus 12 Ländern analysieren die Spuren der Teilchenkollisionen, von denen sich Millionen pro Sekunde in jedem der großen Nachweisgeräte abspielen. Das Ziel: dem Innenleben des Protons und den fundamentalen Kräften auf die Spur zu kommen. Dabei ermöglicht das „Super-Elektronenmikroskop“ HERA den weltweit schärfsten Blick ins Proton.
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