"Zebras" aus Bremen: Neues Messsystem findet jede Macke im Spiegelbild
Erst putzen und polieren, dann der prüfende Blick. Ob Brille, Motorhaube oder Silberschale: Im Gegenlicht sieht man am besten, ob sie auch wirklich blank geworden sind – nämlich dann, wenn sich alles tadellos darin spiegelt. Dieses alltägliche Phänomen hat sich ein Wissenschaftler-Team an der Universität Bremen zu Nutze gemacht und ein neues Messverfahren entwickelt. Mit dessen Hilfe lassen sich einfach und schnell auch kleinste Unebenheiten in reflektierenden Oberflächen messen und bewerten. Nun wurde das dritte Patent auf diese Entwicklung aus dem Bremer Institut für angewandte Strahltechnik (BIAS) angemeldet und die innoWi GmbH, das Gemeinschaftsunternehmen der Bremer Hochschulen und der Bremer Investitions-Gesellschaft mbH, kümmert sich um die Vermarktung der Idee. Sie hat bereits erste Interessenten für das System, auch aus Großbritannien und Japan.
Die Geräte sind handlich, leicht und mobil. Sie arbeiten im Nanometer-Bereich, also in der Größenordnung von Millionstel Millimetern, und sie sind vielfältig einzusetzen. Entsprechend groß ist die Bandbreite der Interessenten. Sie reicht von der der Automobil- oder Flugzeugindustrie bis hin zum Hersteller von Brillengläsern und Kontaktlinsen. In Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner und Mitentwickler Vereinigte Elektronik-Werkstätten GmbH (VEW) in Bremen entstanden bereits mehrere Prototypen dieser neuen Messgeräte. Sie arbeiten unter anderem bei Airbus und im Institut für Werkstofftechnik (IWT). Weitere Kooperationen in diesem Projekt gibt es mit der Faschhochschule Bern und der Satisloh GmbH in Wetzlar, einem Hersteller von Maschinen für die Brillenglasfertigung.
Wer seine Motorhaube poliert hat, schaut sich das Ergebnis seiner Arbeit danach zumeist an, indem er mit geneigtem Kopf über die blanke Fläche blickt. Dann sieht er nicht die Fläche selbst, sondern das, was sich darin spiegelt. Hat die Haube Macken, ist das Spiegelbild an diesen Stellen verzerrt. Selbst kleinste Kratzer und Beulen, die beim direkten Blick auf das Blech kaum oder gar nicht auffallen, sind so deutlich zu sehen. Thorsten Bothe ging es damals nicht um Autobleche: Vor fünf Jahren hielt der Diplomphysiker aus dem BIAS eine Reihe von Klaviertasten gegen das Licht, um Unebenheiten in der Lackierung aufzuspüren. Da kam ihm die zündende Idee zu dem neuen Messsystem. Und so funktioniert es:
Die Wissenschaftler erzeugen auf einem Bildschirm ein Streifenmuster und bringen ihn dann über die zu untersuchende Fläche. Spiegelnd, also reflektierend muss sie sein, denn nur dann funktioniert das System. Eine Kamera nimmt die sich in der Fläche spiegelnden Streifen auf, sendet die Daten an einen Rechner, der die Bilder dann auswertet. Hierzu haben die Forscher eine spezielle Software entwickelt, den „BIAS' Fringe Processor“. Gibt es auch nur die kleinste Unregelmäßigkeit in dem Streifenmuster, findet das System sie. Ist das Spiegelbild an einer Stelle verzerrt, ist die Oberfläche nicht perfekt. Rechner und Software liefern dazu die genauen Daten.
Was nach einem so einfachen Prinzip funktioniert, hat einen komplizierten Namen: „Formvermessung reflektierender Oberflächen“ heißt es und ist angesiedelt in dem Bereich der Oberflächenwinkelmesstechnik. Das war auch den VEW-Entwicklern zu lang. Einfach „Zebra“ haben sie ihre Prototypen genannt – wegen der Streifen, und die BIAS-Forscher haben den Arbeitstitel erst einmal so übernommen.
„Damit können wir alles messen: von kleinsten Flächen bis hin zu verspiegelten Wänden“, sagt Bothe. Das System spüre Unebenheiten von einem Nanometer auf. „Das ist quasi nichts“, sagt er. Ein Atom ist rund einen Zehntel Nanometer groß, ein durchschnittliches, menschliches Haar misst rund 70.000 Nanometer. Um Messungen in dieser Größenordnung und mit einer solchen Genauigkeit vorzunehmen, bedarf es normalerweise komplexer, stationärer Messgeräte. „Sie sind sehr empfindlich gegen Erschütterungen“, erklärt Bothe, oder sie müssten taktil messen, also das Objekt abtasten. Ein Nachteil dieser Messmethoden: Die Messköpfe müssen das zu messende Objekt berühren. Das geschieht nicht immer zerstörungsfrei.
Die Bremer „Zebras“ berühren die Objekte nur mit Licht, wiegen nicht einmal einen Zentner, sind robust und können problemlos dort positioniert werden, wo gemessen werden soll. Bei Airbus zum Beispiel werde es mit Saugnäpfen am Flugzeugrumpf des A380 angebracht und vermesse dort in zwei Minuten eine Fläche von 150 Quadratzentimetern, sagt Bothe. „Es geht aber auch kleiner“, sagt Bothe. Auch für die Herstellung von Brillen und Kontaktlinsen sei das System interessant. Daher arbeite man nun auch an einer Mini-Version des Messgerätes, dem „Mikro-Zebra“. Das ist ein Handgerät, das noch kleiner und feiner untersuchen kann.
In Zusammenarbeit mit dem BIAS erarbeitet die innoWi nun Strategien für die Vermarktung dieser hoffnungsvollen Entwicklung. „Wir haben geschaut, wo für diese Geräte relevante Messaufgabe anfallen, haben die Branchen analysiert und gruppiert und alle mögliche Lizenznehmer angeschrieben“, sagt Jens Hoheisel, Diplom-Informatiker und Innovationsmanager bei der innoWi. „Es gibt in vielen verschiedenen Branchen ein großes Anwendungsfeld für diese Entwicklung“, weiß er aus den aufwändigen Studien. Die Reaktionen geben ihm Recht: „Es gibt offensichtlich einen Riesenbedarf, und inzwischen führen wir konkrete Gespräche mit interessierten Lizenznehmern“, freut er sich. Dabei seien die Möglichkeiten, die hinter dieser Erfindung stecken, noch gar nicht ganz ausgenutzt. (Sabine Nollmann)
Ihre Ansprechpartner:
Dipl.-Inform. Jens Hoheisel (innoWi GmbH)
Telefon: 0421 96 00-715, E-Mail: jens.hoheisel@innowi.de
Prof. Dr.-Ing. Werner Jüptner (BIAS)
Telefon: 0421 218-50 02, E-Mail: jueptner@bias.de
Dipl.-Phys. Thorsten Bothe (BIAS)
Telefon: 0421 218-50 14, E-Mail: bothe@bias.de
Norbert Köpp (VEW)
Telefon: 0421 27 15 30, E-Mail: vew-gmbh-bremen@t-online.de
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