Mit Partikeln die Airbag-Entfaltung berechnen
Mathematiker vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern können mit Hilfe eines Partikelverfahrens simulieren, wie sich ein Airbag entfaltet. Vom 15. bis 20. April wird auf der Hannover Messe 2002 die Crash-Test-Software mit dem neuen Verfahren erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.
Airbags vorne und an der Seite gehören heute bei den meisten Neufahrzeugen der Mittel- und Oberklasse zur Grundausstattung. Die luftgefüllten Kissen retten Leben: Sie schützen Kopf und Oberkörper der Fahrzeuginsassen bei einem Frontalzusammenstoß vor schweren Verletzungen. »Allerdings sorgen Airbags auch immer wieder für Negativschlagzeilen«, weiß Dr. Jörg Kuhnert vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern. Nämlich dann, wenn Fahrer oder Beifahrer durch den Airbag selbst schwer verletzt werden. Den Wissenschaftlern aus Kaiserslautern gelang es nun erstmals, die komplizierten Strömungsverhältnisse, die beim Öffnen des Airbags entstehen, zu berechnen. Damit können Kräfte, die bei der Entfaltung der Airbags entstehen, in eine Crash-simulation mit einbezogen werden. In letzter Konsequenz lassen sich Airbags künftig sogar auf die jeweiligen Fahrzeuglenker oder Beifahrer einstellen.
Damit ein Airbag korrekt arbeiten kann, muss der Fahrzeuglenker oder Beifahrer zunächst einmal angeschnallt sein und in Fahrtrichtung schauen. Dreht sich der Fahrer gerade nach hinten oder wird beispielsweise ein Baby im Kindersitz gegen die Fahrtrichtung auf dem Beifahrersitz angeschnallt, kann es durchaus zu tödlichen Verletzungen kommen. Denn der Airbag öffnet sich immer mit gleicher Wucht – ohne Rücksicht darauf, wie die Person sitzt oder ob sie groß oder klein ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund wollen Unfall- und Crashexperten herausfinden, welche Kräfte ein Airbag freisetzt, wenn er explodiert und sich mit Luft füllt.
Der französische Softwarehersteller ESI beauftragte die Mathematiker aus Kaiserslautern damit, die komplexen Strömungsverhältnisse in Airbags zu berechnen. ESI hat sich auf Software spezialisiert, mit der man unter anderem auch Crashs simulieren kann. Denn heute geht der Trend bei den Autoherstellern dahin die Zahl der echten Crashs zu reduzieren. »Reale Unfälle, bei denen Fahrzeuge gegen die Wand knallen und Dummis durch die Luft wirbeln, sind teuer«, sagt Kuhnert. Schließlich wird bei jedem Test ein Auto für zehn- bis zwanzigtausend Euro zu Schrott gefahren.
Damit sie die Vorgänge im Inneren des Luftkissens berechnen können, benutzen die Experten ein spezielles mathematisches Verfahren. »Arbeitet man mit klassischen Tools, müsste man das gesamte Strömungsgebiet vernetzen. Doch bei der Airbag-Entfaltung hat man es mit einer hochgradig veränderlichen Geometrie zu tun. Wenn man diesen komplexen Vorgang nach herkömmlichen Berechnungen mathematisch darstellen will, müsste man für jedes Zeitintervall während der Explosion – vom klein zusammengefalteten Sack bis zum dicken Kissen – ein eigenes Netz berechnen. Das ist unmöglich«, erläutert Kuhnert. »Deshalb berechnen wir die Strömungsverhältnisse mit einem Partikelverfahren. Hier brauchen wir keine Gitter, sondern stellen mathematisch dar, wie sich die Partikel mit der Strömung bewegen. Die Partikel dienen als Informationsträger für die strömungsdynamischen Felder.«
Die Wissenschaftler haben nun ein Softwaretool entwickelt, das das explosionsartige Aufblasen des gefalteten Airbags realistisch simuliert. »Unsere Simulationsergebnisse stimmen mit den real erhobenen Messwerten hervorragend überein«, freut sich Kuhnert. Die am ITWM entwickelte Finite-Pointset-Methode ist natürlich nicht auf die Airbag-Entfaltung beschränkt. Sie eignet sich hervorragend für alle strömungsdynamischen Probleme in zeitlich veränderlichen Geometrien wie zum Beispiel für alle Arten von Füllvorgängen.
Die Wissenschaftler zeigen ihr neues Verfahren vom 15. bis 20. April auf der Hannover Messe in Halle 15 am Stand E 52.
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