Umweltfreundliches Verfahren zur Synthese organischer Stoffe für Hochleistungsindustrie entwickelt

Eingefärbtes Mikroskopie-Bild eines Monolithen (1)
(c) Lahnsteiner M., Unterlass M.

Die Herstellung von Materialien aus organischen Stoffen war bis dato nur mithilfe stark toxischer Lösemittel möglich. Ein Team um UniKonstanz Prof. und CeMM Adjunct PI Miriam Unterlass entwickelte nun ein Verfahren, mit dem organische Stoffe nur durch das Erhitzen in Wasser völlig schadstofffrei für die Verwendung als Hochleistungsmaterialien nutzbar gemacht werden. Die im Journal of Materials Chemistry A veröffentlichte Studie stellt einen wichtigen Meilenstein in der umweltfreundlichen Herstellung organischer Stoffe dar und bietet damit auch einen wichtigen Anreiz, um von anorganischen auf organische, nachwachsende Stoffe umzusteigen.

Zahlreiche Produkte unseres täglichen Bedarfs wie Akkus und Elektronikmaterialien werden mithilfe anorganischer Stoffe hergestellt – Stoffe, die nach und nach seltener werden auf unserem Planeten. ChemikerInnen suchen nach Möglichkeiten, anorganische durch organische Stoffe, aufgebaut aus Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff oder Sauerstoff zu ersetzen. Um diese für die gewünschten Anwendungen brauchbar zu machen, werden bis heute hochtoxische Chemikalien, sogenannte Lösemittel, genutzt. Genau dieser Problematik widmet sich Chemikerin Miriam Unterlass, Professorin an der Universität Konstanz und Adjunct Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW, in ihrer aktuellen Studie im Rahmen ihres FWF START Projektes.

Sie erklärt: „Organische Stoffe haben sehr viele positive Eigenschaften: Sie sind aus nachwachsenden Rohstoffen gewinnbar, umweltfreundlich und vor allem extrem leicht. Mit unserem Verfahren können wir sie nun auch komplett frei von giftigen Lösemitteln, sehr einfach und kostengünstig herstellen und nutzbar machen. In unserer aktuellen Studie haben wir uns der Erzeugung besonders poröser Stoffe gewidmet, die für Herstellung von Hochleistungsmaterialien gebraucht werden, vor allem in der Industrie, zum Beispiel für Filteranlagen, Membranen für Brennstoffzellen, aber auch für Feuerwehrschutzbekleidung oder sämtliche Isolationen in der Elektronik.“

Die Verbindung mit Wasser

Eingefärbtes Mikroskopie-Bild eines Monolithen (2)
Lahnsteiner M., Unterlass M.

Während anorganische Stoffe wie Salze wasserlöslich sind, sind organische Stoffe meist apolar und lösen sich in herkömmlichem Zustand nicht in Wasser. Für ihr neues Verfahren erhitzten die Studienautorin Marianne Lahnsteiner, PhD-Studentin aus Unterlass‘ Forschungsgruppe am CeMM, und Projektleiterin Miriam Unterlass Wasser und stellten fest, dass dieses dabei auch seine Fähigkeit veränderte. „Durch das Erhitzen von Molekülen, die lediglich Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Kohlenstoff enthalten, in Wasser zwischen 180 und 250 Grad und unter Druck, können sich diese Moleküle verbinden. Je nach Temperatur und Dauer dieses Prozesses erzielen wir damit unterschiedliche Strukturen, die wir in hunderten Versuchen genau erforschen konnten“, so Unterlass, „so wissen wir jetzt genau, welche Strukturen durch welche, bei welcher Temperatur und Bearbeitungszeit entstehen. Die Stoffe in unserer Studie wurden gezielt als Hochleistungsmaterialien entwickelt, sind dementsprechend besonders temperaturstabil und robust.“

Sieben, Filtern, Leiten

In einem Gramm von des von Lahnsteiner und Unterlass hergestellten Stoff sind enorme 7250 mm3 Hohlraum. Er bietet demnach – ja nach Form – die perfekten Eigenschaften für Filtern, Sieben und Leiten, und das bei geringem Gewicht. Um die durch das Verfahren entstehenden Strukturen besser beobachtbar zu machen, arbeiteten die Forscherinnen mit der Forschungsgruppe von Netzwerkwissenschaftler Jörg Menche, Professor an der Universität Wien und ebenfalls Adjunct Principal Investigator am CeMM, zusammen. Menches Forschungsgruppe konnte mithilfe von Artificial Intelligence anhand der Mikroskopie-Bilder die entstehenden Strukturen und Muster analysieren. „Mithilfe von Künstlicher Intelligenz konnten wir rasch eine Vielzahl an entstandenen Strukturen so kategorisieren, dass wir wissen, wie wir das Entstehen bestimmter Strukturen erreichen“, so Lahnsteiner.

Grünes Verfahren mit rund 25 Prozent Kostenersparnis

„Smog ist ein zentrales Zeichen von Umweltverschmutzung. Chemische Prozesse sind tatsächlich leider mitverantwortlich für dessen Entstehung, durch die Verwendung giftiger Lösemittel. Mit unserer neuen Herstellungsmethode schaffen wir eine enorm wichtige Alternative für die Verarbeitung organischer Stoffe, die ganz ohne solche giftigen Lösemittel auskommt. Gleichzeitig werden sehr häufige statt seltener Elemente verwendet“, so Unterlass. „Außerdem ist das Verfahren sehr kostengünstig. Die Verwendung von Wasser im Vergleich zu giftigen Lösemitteln bei der Herstellung von porösen Materialien erspart rund 25 Prozent der Kosten. Und wir produzieren keine Schadstoffe.“

Interdisziplinarität am CeMM

Rund 140 Forscherinnen und Forscher aus 49 Nationen weltweit forschen am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin. Interdisziplinarität bildet dabei ein wichtiges Kernelement erfolgreicher Forschung. WissenschafterInnen aus Biologie, Medizin, Bioinformatik, Chemie und Physik leisten so nicht nur einen wichtigen Beitrag zur biomedizinischen Forschung für die Verbesserung von Diagnose und Therapie von Erkrankungen, sondern betreiben zudem Grundlagenforschung auf höchstem Niveau.

Die Studie ist Teil des FWF START-Projekts „Hydrothermal zu funktionellen organischen Gerüststrukturen“.

Der Artikel „Hydrothermal Polymerization of Porous Aromatic Polyimide Networks and Machine Learning-Assisted Computational Morphology Evolution Interpretation“ erschien im Journal of Materials Chemistry A der Royal Society of Chemistry am 7. September 2021. DOI: 10.1039/D1TA01253C

AutorInnen: Marianne Lahnsteiner, Michael Caldera, Hipassia M. Moura, D. Alonso Cerrón-Infantes, Jérôme Roeser, Thomas Konegger, Arne Thomas, Jörg Menche, and Miriam M. Unterlass

Förderung: Die Studie wurde finanziert durch die Förderung START Y1037-N38 des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF).

Über Miriam Unterlass
Miriam M. Unterlass studierte Chemie, Materialwissenschaften und Chemieingenieurwesen in Würzburg, Southampton und Lyon. 2009 und 2011 absolvierte sie ein Doktoratsstudium am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, danach folgte ein Postdoc an der ESPCI in Paris. Im Dezember 2012 gründete sie ihre Forschungsgruppe „Advanced Organic Materials“ am Institut für Materialchemie der Technischen Universität Wien. 2018 habilitierte sie sich für das Fach Materialchemie und wurde 2019 zur Assistenzprofessorin ernannt. Seit 2018 ist Miriam Unterlass Adjunct Principal Investigator am CeMM. Seit 2021 ist sie Professorin für Festkörperchemie an der Universität Konstanz (Deutschland). Die Forschungsinteressen von Miriam Unterlass konzentrieren sich auf Verbindungen, die reich an Aromaten und Heterozyklen sind. Diese Materialien weisen interessante optoelektronische Eigenschaften auf und können z.B. als Farbstoffe verwendet werden. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Entdeckung neuer Verbindungen und der Entwicklung neuartiger, umweltfreundlicher, ungiftiger und hocheffizienter Synthesetechniken, insbesondere durch hydrothermale Synthese. Miriam engagiert sich für den Forschungstransfer: Sie gründete 2017 ihr erstes Unternehmen UGP Materials und entwickelt Grafikdesign-Materialien und Kurse zu wissenschaftlichen Themen.

Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien. www.cemm.at

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Miriam Unterlass
miriam.unterlass@uni-konstanz.de

Originalpublikation:

Der Artikel „Hydrothermal Polymerization of Porous Aromatic Polyimide Networks and Machine Learning-Assisted Computational Morphology Evolution Interpretation“ erschien im Journal of Materials Chemistry A der Royal Society of Chemistry am 7. September 2021. DOI: 10.1039/D1TA01253C

Weitere Informationen:

https://cemm.at/news/n/eco-friendly-process-for-synthesizing-organic-materials-d…

Media Contact

Laura Alvarez Public Relations
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Verfahrenstechnologie

Dieses Fachgebiet umfasst wissenschaftliche Verfahren zur Änderung von Stoffeigenschaften (Zerkleinern, Kühlen, etc.), Stoffzusammensetzungen (Filtration, Destillation, etc.) und Stoffarten (Oxidation, Hydrierung, etc.).

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Trenntechnologie, Lasertechnologie, Messtechnik, Robotertechnik, Prüftechnik, Beschichtungsverfahren und Analyseverfahren.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Lange angestrebte Messung des exotischen Betazerfalls in Thallium

… hilft bei Zeitskalenbestimmung der Sonnenentstehung. Wie lange hat eigentlich die Bildung unserer Sonne in ihrer stellaren Kinderstube gedauert? Eine internationale Kollaboration von Wissenschaftler*innen ist einer Antwort nun nähergekommen. Ihnen…

Soft Robotics: Keramik mit Feingefühl

Roboter, die Berührungen spüren und Temperaturunterschiede wahrnehmen? Ein unerwartetes Material macht das möglich. Im Empa-Labor für Hochleistungskeramik entwickeln Forschende weiche und intelligente Sensormaterialien auf der Basis von Keramik-Partikeln. Beim Wort…

Klimawandel bedroht wichtige Planktongruppen im Meer

Erwärmung und Versauerung der Ozeane stören die marinen Ökosysteme. Planktische Foraminiferen sind winzige Meeresorganismen und von zentraler Bedeutung für den Kohlenstoffkreislauf der Ozeane. Eine aktuelle Studie des Forschungszentrums CEREGE in…