Autogerechte Stadt? Einem planerischen Stereotyp auf der Spur
Auf einem von der Volkswagen-Stiftung geförderten Symposium des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Zusammenarbeit mit dem Center for Urban History aus Leicester (GB) gingen Planungs-, Kultur- und Stadthistoriker dem Stereotyp des Siegeszugs der „autogerechten Stadt“ auf den Grund.
„Wir sehen den großen Einfluss des Leitbilds nicht als Mythos an“, sagt Dr. Harald Engler vom IRS. „Es ist unbestritten, dass es eine sehr wichtige Denkfigur im Planungshandeln seit den späten 1940er Jahren ist.“
Zugleich sei diese Großgeschichte erheblich zu differenzieren, so Engler. So habe es zeitgleich mit den großen, verkehrsdominierten Umgestaltungen der Städte immer auch abgeschwächte Anwendungen des Konzepts und früher als gemeinhin angekommen kritische Hinterfragungen gegeben, wie dies beispielsweise beim Stadtplaner Egon Hartmann in München der Fall war.
Dies zeige, dass der integrative Ansatz der Stadtplanung in einigen Fällen schon vor 50 Jahren praktiziert wurde und die autogerechte Stadt ergänzte. Aus heutiger Sicht sei eine unvoreingenommene Reflexion dieser planungsgeschichtlichen Epoche nötig, um daraus Konsequenzen für die Zukunft der Städte zu ziehen, so das Fazit der Symposiumsteilnehmer.
Die Geschichte der „autogerechten Stadt“ verläuft in den beiden deutschen Staaten unterschiedlich, obgleich beiderseits der Grenze das Leitbild die Dominante im Planungshandeln der Nachkriegszeit war. Im Osten ergab sich ein Widerspruch zwischen den zum Teil sehr weitläufig und autozentriert geplanten Verkehrswegen (etwa am Berliner Alexanderplatz mit mehrspurigen Straßen und einem Autotunnel) und der wegen der mangelnden Produktivität der Autoindustrie relativ geringen PKW-Dichte.
„Auch der überaus starke Einfluss der SED-Stadt- und Kreisleitungen und auch des Zentralkomitees der SED prägte die Anwendung des Leitbilds, oftmals standen Partikularinteressen der Funktionäre im Mittelpunkt“, berichtet Engler aus dem Symposium. In Westdeutschland erfolgte die Umsetzung des Leitbilds in sehr enger Orientierung an der Schutzmacht USA und dem Konsumvorbild USA.
Im Zusammenhang mit den Studentenunruhen und dem Einfordern stärkerer Partizipation an Planungsprozessen durch die Bevölkerung brach die autogerechte Planung dort in den 1970er Jahren ein. „Sowohl in Deutschland als auch im Hinblick auf globale Entwicklungen in der Mobilität sind wir aber lange nicht am Ende der autogerechten Stadt“, so Engler. „Zwar ist die Planung hierzulande erheblich diversifiziert, noch immer steigende PKW-Absatzzahlen und –Dichten sowie erheblich autozentriertere Dynamiken etwa in China oder Indien zeigen aber, dass wir uns auch heute noch mit diesen Denkfiguren auseinandersetzen müssen.“
Das Symposium „Städtische Automobilität im Wandel“ hatte zum Ziel, genau diese Differenzierung in der Rückbetrachtung und der Begleitung aktueller Planungsprozesse zu befördern, indem es Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen (Stadt- und Planungshistoriker, Geographen, Transportspezialisten, Städtebauer und Ingenieurswissenschaftler) zusammenführte.
State of the Art sei es, die Planungen explizit auch aus sozialer und kultureller Perspektive zu analysieren und den Fokus auf die Stadt als Gesamtkörper sowie auf die Bewohner und ihre Wahrnehmungen zu setzen. „Wir haben einen umfassenden und tiefen Einblick darin bekommen, wie sich die Stadt der Moderne unter dem Einfluss der Massenmotorisierung verändert hat und was wir für Gegenwart und Zukunft davon lernen können“, so der Initiator und Mitveranstalter des Symposiums, Dr. Christoph Bernhardt.
Kontakt:
Dr. Harald Engler
Stellvertretender Leiter der Historischen Forschungsstelle des IRS
Tel: 03362/793-224
Mail: harald.engler@irs-net.de
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