Warum die Deutschen ihr Auto (noch) nicht teilen
Eingefahrene Gewohnheiten verhindern Umstieg auf Car Sharing. Zwischen Ökoprojekt und moderner Dienstleistung
Die Deutschen sind in ihrer Mehrheit noch längst nicht bereit, das eigene Auto abzuschaffen und sich gemeinsam mit anderen eines zu teilen. „Ein Grund dafür ist die Macht der Gewohnheit“, sagt Sassa Franke. Solange das organisierte Autoteilen, englisch Car Sharing, so wie heute das Auto- oder Radfahren nicht als Routine fest zum Alltag gehört und wesentlich einfacher und flexibler zu nutzen ist, wird es nicht erfolgreich sein und sich auch nicht auf breiter Front durchsetzen, stellt Franke jetzt in einer Studie fest. Die Untersuchung wurde am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, einem Leibniz-Institut, angefertigt.
Franke hat frühere Autofahrer befragt, die auf Car Sharing umgestiegen sind. Deren Antworten zeigen, dass der Abschied vom eigenen Auto keineswegs leicht fällt. Denn das eigene Auto ist heute immer noch das bequemste Verkehrsmittel. Es ermöglicht jederzeit Mobilität, ohne bewusst planen oder überhaupt nachdenken zu müssen. „Dieses eingespielte Verhalten wirkt entlastend“, erklärt Franke. „Gewohnheiten verringern den Zwang zu ständigen Entscheidungen im Alltag und tragen dazu bei, wiederkehrende Aufgaben schnell bewältigen zu können. Die Komplexität des Alltags wird vermindert“. Erst wenn das Fahren mit dem Auto nicht mehr Alltagsgewohnheit ist, sondern die Mehrzahl der Wege mit Bus, Bahn oder Fahrrad zurückgelegt wird und der eigene PKW ergänzend nur noch für ganz bestimmte Fahrten gebraucht wird, sei ein Umstieg auf Car Sharing möglich, ist Leibnizforscherin Franke überzeugt. Damit die Dienstleistung Car Sharing für viele attraktiv wird, müssten die Unternehmen ihr Image als Ökoprojekt loswerden und sich zu modernen, professionellen Service-Anbietern entwickeln. Die Voraussetzung: Der Zugang zum Car Sharing-Angebot muss erleichtert, flexible Nutzungsmöglichkeiten müssen angeboten, die Zusammenarbeit mit öffentlichen Verkehrsbetrieben ausgebaut und das organisierte Autoteilen in das gesamte Verkehrssystem integriert werden.
Mit sieben Millionen potentiellen Kunden rechnen neuere Studien für Deutschland. Doch auch mehr als zehn Jahre nach Gründung der ersten Car Sharing-Unternehmen sind es hierzulande gerade einmal 40 000 Menschen, die sich Autos teilen. Ein Grund dafür liegt in dem zersplitterten und uneinheitlichen Angebot der mehr als 80 Anbieter. Zudem gibt es nur teilweise Kooperationen mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben. Anders in der kleinen Schweiz, wo die Zahl der Kunden schnell wächst: Hier konnte sich Car Sharing, das in der Hand eines einzigen Anbieters mit mittlerweile 38.500 Kunden liegt, in Zusammenarbeit mit der Schweizer Bundesbahn und vielen Verkehrsbetrieben als professioneller Dienstleister etablieren.
Weitere Informationen: Dr. Sassa Franke, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB),Reichpietschufer 50, 10785 Berlin, Telefon: 030-25 49 12 05, E-Mail: Franke@medea.wz-berlin.de und im Internet unter http://www.wz-berlin.de
Die Studie ist unter dem Titel „Car Sharing zwischen Ökoprojekt und Dienstleistung“ auch als Buch erschienen im Verlag edition sigma, Berlin 2001.
Das WZB gehört zu den insgesamt 77 außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Serviceeinrichtungen für die Forschung der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. (WGL). Das Spektrum der Leibniz-Institute ist breit und reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften und Museen mit angeschlossener Forschungsabteilung. Die Institute arbeiten nachfrageorientiert und interdisziplinär. Sie sind von überregionaler Bedeutung, betreiben Vorhaben im gesamtstaatlichen Interesse und werden deshalb von Bund und Ländern gemeinsam gefördert. Näheres unter: http://www.wgl.de.
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