Per Mausclick am Stau vorbei

Abb. 1: Das Verkehrsinformationssystem "OLSIM" (Online Simulation) zeigt den Verkehrszustand auf den Autobahnen in Nordrhein-Westfalen über ein Java-Applet (makroskopisch) sowie das konkrete Fahrzeugaufkommen (mikroskopisch). Auf der Website www.autobahn.nrw.de werden weitere Informationen, wie Baustellen oder Fahrbahnsperrungen, angezeigt. <br> <br>Bild: Universität Duisburg <br>

Billing-Preis für wissenschaftliches Rechnen 2003 geht an Entwickler von OLSIM, einem online Stau-Informationssystem für Autofahrer

Für die Entwicklung eines weltweit bisher einmaligen Software-Systems, mit dem der Verkehr auf den Autobahnen in ganz Nordrhein-Westfalen (NRW) erfasst und zuverlässig vorhergesagt werden kann, erhalten Roland Chrobok, Sigurdur F. Hafstein und Andreas Pottmeier vom Lehrstuhl „Physik von Transport und Verkehr“ der Universität Duisburg-Essen den mit insgesamt 3.000 Euro dotierten diesjährigen Heinz-Billing Preis. „OLSIM“ (Online Simulation) zeigt unter www.autobahn.nrw.de nicht nur die aktuellen Verkehrslage, sondern auch ihre voraussichtliche Entwicklung in den nächsten 30- bzw. 60-Minuten. Autofahrer können damit noch vor Fahrtantritt ihre geplante Route überprüfen, gegebenenfalls verändern oder auf Bus oder Bahn umsteigen. OLSIM ist seit März 2003 erfolgreich im Betrieb und registriert pro Tag bis zu 200.000 Zugriffe. In die Endrunde der Billing-Preis-Verleihung kamen auch Thomas Hahn vom Max-Planck-Institut für Physik in Garching mit seinem Programmpaket zur Berechnung von Feynman-Diagrammen in der Elementarteilchenphysik sowie Axel Arnold, Bernward A. Mann, Hanjo Limbach und Christian Holm aus dem Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz mit ihrem Software-Paket „ESPResSo“ zur Simulation von weicher Materie.

Jeden Tag das gleiche Bild im Umfeld deutscher Städte – Hunderttausende von Berufspendlern drängen sich auf den Autobahnen und Einfallsstraßen zu ihren Arbeitsplätzen. Inzwischen bemüht sich eine Reihe von Forschergruppen um Lösungen für das Stau-Problem; allerdings lässt vor allem die Zuverlässigkeit ihrer Verkehrsprognosen noch zu wünschen übrig. Doch jetzt besteht Hoffnung: Ein Forscherteam um den Verkehrsforscher Prof. Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen hat in zehnjähriger Fleißarbeit das Verkehrsinformationssystem „OLSIM“ (Online-Simulation) für das nordrhein-westfälische Ministeriums für Verkehr, Energie und Landesplanung entwickelt.

OLSIM errechnet die Verkehrslage in einer Region aus verschiedenen Datenquellen. Dazu wird der Verkehr auf den Autobahnen über automatische Messstellen erfasst, im Minutentakt an Datenzentren weitergeleitet und dort im Computer simuliert. Hierbei wird die Art der Fahrzeuge, also PKW oder LKW, sowie ihre Geschwindigkeit erfasst. Auf der Grundlage dieser Daten beschreibt ein Modell, wie die Fahrzeuge beschleunigen, abbremsen, abbiegen oder überholen. Diese virtuellen Fahrzeugbewegungen vollziehen sich innerhalb einer detailgetreuen digitalen Autobahn-Karte von NRW einschließlich aller Tangenten, Rampen, Verzögerungs- und Beschleunigungsspuren etc. Dadurch ist es möglich, die Verkehrsabläufe im gesamten Autobahn-Netz zu berechnen, virtuell nachzustellen und am Bildschirm sichtbar zu machen. Das Simulationsmodell ermöglicht dann Prognosen des Autobahnverkehrs in den nächsten 30 bzw. 60 Minuten sowie für jene Streckenabschnitte, auf denen keine automatischen Datenerfassungsanlagen installiert sind.

Datenbasis aus Induktionsschleifen

Für den Betrieb von OLSIM werden mehr als 4.000 Induktionsschleifen an über 2.200 Messquerschnitten benutzt, welche vom „Landesbetrieb-Straßenbau NRW“ in den Autobahnen installiert worden sind. Diese stromdurchflossenen Drahtschleifen erfassen alle Fahrzeuge mit Hilfe elektromagnetischer Induktion. Das Signal ermöglicht es, zwischen Pkw und Lkw zu unterscheiden. Da in den meisten Fällen zwei Schleifen in geringem Abstand hintereinander angeordnet sind, wird auch die Geschwindigkeit gemessen. Zudem sind die Induktionsschleifen getrennt auf jeder Fahrspur installiert, so dass jede Spur einzeln abgebildet wird.

Die Messdaten werden kontinuierlich in eine Datenbank geschrieben, in der auch alle den Verkehr beeinflussenden Ereignisse, wie Unfälle, Vollsperrungen, Tages- und Dauerbaustellen , aber auch Fußballspiele oder der Urlaubsreiseverkehr als Verkehrsdaten-Fingerabdruck abgespeichert werden. Diese „Erfahrungen“ ermöglichen OLSIM schließlich seine Verkehrsprognosen.

Von den Daten zur Verkehrsprognose

Doch das Erfassen des Verkehrs über Messstellen reicht jedoch nicht für ein globales Gesamtbild. Mit dem „OLSIM Track Data Format“ (OTDF) haben die Duisburger Forscher deshalb auch ein simulationsfähiges Geo-Referenzformat entwickelt. Dieses bildet die kompletten 2.250 Autobahnkilometer in NRW detailgetreu mit allen 862 Auf- und Abfahrten und 72 Autobahnkreuzen und -dreiecken im Rechner nach. Auf diesen virtuellen Autobahnen fährt dann jedes Fahrzeug, das an einer Zählstelle gemessen wird, nach physikalischen Regeln weiter.

Trotz der enormen Größe des simulierten Autobahnnetzes und der damit einhergehenden Datenmenge kann OLSIM alle Fahrzeuge im Netz in mehrfacher Echtzeit auf einem handelsüblichen Computer simulieren. In Verbindung mit den in der Verkehrsdatenbank gespeicherten „Erfahrungen“ ist damit eine Verkehrsprognose für verschiedene Zeiträume möglich.

Auf der Internetseite www.autobahn.nrw.de werden die OLSIM-Daten in einer Verkehrslagen-Karte von ganz NRW darstellt und zwischen den Verkehrsstufen Frei, Dicht, Zähfließend und Gestaut farblich unterschieden. Neu daran ist, dass man sich neben der aktuellen Verkehrslage auch Prognosen für das Gesamtsystem oder einzelne Teilbereiche ansehen kann. Baustellen sind rot umrandet, wenn von ihnen eine Verkehrsbeeinträchtigung erwartet wird, und grün, wenn von ihnen nur eine geringe Staugefahr ausgeht.

Qualität und Nutzen der Prognose

Vor dem Start von OLSIM wurden seine Prognosen über Monate von Fachleuten des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes NRW, der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe, des Landesbetriebs Straßenbau NRW bis hin zu Mitarbeitern der Verkehrszentralen, der Autobahnmeistereien und des Verkehrswarndienstes begutachtet. Ergebnis: OLSIM gibt auch zu Spitzenzeiten in 85 Prozent der Fälle die tatsächlich eintretenden Verkehrslage exakt wieder. Toleriert man Abweichungen um eine Verkehrsstufe, die bereits innerhalb einer Minute von freiem auf dichten oder von zähfließendem auf gestauten Verkehr wechseln können, erreicht das System sogar 96 Prozent in den Spitzenzeiten. Prognosefehler sind zumeist durch unvorhersehbare Ereignisse, wie Verkehrsunfälle, bedingt. Damit übertrifft OLSIM bei weitem seinen Anspruch, eine Verkehrsprognose mit einer Genauigkeit von 80 Prozent zu erreichen.

Dass die Prognoseresultate erheblich besser sind als alle anderen gegenwärtigen Verkehrsinformationen, spiegelt sich sowohl in den begeisterten Zuschriften von Autofahrern als auch in den etwa 200.000 Zugriffen pro Tag auf die Website www.autobahn.nrw.de.

Die Arbeiten der beiden anderen Finalisten für den Billing-Preis kommen in diesem Jahr aus der physikalischen Forschung.

Thomas Hahn hat mit „FeynArts“ ein Programmpaket entwickelt, mit dem sich einfacher und schneller als bisher die in der Quantenfeldtheorie wichtigen Feynman-Diagramme berechnen lassen. Diese hochkomplexen Rechnungen dienen dazu, aus experimentellen Daten, zum Beispiel vom LEP-Speicherring in CERN, das Standard-Modell der Physik zu überprüfen und grundlegende Fragen zum Ursprung und Wesen unserer Welt zu klären.

EsPResSo, das „Extensible Simulation Package for Research on Soft matter“ ist eine offene Plattform für Simulationen weicher Materie. Darunter versteht man Materialien mit komplexen Strukturen, wie Polymere, Gummi oder Gläser. Espresso simuliert Systeme von Teilchen und ihre verschiedenen Wechselwirkungen. Damit kann man zum Beispiel Theorien für abstrakte Polymer-Modelle wie das Kugel-Feder-Modell testen und direkt mit dem Experiment vergleichen.

Heinz-Billing-Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Rechnens

Der „Heinz-Billing-Preis zur Förderung des wissenschaftlichen Rechnens“ wurde im Jahr 1993 zum ersten Mal verliehen. Mit dieser Ehrung werden herausragende Leistungen von Wissenschaftlern und Computerspezialisten gewürdigt, die in zeitintensiver und sehr kreativer Arbeit die notwendigen Hard- und Software-Voraussetzungen entwickeln, die für neue Vorstöße in der Forschung heute unverzichtbar sind. Der mit insgesamt 3.000 Euro dotierte Preis ist benannt nach Prof. Heinz Billing, Emeritiertes Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck-Instituts für Astrophysik und langjähriger Vorsitzender des Beratenden Ausschusses für Rechenanlagen in der Max-Planck-Gesellschaft. Billing stand mit der Erfindung des Trommelspeichers und dem Bau der Rechner G1, G2 und G3 als Pionier der elektronischen Datenverarbeitung am Beginn des wissenschaftlichen Rechnens. Die für den Preis eingereichten Arbeiten werden jedes Jahr in der Buchreihe „Forschung und wissenschaftliches Rechnen“ der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH in Göttingen veröffentlicht.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Roland Chrobok
Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl „Physik von Transport und Verkehr“, Duisburg
Tel.: 0203 379-3150
Fax: 0203 379-6564
E-Mail: chrobok@traffic.uni-duisburg.de

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Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

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