Eisenbahnsektor in Deutschland ist nicht optimal

Foto: DB AG/Lautenschläger

Neue Erkenntnisse zur Struktur der Deutschen Bahn AG: Ein Gutachten von Wissenschaftlern der TU Berlin bewertet die Organisationsform als verbesserungswürdig

Pünktlich zum zehnten Jahrestag der Bahnreform legten Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin ein Gutachten zur Organisationsstruktur der Deutschen Bahn AG (DB) vor. Darin widerlegen die TU-Wissenschaftler das Argument der Deutschen Bahn, wonach die beiden Bereiche Schienennetz und Transport in einem Unternehmen integriert bleiben müssten, weil nur so die Verbundvorteile beider Bereiche maximiert werden könnten.

In dem zweijährigen interdisziplinären Forschungsprojekt „SYNETRA – Synergien zwischen Bahnnetz und -transport: Praxis, Probleme, Potentiale“ untersuchten Mitarbeiter der Fachgebiete Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik sowie Schienenfahrwege und Bahnbetrieb unter Leitung von Privatdozent Dr. Christian von Hirschhausen und Prof. Dr. Jürgen Siegmann die Organisation des deutschen Eisenbahnsektors und gingen der Frage nach, wie effizient das Zusammenwirken zwischen den beiden Ebenen Schienennetz und -transport innerhalb des Unternehmens ist. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Die Zukunft des deutschen Eisenbahnsektors ist ins Blickfeld der politischen Entscheidungsträger zurückgekehrt. Nach einer formellen Privatisierung des Bundesbahn 1994 soll nun bald eine materielle Privatisierung folgen. Die Führung der Deutschen Bahn AG strebt einen raschen Börsengang an, gegen den sich kürzlich der Verkehrsausschuss des deutschen Bundestages einstimmig geäußert hat. Die innere Struktur des Eisenbahnsektors indes ist umstritten; insbesondere die Frage einer Trennung von Schienennetz und -transport wird diskutiert.

Betrachtet man das europäische Bahnsystem historisch, dann war zu Beginn des letzten Jahrhunderts in den meisten Ländern der Staat Eigentümer der Bahn und Schienennetz und Transport waren in einem Unternehmen integriert. Mittlerweile aber gibt es unterschiedliche Organisationsformen. In Schweden zum Beispiel gehört das Schienennetz dem Staat, die Unternehmen auf der Schiene jedoch sind weitgehend privat. In Großbritannien sind sowohl Schienennetz als auch die verschiedenen Unternehmen, die den Verkehr auf der Schiene betreiben, privat – allerdings bei starker staatlicher Regulierung. Die Schweizer Bundesbahn wiederum ist wie die Deutsche Bahn AG strukturiert. Hier befinden sich Netz und Transport unter dem Dach eines Unternehmens.

In Deutschland wurde die Frage nach der Bahnstruktur evident, als innerhalb der Europäischen Union Anfang der 90er-Jahre das politische Ziel formuliert wurde, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Dies wiederum ist nur durch mehr Wettbewerb auf der Schiene zu erreichen, indem das Schienennetz allen Eisenbahnverkehrsunternehmen zugänglich ist.

Zwar ist es in Deutschland möglich, gegen Bezahlung das Schienennetz der Deutschen Bahn zu nutzen, Kritiker aber halten der Deutschen Bahn vor, dass sie mit ihrem Festhalten an der Struktur, in der beide Bereiche – Schiene und Transport – in einem Unternehmen vereint sind, Wettbewerber vom Markteintritt abhalten wolle. Sie fordern deshalb die Schaffung eines unabhängigen Infrastrukturunternehmens, das nicht dem DB-Konzern angehört. Das Infrastrukturunternehmen würde dann mit den DB-Transporttöchtern und anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen Nutzungsverträge schließen. Derzeit entfällt etwa nur ein Prozent des Fernverkehrs auf andere Transportunternehmen.

Für das nun vorliegende Gutachten analysierten die TU-Wissenschaftler diese komplexe Fragestellung. Gesucht war diejenige Organisationsform, die das optimale Zusammenspiel der beiden wichtigen Wertschöpfungsstufen ermöglicht. Zunächst wurden wesentliche Schnittstellen zwischen Bahnnetz und -transport identifiziert und beschrieben. Neben Fahrplanerstellung, operativem Betriebsablauf, Forschung und Entwicklung sowie Sicherheit ist die wichtigste Schnittstelle die von Investitionen in langlebige Anlagegüter wie Schienennetz und „rollendes Material“ (Züge, Waggons). Für jede dieser Schnittstellen wurde die optimale Koordinationsform bestimmt. Anschließend wurden auf der Basis von in sechs europäischen Ländern und in den USA untersuchten Bahnstrukturen verschiedene Szenarien für die Entwicklung des deutschen Eisenbahnsektors erstellt. Szenario 1 beschreibt die Fortführung des Status quo, Szenario 2 die Trennung von Netz und Transport, Szenario 3 die Trennung von Netz und Transport unter Konzessionierung des Transports, Szenario 4 die Trennung von Netz und Transport und Aufspaltung des Schienennetzes in verschiedene regionale Eigentümer. Als solche könnten zum Beispiel die Bundesländer fungieren. Diese Szenarien wiederum wurden hinsichtlich der Ausschöpfung von Synergieeffekten zwischen Netz- und Transportebene untersucht.

Die Analyse der einzelnen Schnittstellen zeigt, dass durch eine Organisation innerhalb eines Unternehmens häufig negative Folgen (in der Regel durch höhere Kosten) gegenüber einer alternativen, vertikal desintegrierten Struktur zu erwarten sind. Dementsprechend schneidet das Szenario, welches den Status quo in Deutschland fortschreibt (integrierte Struktur), gegenüber anderen möglichen Organisationsformen in vielerlei Hinsicht schlechter ab.

Weitere Informationen erteilen Ihnen gern: PD Dr. Christian von Hirschhausen, Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, Tel.: 030/314-25449, Fax: 030/314-26934, E-Mail: cvh@wip.ww.tu-berlin.de
Prof. Dr.-Ing. habil. Jürgen Siegmann, Institut für Land- und Seeverkehr, Fachgebiet Sc

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Ramona Ehret TU Berlin

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