Miserables Zeugnis für öffentlichen Personennahverkehr
Bahn frei für attraktiven öffentlichen Nahverkehr
Verkehrswissenschaftler fordern: Nicht gegen, sondern mit dem Auto
Zu wenige Kunden, eine zweifelhafte Umweltbilanz und auch noch ein schlechtes Image – die Projektgruppe Mobilität des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) stellt dem öffentlichen Personennahverkehr ein miserables Zeugnis aus. In einer soeben erschienenen Studie plädieren die Wissenschaftler dafür, die anstehende EU-weite Liberalisierung des Verkehrsmarkts für einen Kurswechsel zu nutzen. Die Verkehrsbetriebe müssten unternehmerische Kompetenz entwickeln und eine umfassende Dienstleistung anbieten, die als neues Element auch das Automobil mit einbeziehe.
„Busse und Bahnen sinnvoll zu kombinieren ist nur die Basisleistung“, erklärt Weert Canzler von der WZB-Projektgruppe Mobilität, „Künftig kommen neue Bausteine hinzu – vor allem das Automobil.“ Das bisherige Konzept des öffentlichen Verkehrs stamme aus dem 19. Jahrhundert: große Busse und Bahnen auf festen Linien nach Fahrplan. Canzler: „Der heutige Kunde hat das Automobil im Kopf. Er will von Haustür zu Haustür gelangen.“ Die Projektgruppe empfiehlt, Car Sharing in die Produktpalette der öffentlichen Transportunternehmen aufzunehmen.
Ernüchternd sind laut WZB-Studie die Zahlen zur Umweltwirkung. Die Umweltbilanz falle nicht mehr automatisch zugunsten von Bus und Bahn aus, wenn man die tatsächliche Auslastung zugrunde lege. Diese liege durchschnittlich erkennbar unter 20 Prozent – mit sinkender Tendenz. Die Studie sieht den öffentlichen Verkehr deshalb in einer „ökologischen Legitimationskrise“. Canzler: „Der öffentliche Nahverkehr ist ein teures Vergnügen für die Gesellschaft mit zweifelhaftem Nutzen.“ Transferzahlungen in Milliardenhöhe an die lokalen und regionalen Verkehrsunternehmen „mit Gebietsschutz“ lockten keineswegs mehr Fahrgäste an.
Die Wissenschaftler sehen deshalb die EU-Initiative zur Liberalisierung der Konzessionsvergabe für öffentlichen Verkehr durchaus positiv. Sie warnen allerdings, dass die deutschen Verkehrsanbieter dem Wettbewerb nicht gewachsen seien. Das Festhalten am behördlichen Schutz schränke die Anbieter zu sehr ein und gefährde damit Arbeitsplätze.
Den „Aufgabenträgern“ – in der Regel den Kommunen – komme eine zentrale Rolle zu. Sie sollten nur Rahmenvorgaben formulieren. Wie das Verkehrsunternehmen die Aufgabe organisiere, welche Produkte es zu welchem Preis anbiete, verantworte es selbst.
Projektgruppe Mobilität, Kurswechsel im öffentlichen Verkehr – Mit automobilen Angeboten in den Wettbewerb, Berlin: edition sigma 2001, 106 S.
Weitere Informationen: Dr. Weert Canzler, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Telefon: 030/25 49 12 01,
E-Mail: canzler@medea.wz-berlin.de
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